Direkt zum Inhalt

News: Eine Fliege erobert die neue Welt

Die Welt ist voller exotischer Tiere und Pflanzen, und das soll auch so bleiben. Die Sache hat nur dann einen Haken, wenn diese Lebewesen eigentlich ganz woanders zu Hause sind. Dann können sie das ökologische Gleichgewicht ihrer 'Zwangsheimat' durcheinander bringen und einheimische Tier- und Pflanzenarten verdrängen. Der Waschbär in Deutschland und Kaninchen in Australien sind da nur zwei Beispiele von vielen. Doch bisher sind zur Erklärung solcher Probleme von Biologen eher die fehlenden natürlichen Feinde berücksichtigt worden und nicht die Evolution. Daß Wissenschaftler diese nicht außer acht lassen dürfen, ist bei Untersuchungen der eher zufällig in Nord- und Südamerika eingeführten Drosophila subobscura klar geworden. Die Fliege hat in ihrer neuen Heimat die schnellsten evolutionären Veränderungen durchgemacht, die je beobachtet wurden.
Drosophila subobscura ist eine Taufliege, die in den gemäßigten Breiten von Europa und in Teilen Nordafrikas beheimatet ist. Ihr Lebensraum erstreckt sich von Spanien nordwärts nach Süd-Skandinavien und von Nord-Afrika ostwärts in den Mittleren Osten. In Südamerika wurde die etwa drei Millimeter große, schwarze Fliege das erste Mal 1978 in der Nähe der chilenischen Hafenstadt Puerto Montt beobachtet. Sie breitete sich zunächst sehr schnell an der chilenischen Küste aus. Anfang 1990 tauchten die kleinen Gesellen auch in Nordamerika auf. Genetische Untersuchungen haben ergeben, daß sie sehr wahrscheinlich gleicher Abstammung sind, und die Wissenschaftler vermuten, die Fliegen seien mit einem Schiff von Europa nach Übersee gekommen. Seit ihrer Einbürgerung in Nord- und Südamerika haben sie sich einen riesigen Lebensraum erobert.

Die Taufliege D. subobscura hat sich in Europa nach der letzten Eiszeit, vor ungefähr 10 000 Jahren, ausgebreitet. In ihrer Heimat weist sie ein charakteristisches geographisches Muster auf: Je höher der Breitengrad, um so größer die Individuen. So sind die Flügel von dänischen Fliegen um vier Prozent länger als die der Spanischen Drosophila subobscura. Die Länge der Flügel wird häufig als Maß für die Körpergröße herangezogen, weil sie sich leicht messen läßt und mit der Körperlänge korreliert. Eine Gruppe Wissenschaftler von der University of Washington, der Clarkson University in New York und der University of Barcelona hat die eingewanderten Taufliegen untersucht und festgestellt, daß sie in Amerika ein ganz ähnliches Muster der Flügellängen aufweisen wie in Europa (Science vom 14. Januar 2000).

Um die evolutionären Veränderungen an der Fliege zu bestimmen, haben Raymond Huey und seine Kollegen 1997 Fliegen aus elf Regionen Nordamerikas und 1998 aus zehn Gebieten in Spanien, Frankreich, den Niederlanden und Dänemark gesammelt. Sie hielten fünf bis sechs Generationen dieser Fliegen in ähnlicher Umgebung und haben anschließend die Flügellängen der Tiere gemessen. Dabei stellte sich heraus, daß die Fliegen in Nordamerika in weniger als zwei Jahrzehnten ein sehr ähnliches Muster der Flügellängen entwickelt hatten wie die europäischen. Höherer Breitengrad bedeutete auch hier längere Flügel, also auch einen größeren Körper. Allerdings galt das stärker für weibliche als für männliche Fliegen. Weibliche Drosophilas aus dem Norden waren um vier Prozent größer als die aus Kalifornien, die männlichen waren nur ein bis zwei Prozent größer. Doch einen kleinen Unterschied gab es zwischen den Fliegen von den beiden Kontinenten: Unterschiedliche Teile des Flügels waren gewachsen. Die europäischen Fliegen haben einen längeren "Bizeps" bekommen, während sich bei den amerikanischen Verwandten die "Unterarme" verlängerten.

Huey meint, daß Forscher nur einmal eine ähnlich hohe Evolutionsgeschwindigkeit beobachtet hätten. Doch die sei durch Wetter-Veränderungen entstanden und betraf ein Tier in seiner natürlichen Umgebung: Finken auf den Galapagos-Inseln haben in Folge einer Dürre größere und stabilere Schnäbel entwickelt. Damals überlebten nur Tiere mit großem, stabilem Schnabel. Diese Eigenschaft haben sie dann an die nächste Generation weitergegeben.

"Die Menschen verteilen Pflanzen und Tiere über den ganzen Erdball, und in vielen Fällen vernichtet das die natürlichen Populationen", sagt Huey. "Die Dynamik der Invasion wird dann besonders kompliziert, wenn sich die Lebewesen sehr schnell verändern. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich diese Tiere und Pflanzen weiter entwickeln, ist sehr groß. Doch Wissenschaftler haben bisher immer noch nicht erkannt, wie schnell die Evolution dabei sein kann. Außerdem geht dabei auch die Evolution der natürlichen Populationen andere Wege." Er meint, Drosophila subobscura habe die einheimischen Arten mehr als nur dezimiert. "Wenn ich in Seattle in meinem Hinterhof Fliegen sammle, sind mehr als neunzig Prozent der eingebürgerten Fliegen dabei. [...]", so Huey.

Siehe auch

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.