News: Schlaflose Nächte
Doch das hat Folgen. Das Gehirn braucht Schlaf, um sich zu erholen, sonst büßt es seine Leistungsfähigkeit ein – was schon bei einfachen Tests deutlich wird. Wie J. Christian Gillin und seine Mitarbeiter von der University of California in San Diego nachweisen konnten, verändert sich dabei offensichtlich nicht nur die Intensität, mit der einzelne Hirnregionen aktiviert werden, sondern bei übernächtigten Menschen werden sogar ganz andere Bereiche zusätzlich mobilisiert – so, als wollte das Gehirn die verringerte Leistung irgendwie kompensieren (Nature vom 10. Februar 2000).
Dreizehn gesunde Versuchspersonen, die laut vorherigen Untersuchungen ein normales Schlafmuster zeigten, mussten 35 Stunden am Stück wach bleiben. Währenddessen absolvierten sie verschiedene verbale Lernaufgaben, während die Wissenschaftler ihre Gehirnaktivität mit funktionaler Magnetresonanz-Spektroskopie aufzeichneten. Die Bilder zeigen die verstärkte und abnehmende Aktivierung bestimmter Gehirnregionen in den verschiedenen Stadien des Schlafentzugs, angefangen im ausgeruhten Zustand bis zur völligen Übermüdung.
Zu den überraschenden Ergebnissen gehört, dass die Aktivität im präfrontalen Cortex um so größer wurde, je müder sich die Versuchspersonen fühlten. Außerdem wurde der Temporallappen, eine Region, die an der Sprachverarbeitung beteiligt ist, bei ausgeruhten Personen aktiviert, während sie bestimmte Wörter lernten, im übermüdeten Zustand jedoch nicht. Stattdessen wich das Gehirn bei zunehmendem Schlafdefizit auf die Parietallappen aus, die bei den Beteiligten, solange sie noch munter waren, nicht aktiviert waren. Die Parietellappen übernehmen in Lernprozessen normalerweise etwas andere Aufgaben als der Temporallappen. Und obwohl die Leistung der Versuchsteilnehmer mit zunehmender Müdigkeit immer geringer wurde, so war eine größere Aktivität in der Parietalregion mit einem besseren Gedächtnis verknüpft.
In einer früheren Untersuchung der Wissenschaftler mussten die Versuchspersonen Rechenaufgaben lösen. Auch hier zeigte sich, dass bestimmte Regionen bei Menschen im ausgeruhten Zustand aktiviert wurden, bei übermüdeten Teilnehmern aber ausfielen. Die Fehlerquote nahm ebenfalls zu, je mehr sich die Probanden die Augen rieben. Es wurden jedoch keine anderen Hirnabschnitte aktiviert wie bei den jetzt beschriebenen Experimenten mit verbalen Tests.
Warum das Gehirn bei sprachlichen und Rechenaufgaben so unterschiedlich reagiert, können die Wissenschaftler bisher nicht beantworten. Gregory Brown, ein Mitglied der Arbeitsgruppe, vermutet, dass die Sprachverarbeitung bei Müdigkeit in ein anderes System in den Parietallappen verlagert wird, um die geringere Leistungsfähigkeit der präfrontalen und temporalen Regionen auszugleichen. Die Parietallappen spielen aber bei der Lösung von Rechenaufgaben im wachen Gehirn bereits die entscheidende Rolle, und es hat daher vielleicht einfach keine Ausweichmöglichkeit, meint er.
"Wir haben erst in den letzten Jahren begonnen, die Bedeutung und das Ausmaß von Schlafentzug in unserer Bevölkerung wahrzunehmen. Schließlich gibt es eine signifikante Zahl an Leuten, die im Schichtdienst arbeiten, unter Zeitverschiebung leiden und so weiter", erklärt Gillin. "Dennoch wissen wir nicht viel darüber, wie Schlafentzug die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt und wie genau das Gehirn auf Schlafmangel reagiert. Diese Erkenntnisse sind erst ein Anfang, und wenn wir mehr darüber lernen, werden wir vielleicht in der Lage sein, Maßnahmen zu entwickeln, mit denen wir die Verhaltensbeeinträchtigungen lindern können, die mit Schlafmangel zusammenhängen."
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 19.12.1999
"Botschaft an Nachteulen" - Spektrum Ticker vom 11.1.1999
"Der innere Nachtwächter"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 18.5.1998
"Wo wir hören, wenn wir schlafen"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum der Wissenschaft 7/98, Seite 21
"Gedächtniskonsolidierung beim Schlafen"
(nur für Heft-Abonnenten online zugänglich)
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