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News: Mystische Schwingungen zur Sonnenfinsternis

Während in Deutschland Menschenmassen gen Süden zogen und die langerwartete Sonnenfinsternis teilweise im Stau oder unter Wolken 'beobachten' mußten, haben sich einige Wissenschaftler in ihre Labors zurückgezogen, um diesen einmaligen Moment für Experimente ganz besonderer Art zu nutzen. Seit den fünfziger Jahren gab es Anlaß zu der Vermutung, daß auch Foucault-Pendel auf bislang unbekannte Art und Weise durch die Sonnenfinsternis beeinflußt werden könnten. In einer groß angelegten Versuchsreihe plante die NASA, diesmal dem Phänomen auf die Schliche zu kommen. Einen Tag nach dem Jahrhundertereignis liegt das vorläufige Ergebnis vor: ein klares Jein!
Mit dem nach ihm benannten Pendel, das heute im Pariser Pantheon zu bewundern ist, wies 1850 der französische Physiker Leon Foucault eindrucksvoll die Erdrotation nach: Während das Pendel ruhig in einer festen Raumebene schwingt, dreht sich die Erde unter ihm hinweg. Für den Beobachter, der sich mit um die Erdachse dreht, scheint es jedoch, als würde sich die Schwingungsebene des Pendels selbst drehen. Im allgemeinen sollte das Pendel daher langsam und regelmäßig rotieren. Doch während der Sonnenfinsternisse 1954 und 1959 beobachtete der Physiker Maurice Allais zufällig deutliche Abweichungen von der normalen Bewegung: Das Pendel drehte sich plötzlich in die entgegengesetzte Richtung.

In den vergangenen Jahren versuchten weltweit Wissenschaftler die Versuche zu bestätigen, einerseits mit Pendeln, aber auch mit präzisen Gravimetern. Während in Boston 1970 und in Indien 1995 tatsächlich gravitative Effekte gemessen wurden, widersprachen die Ergebnisse in Schottland und Italien 1954 und 1965 sowie Finnland 1990 den Beobachtungen der Kollegen. Aus Mexiko jedoch konnte das Team, das in Finnland noch zu einem klaren "Nein" tendierte, 1991 immerhin ein "Vielleicht" melden.

Da eine totale Sonnenfinsternis nur ein sehr kurzes und seltenes Ereignis ist, sind wiederholte Messungen nur eingeschränkt möglich. Deshalb können auch andere Effekte wie Temperaturschwankungen, die eine Sonnenfinsternis begleiten, oder seismische Störungen als eigentliche Ursachen kaum ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund hat die NASA anläßlich der diesjährigen Eklipse eine weltweite Versuchsstaffel initiiert: In elf Städten verteilt über vier Kontinente haben Forscher foucaultsche Pendel beobachtet oder mit präzisen Gravimetern Schwankungen in der Erdanziehung gemessen.

Zwei Stationen haben bereits erste Vorab-Ergebnisse veröffentlicht: Die Wissenschaftler der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik auf der Hohen Warte in Wien bestätigen Allais Messungen: Normalerweise dreht sich das Pendel mit dem Uhrzeigersinn um etwa elf Grad pro Stunde. "... in der Stunde vor der Sonnenfinsternis ging das Pendel um ganze zehn Grad vor", berichten die Wiener. Demnach hat sich die Schwingungsebene in dieser Zeit fast doppelt so schnell gedreht wie sonst. Demgegenüber meldet Holger Kersten, Leiter der Universitätssternwarte Greifswald, daß die Messungen in Greifswald zwar noch nicht ganz ausgewertet seien, aber bislang keine Unregelmäßigkeiten außerhalb der Meßgenauigkeit zu beobachten waren.

Nun heißt es abwarten. Bevor das Marshall Space and Flight Center die Ergebnisse gänzlich auswerten kann, müssen die Experimente noch einmal bei Vollmond in zwei Wochen durchgeführt werden, wenn Sonne, Erde und Mond wieder in einer Linie stehen. Wenn sich Allais Messungen bestätigen, sind die Theoretiker gefragt. Nach den gängigen Modellen ist nämlich keinesfalls klar, warum die Phänomene nicht in ähnlicher Form auch bei Neumond auftreten, wenn die Konstellation der Himmelskörper fast ähnlich ist. Bleibt es jedoch bei einem entschiedenen "Vielleicht", liegt es an den Experimentalphysikern herauszufinden, welche Nebeneffekte zumindest an einigen Orten deutliche Schwankungen verursacht haben.

Die Sonnenfinsternis gibt also weiterhin Rätsel auf. Und während sich Finsternis-Touristen auf einen Urlaub 2001 in Kapstadt freuen, erforschen die Wissenschaftler ihre Mystik.

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