Lässt sich Evolution berechnen?
Noro-Viren greifen an, Influenza boomt, die Vogelgrippe nähert sich wieder – wäre es nicht schön, solche Epidemien und Evolutionsvorgänge simulieren zu können, sodass wir rechtzeitig wissen, was uns blüht? Sozusagen Darwin in the Box? Es müsste ja nicht gleich alle Spezies der Erde involvieren. Schon die Evolution etwa aller Influenza-Viren oder noch schlimmerer Übeltäter böte vielleicht die Chance, durch bessere Prophylaxe Leben zu retten.
Als ich noch in Oxford an meiner Doktorarbeit über Schwarze Löcher saß, unterhielt ich mich gelegentlich im nahen Magdalen College mit einem der dortigen Junggenies über theoretische Biologie. Seinerzeit kamen gerade neue Modelle auf für Populationsdynamik, versuchten sich Biochemiker bereits an der Simulation von Biomolekülen in Flüssigkeiten oder an der Faltung von Proteinen – auf den Steinzeitrechnern der siebziger Jahre ein mühsames, ja unmögliches Geschäft.
Später wurden autokatalytische Prozesse beliebt: Manfred Eigen und Peter Schuster konstruierten und simulierten ihre Hyperzyklen. Nichtlinearitäten kamen in Mode, der Schmetterlingseffekt war geboren, dank einer eher harmlosen nichtlinearen Gleichung eines Klimatologen, die iterativ gelöst wurde.
Dann tauchten Zellularautomaten auf, mit denen sich gewisse Ausbreitungs- und Entwicklungsprozesse darstellen ließen, wie sie auch Manfred Eigens „Das Spiel“ beschrieb: allerlei krabben- oder sternförmige Gebilde, die über die Ebene robben und sich gegenseitig verschlingen. Und schließlich legte einem Stephen Wolfram in „A new kind of science“ (2002) nahe, dass auch die Welt eigentlich nur eine Art Zellularautomat sei. Bioinformatiker beherrschen nun das Feld, im Computer prüfen sie Moleküle, testen sie wie Autobauer ihre Vehikel im Crashtest. Kein Wunder. Wer mit solchem Design von Medikamenten oder Impfstoffen den Weg etwa zu einem neuen Medikament abkürzen kann, braucht sich keine Sorgen mehr zu machen. Und die Proteinfaltung ist noch immer ungelöst, trotz aller Supercomputer und Teraflops.
Aber was ist mit der Evolution? Könnte die nächste Vogelgrippe-Epidemie nicht nur befürchtet, sondern kraft realitätsnaher Simulation auch besser prognostiziert werden? Und was können dazu Physiker beitragen? Michael W. Deem hat sich der Frage angenommen (Physics Today 1/2007, S. 42) und meint, mit Mathematik sei da doch viel zu machen, ob nun biologische Evolution oder Pathogenentwicklung. Allerdings hätten biologische Systeme ihre Besonderheiten, wie sie in Physik oder Chemie unüblich seien.
Schwierigkeit Nummer eins: Zellen mit ihren inhomogen verteilten Biomolekülen unterliegen besonders großen Fluktuationen. Auch treten einige dieser Moleküle, wie DNA, mRNA oder Enzyme, in der Zelle zumeist in so geringer Anzahl auf, dass übliche Gleichungen der Lösungschemie nicht anwendbar sind. Transport und Reaktion einzelner Moleküle dominieren das Geschehen.
Schwierigkeit Nummer zwei: Biologische Systeme sind selten im thermodynamischen Gleichgewicht. Viele Reaktionen treten nur zu bestimmten Zeiten auf, fern vom Gleichgewicht und in kleinen Populationen – Raum für neue Modellierungen etwa mit Hilfe statistischer Physik.
Wichtige Anwendung: Wie entwickeln sich resistente Erreger, ob nun bei Influenza oder Tuberkulose? Wie können Viren vom Tier auf den Menschen überspringen? Von den letzten 13 beobachteten Viruserkrankungen beim Menschen sind laut amerikanischer Gesundheitsforscher 12 vom Tier zum Mensch übergesprungen. Gerade bei Sars und dem Vogelgrippevirus H5N1 wäre es brennend wichtig, die Details solcher Adaptionsprozesse zu verstehen.
