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News: Nasse Füße am Nordpol

Wenn von globaler Erwärmung die Rede ist, geht es meistens um Dinge, die im ersten Augenblick wenig dramatisch erscheinen: Die weltweiten Durchnittstemperaturen sind wieder ein paar Zehntel Grad erhöht, die Gletscher erneut einige Zentimeter zurückgegangen und der Meeresspiegel ist um wenige Millimeter angestiegen. Kein Grund also, um sich zu beunruhigen, schließlich mahlen die Mühlen des Weltklimas scheinbar unglaublich langsam. Doch als Touristen und Wissenschaftler kürzlich den nördlichsten Punkt unserer Erde besuchen wollten, stellten sie mit großer Überraschung fest, dass an der Stelle, wo Polarforscher vor über 90 Jahren auf dickem Packeis die erste Flagge hissten, sich nun über mehrere Kilometer offenes Meer und dünnes Eis erstrecken. Auch die ersten Vögel aus südlicheren Gebieten tummelten sich bereits hier.
Dass sich die Erdatmosphäre in den letzten Jahrzehnten erwärmt hat, ist nicht mehr von der Hand zu weisen: Vielerorts steigen die Jahresdurchschnittstemperaturen kontinuierlich, die Gletscher gehen zurück und auch die Eisdecke Grönlands verdünnt sich am Rand. Der Nordpol ist von der Klimaerwärmung jedoch besonders betroffen – Wissenschaftler vermuten, dass hier die Temperaturen drei bis fünf Mal so schnell steigen wie an anderen Orten der Erde. Messungen von Satelliten zufolge hat die Stärke des polaren Packeises in den letzten 50 Jahren um 40 Prozent nachgelassen. Klimaforscher prophezeiten sogar, dass die Eiskappe des Nordpols – noch zwischen drei bis zehn Metern mächtig – in nur 50 Jahren im Sommer vollständig verschwinden wird.

Doch als Forscher und Touristen schon jetzt bei einer Ausfahrt mit dem Eisbrecher Yamal am nördlichsten Punkt unseres Planeten statt dickem Packeis offene See vorfanden, waren sie sichtlich überrascht. Wahrscheinlich ist es das erste Mal seit rund 50 Millionen Jahren – seit dem Eozän, als das Weltklima deutlich wärmer war –, dass der Nordpol nun eisfrei ist. Die Wasserfläche erstreckte sich rund zwei Kilometer um den Pol, danach folgte eine dünne Eisdecke. Um die gut 100 Passagiere, die sich zuvor auf einen längeren Fußmarsch eingestellt hatten, auf eine tragfähige Eisdecke zu bringen, musste das Schiff weitere zehn Kilometer fahren. Von dort aus konnten die Touristen dann das eigentliche Ziel ihrer Reise aus der Ferne betrachten. "Es war völlig unerwartet," meint James McCarthy von der Harvard University, der die Gruppe als Reiseführer begleitete. Auch der Kapitän, der Reisegäste nun schon mehr als zehn Mal zum Nordpol brachte, hatte so etwas noch nie zuvor gesehen.

Der mögliche Beginn einer neuen Wärmeperiode wurde den Pol-Gästen noch durch ein weiteres Naturschauspiel bewusst: Elfenbeinmöwen (Pagophila eburnea), die sich normalerweise nur in den polaren Randzonen aufhalten, tummelten sich jetzt um die frei gewordene Wasserfläche. Die eigentlichen Bewohner der Arktis blicken jedoch mit zunehmender Erwärmung einer bedrohlichen Zukunft entgegen: Schon jetzt haben Forscher festgestellt, dass Eisbären abmagern, da sie weniger zu fressen finden und Walrösser weniger Junge zur Welt bringen.

"Ich weiss nicht, ob jemals ein Mensch in der Geschichte bis zum 90sten Breitengrad vorgedrungen ist, um dann mit Wasser anstatt mit Eis begrüßt zu werden. Einige Leute, die bisher die globale Erwärmung eher belächelt haben, könnten nun aufwachen, wenn ihnen klar wird, dass sogar der Nordpol zu schmelzen beginnt," meint Malcolm McKenna vom American Museum of Natural History.

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