News: Doppelt falsch kann besser sein
Die Aminoglykoside können aber auch an den geringfügig anderen Ribosomen in tierischen Zellen binden, wenn auch nicht so fest. Die Folge ist, daß beim Ablesen der RNA im Ribosom manchmal Fehler auftreten und sich falsche Aminosäuren in das entstehende Protein einschleichen. Gelegentlich ignoriert das Ribosom sogar bestimmte Abschnitte. Dazu gehören zum Beispiel die sogenannten Stopp-Codons – Basensequenzen, die normalerweise am Ende eines Gens dem Ribosom anzeigen, daß hiermit die "Anleitung" für das entstehende Protein beendet ist. Wenn diese Signalsequenz durch eine Mutation an der falschen Stelle auftritt, wird die Synthese des Proteins zu früh abgebrochen und das Produkt ist nutzlos.
Ein bindendes Aminoglykosid könnte das Ribosom also eventuell veranlassen, ein falsches Stopp-Codon zu überlesen, und so doch ein vollständiges, funktionsfähiges Protein herzustellen. Einige Forscher sehen darin eine Möglichkeit, Duchenne-Muskel-Dystrophie zu behandeln. Diese Krankheit wird durch einen genetischen Defekt hervorgerufen, der dazu führt, das von dem Protein Dystrophin nur eine verkürzte Variante synthetisiert wird. Dadurch wird die Skelettmuskulatur geschwächt, und die Betroffenen leiden unter zunehmenden Lähmungserscheinungen, die bereits in jungen Jahren zum Tod führen.
In einem Tierversuch ist es Wissenschaftlern um Lee Sweeney von der University of Pennsylvania in Philadelphia gelungen, mit Aminoglykosiden Mäuse mit einem ähnlichen genetischen Defekt erfolgreich zu behandeln (Journal of Clinical Investigation vom August 1999). Die Forscher gaben den Tieren über zwei Wochen hinweg das Aminoglykosid Gentamicin. Der Zustand der Mäuse verschlechterte sich nicht so schnell wie in der Kontrollgruppe. Außerdem war der Gehalt an Kreatin-Kinase – einem Enzym, das geschädigte Muskeln abgeben – um sechzig Prozent geringer als bei ihren Artgenossen. Entnommene Muskeln rissen nicht so leicht und enthielten mehr Dystrophin.
Gentamicin kann jedoch eine Reihe von schweren Nebenwirkungen wie Hörverlust oder Nierenschäden verursachen. Sweeney hofft, daß geringe Dosen trotzdem erfolgreich und sicher sind, und plant klinische Versuche in kleinem Maßstab. David Bedwell von der University of Alabama in Birmingham meint, daß mit einer Gentherapie vielleicht einfach das fehlerhafte Gen in den Muskelzellen der Erkrankten ersetzt werden könnte. Bis dahin würde seiner Ansicht nach eine medikamentöse Behandlung aber zumindest die Lebensqualität und die Lebenserwartung der Betroffenen steigern.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 9,1,1998
"Ein Gen für Muskelschwund verursacht Herzkrankheit bei Frauen"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 29.10.1997
"Ein Virus mit neuer Füllung"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich)
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