Kein Zweifel: Theoretische Physiker, die sich leidenschaftlich mit dem Kosmos oder dem Inneren der Elementarteilchen befassen, beginnen, ihr Handwerkszeug stärker für Themen anzuwenden, die den Menschen direkt betreffen.
Reinhard Breuer
Als ich noch in Oxford an meiner Doktorarbeit über Schwarze Löcher saß, unterhielt ich mich gelegentlich im nahen Magdalen College mit einem der dortigen Junggenies über theoretische Biologie. Seinerzeit kamen gerade neue Modelle auf für Populationsdynamik, versuchten sich Biochemiker bereits an der Simulation von Biomolekülen in Flüssigkeiten oder an der Faltung von Proteinen – auf den Steinzeitrechnern der siebziger Jahre ein mühsames, ja unmögliches Geschäft.
Später wurden autokatalytische Prozesse beliebt: Manfred Eigen und Peter Schuster konstruierten und simulierten ihre Hyperzyklen. Nichtlinearitäten kamen in Mode, der Schmetterlingseffekt war geboren, dank einer eher harmlosen nichtlinearen Gleichung eines Klimatologen, die iterativ gelöst wurde.
Dann tauchten Zellularautomaten auf, mit denen sich gewisse Ausbreitungs- und Entwicklungsprozesse darstellen ließen, wie sie auch Manfred Eigens „Das Spiel“ beschrieb: allerlei krabben- oder sternförmige Gebilde, die über die Ebene robben und sich gegenseitig verschlingen. Und schließlich legte einem Stephen Wolfram in „A new kind of science“ (2002) nahe, dass auch die Welt eigentlich nur eine Art Zellularautomat sei. Bioinformatiker beherrschen nun das Feld, im Computer prüfen sie Moleküle, testen sie wie Autobauer ihre Vehikel im Crashtest. Kein Wunder. Wer mit solchem Design von Medikamenten oder Impfstoffen den Weg etwa zu einem neuen Medikament abkürzen kann, braucht sich keine Sorgen mehr zu machen. Und die Proteinfaltung ist noch immer ungelöst, trotz aller Supercomputer und Teraflops.
Aber was ist mit der Evolution? Könnte die nächste Vogelgrippe-Epidemie nicht nur befürchtet, sondern kraft realitätsnaher Simulation auch besser prognostiziert werden? Und was können dazu Physiker beitragen? Michael W. Deem hat sich der Frage angenommen (Physics Today 1/2007, S. 42) und meint, mit Mathematik sei da doch viel zu machen, ob nun biologische Evolution oder Pathogenentwicklung. Allerdings hätten biologische Systeme ihre Besonderheiten, wie sie in Physik oder Chemie unüblich seien.
Schwierigkeit Nummer eins: Zellen mit ihren inhomogen verteilten Biomolekülen unterliegen besonders großen Fluktuationen. Auch treten einige dieser Moleküle, wie DNA, mRNA oder Enzyme, in der Zelle zumeist in so geringer Anzahl auf, dass übliche Gleichungen der Lösungschemie nicht anwendbar sind. Transport und Reaktion einzelner Moleküle dominieren das Geschehen.
Schwierigkeit Nummer zwei: Biologische Systeme sind selten im thermodynamischen Gleichgewicht. Viele Reaktionen treten nur zu bestimmten Zeiten auf, fern vom Gleichgewicht und in kleinen Populationen – Raum für neue Modellierungen etwa mit Hilfe statistischer Physik.
Wichtige Anwendung: Wie entwickeln sich resistente Erreger, ob nun bei Influenza oder Tuberkulose? Wie können Viren vom Tier auf den Menschen überspringen? Von den letzten 13 beobachteten Viruserkrankungen beim Menschen sind laut amerikanischer Gesundheitsforscher 12 vom Tier zum Mensch übergesprungen. Gerade bei Sars und dem Vogelgrippevirus H5N1 wäre es brennend wichtig, die Details solcher Adaptionsprozesse zu verstehen.
Kein Zweifel: Theoretische Physiker, die sich leidenschaftlich mit dem Kosmos oder dem Inneren der Elementarteilchen befassen, beginnen, ihr Handwerkszeug stärker für Themen anzuwenden, die den Menschen direkt betreffen.
Reinhard Breuer
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