Erdbebensicheres Bauen: Einzigartige Versuchsanordnung in Bukarest eingeweiht
Von einmaligem Vorteil ist die Vrancea-Region für die Forscher deshalb, weil sich darunter in 130 Kilometern Epizentralentfernung häufig starke Erdbeben in mittleren Tiefen ereignen: Diese Seismizität gehört zu den interessantesten und gefährlichsten in Europa. Unter Vrancea ist eine epizentral fast ortsfeste seismische Quelle auf der gesamten Magnitudenskala bis Mw = 7.6 aktiv. Die Starkbeben sind in Vrancea auf eine Epizentral-Region von dreißig Kilometer bis siebzig Kilometer konzentriert. Sie stammen aus Tiefen von 60 bis 220 Kilometer und ereignen sich unregelmäßig, wenngleich sehr häufig, mit Bodenverschiebungen von 30 Zentimeter an der Erdoberfläche und Spitzenbeschleunigungen in der Größenordnung von 30 Prozent der Erdbeschleunigung in der Epizentral-Region.
In der Nähe dieser Bebenquelle befindet sich die Millionenstadt Bukarest mit vielen akuten und künftigen Problemen einer Großstadt, deren Stabilität von außen durch Naturkatastrophen und von innen durch den Baubestand und die wachsende Bevölkerung bedroht ist. In den vergangenen zwanzig Jahren gefährdeten drei Erdbeben mit Magnituden um 6.5 die Hauptstadt Bukarest. Am 4. März 1977 ereignete sich in der Vrancea-Region ein Erdbeben mit der Momentenmagnitude 7.4, das mehr als 1 500 Tote vorwiegend in Bukarest forderte, erhebliche Zerstörungen verursachte und bis in 2 000 Kilometer Entfernung spürbar war. In ein- bis zweijährigen Abständen treten Beben mit Magnituden über 5.0 auf, die man auf Deutschland bezogen als "Dekadenbeben" bezeichnen würde.
Zum Entwurf eines erdbebensicheren Bauwerks benötigt der Ingenieur zunächst eine möglichst genaue Information über die dynamischen Einwirkungen am Grundgebirge. Von dort erfolgt die Übertragung über die Bodenschichten unter dem Bauwerk hin zur eigentlichen Gründung. Die Erfassung dieser Übertragung ist von entscheidender Bedeutung.
Den nächsten Schritt stellt die Konzeption des Bauwerks dar. Hier sind generell zwei Ansätze möglich. Erstens, das Tragwerk wird steif ausgebildet, um die aus dem Erdbeben resultierenden Zusatzbeanspruchungen sicher aufnehmen zu können. Das Tragwerk bleibt hierbei nur gering deformiert. Zweitens, es werden Verformungen am Tragwerk zugelassen, was zu einer Reduktion der auftretenden Kräfte führt. Allerdings sind diesen Verformungen Grenzen gesetzt, da diese ihrerseits wieder zu Zusatzbeanspruchungen führen können. Probleme bereiten zum Beispiel die in ihrer Anzahl zunehmenden Leitungsanschlüsse an Gebäuden. Sie sind der Gefahr ausgesetzt zu reißen, was zum Beispiel bei Gasleitungen schon häufig zu Brandkatastrophen nach Erdbeben geführt hat.
Alternativ zu diesen beiden Ansätzen steht die seismische Isolierung von Bauwerken, die derzeit eine weite Verbreitung erfährt. Durch die Isolierung wird die Eigenschwingzeit des Bauwerks hin zu größeren Schwingzeiten von einer Sekunde oder mehr verschoben. In diesem Periodenbereich wirken bei den meisten Erdbeben nur noch geringe Beschleunigungen auf das Bauwerk. Daher kommt der Lagerung mittels Elastomerlager größte Bedeutung zu. Das positiv dynamische Verhalten hängt dabei entscheidend von folgenden Eigenschaften ab:
- hohe vertikale Steifigkeit zur Aufnahme von statischen Lasten und Zusatzlasten
- geringe Steifigkeit in horizontaler Richtung mit gleichzeitigem großem Verformungsvermögen
- Energiedissipation durch Materialdämpfung
- Widerstand gegen Umwelteinflüsse und dem zeitweiligen Widerstand gegen Feuer
Bei Erdbeben, die auch bei relativ großen Schwingzeiten noch hohe Beschleunigungswerte aufweisen, muß steif konstruiert werden. Das gleiche gilt, wenn große Verschiebungen zu vermeiden sind, zum Beispiel weil Zuflussleitungen bei Kraftwerken und Industrieanlagen diese nicht erlauben. Daher interessieren den konstruierenden Ingenieur die Einwirkungen am Grundgebirge und deren Weiterleitung bis zur Bauwerksohle, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme von Isolationsmaßnahmen.
Ein Hauptziel des Versuchsaufbaus besteht in der Verifizierung der hochgradig nichtlinearen Stoffgesetze für die Definition der Elastometerlager und des Baugrunds. Sie werden am Institut für Massivbau und Baustofftechnologie der Universität Karlsruhe entwickelt, mit aufwendigen Rechenmethoden (sogenannten "Finite Elemente Rechnungen") realisiert und können unter ideal kontrollierten Versuchsbedingungen mit experimentellen Daten verglichen werden. Da die Bodenparameter der "Multidisciplinary Seismic Test Site" aus Bohrungen sehr gut bekannt sind, liegt mit dem Testgelände INCERC ein einmaliger Versuchsaufbau vor. Die durch ein Erdbeben erzeugten Bodenbewegung werden im Freifeld, das heißt ohne den Einfluss der Bauwerke registriert. Diese Signale werden in die Computer-Algorithmen "gefüttert" und die Bewegungen im Gebäude berechnet. Mit der Messung der Bewegung ergibt sich dann der Vergleich mit der Realität.
Ein erstes Beben mit Magnitude 5.7 konnte bereits mit der Versuchseinrichtung registriert werden. Um nicht auf das nächste stärkere Beben warten zu müssen, wollen die Wissenschaftler des SFB 461 und ihre rumänischen Kollegen jedoch auch durch gezielte Anregung des Testgebäudes künstliche Beben simulieren.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 29.7.1999
"Wenn es in der Tiefe rumort"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum der Wissenschaft 11/98, Seite 42
"Erdbebenwarnung – schneller sein als die tödlichen Wellen"
(nur für Heft-Abonnenten online zugänglich)
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