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News: Ein viraler blinder Passagier

Retroviren sind gefährliche Zeitgenossen. Sie dringen in die Zellen ihres Wirts ein und nutzen deren Stoffwechselwege, um neue Viren zu produzieren. Oder sie bauen sich in die DNA des Opfers ein und schlummern dort für eine gewisse Zeit, bis sie irgendwann erwachen und wie aus heiterem Himmel eine Krankheit auslösen. Solch einen blinden Passagier haben Wissenschaftler jetzt im Erbgut des Menschen entdeckt. Zwar hat die Mutation an einer wichtigen Stelle der viralen DNA das Retrovirus funktionsunfähig gemacht, doch könnten Gene von anderen Stellen des Humangenoms diesen Mangel eventuell ausgleichen - zum Schaden des Menschen.
Etwa ein Prozent des menschlichen Erbguts besteht aus bunt zusammengewürfelten DNA-Stücken, die ursprünglich von Retroviren stammen. Vor langer Zeit gelangte es in die Chromosomen von Spermien und Eizellen und wurde so von Generation zu Generation weitergegeben. Dabei wurden die viralen Gene immer stärker im Humangenom verstreut, so daß sie alle heutzutage vermutlich nicht mehr in der Lage sind, ein echtes Virus herzustellen. In den Chromosomen von Mäusen und anderen Tieren haben Wissenschaftler dagegen bereits aktive Retroviren nachgewiesen.

In den letzten Jahren haben Eckart Meese und Jens Mayer von der Medizinischen Fakultät der Universität des Saarlandes sowie einige andere Arbeitsgruppen allerdings einige funktionsfähige retrovirale Gene gefunden, die zur sogenannten HERV-K-Gruppe gehören. Ein weiteres Team konnte sogar zeigen, daß virale HERV-K-Partikel in den Zellen von Hodentumoren vorkommen. Es sieht sogar so aus, als steigerten manche retroviralen Gene ihre Aktivität, bevor das Gewebe Krebs entwickelt hat.

Meese und Mayer suchten also nach der vollständigen Vorform eines Retrovirus, dem sogenannten Provirus. Sie begannen mit einer Analyse des Chromosoms 7, von dem bekannt ist, daß es retrovirale Gene aufweist. Dabei stießen sie auf die Gene gag und env. Die beiden befanden sich in Gesellschaft zweier weiterer Gene, und alle vier zusammen waren von speziellen DNA-Abschnitten flankiert, die als long terminal repeats bezeichnet werden. Diese Konstruktion bildete einen vollständigen Minimalsatz an Erbgut, um ein komplettes Retrovirus zu produzieren (Nature Genetics vom März 1999).

Das Gen für das Enzym Reverse Transkriptase war jedoch mutiert, weshalb der Provirus nicht aktiv werden kann. Die Reverse Transkriptase ist nämlich nötig, um nach dem Vorbild der RNA des Virus eine DNA zu synthetisieren, die dann als Provirus in das Wirtsgenom eingebaut werden kann. In den menschlichen Chromosomen gibt es allerdings in anderen Abschnitten durchaus intakte Gene für das Enzym. Es ist also denkbar, daß das Virus sich deren Aktivität für die eigene Vermehrung ausleiht. Wenn die neuen Proviren sich dann an ungünstigen Stellen in die menschliche DNA einbauen, könnten sie dadurch Krebs auslösen.

Ob der "blinde Passagier" in unseren Chromosomen tatsächlich Krebs verursachen kann, muß aber erst noch überprüft werden. Zumindest haben die Forscher seinen Name jetzt auf die schwarze Liste gesetzt und sind entschlossen, ihm auch seine übrigen Geheimnisse abzuringen.

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