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Der Mathematische Monatskalender: Abraham de Moivre (1667–1754)

Der Franzose Abraham de Moivre (1667 - 1754) leistete bedeutende Beiträge zur damals neu geschaffenen Analysis.
Abraham de Moivre

Der französisch-englische Mathematiker Abraham de Moivre teilt das Schicksal vieler Persönlichkeiten, die aus ihrer Heimat fliehen mussten: In der neuen Heimat erfahren Sie wegen ihrer herausragenden wissenschaftlichen Leistungen zwar eine gewisse Anerkennung, aber letztlich werden sie weder dem einen noch dem anderen Land »zugerechnet«. So sahen sich in der Vergangenheit weder die französische noch die britische Postverwaltung veranlasst, an Abraham de Moivre zu erinnern.

Im Jahr 1598 erließ König Henri IV das Edikt von Nantes und gewährte damit den calvinistischen Protestanten (Hugenotten) seines Landes gewisse Rechte, ihre Religion auszuüben. In den nachfolgenden Jahrzehnten wurden diese Freiheiten jedoch schrittweise eingeschränkt, bis schließlich König Ludwig XIV im Jahr 1685 das Edikt vollständig aufhob, was zu einer Massenflucht der Hugenotten aus Frankreich führte.

Abraham Moivre, Sohn eines protestantischen Arztes, besucht zunächst die tolerante katholische Schule der Christlichen Brüder in Vitry (Champagne), mit 11 Jahren dann die protestantische Akademie in Sedan. Nach Zwangsschließung dieser Schule im Jahr 1682 wechselt er zunächst nach Saumur (Loire) und schließlich an ein Collège in Paris. Sein Interesse an mathematischen Fragen wird in der Schule nicht gestillt. Daher liest er selbstständig die Schriften von Christiaan Huygens, insbesondere dessen Untersuchungen zur Wahrscheinlichkeitsrechnung, De ratiociniis in ludo aleae, und nimmt Privatunterricht bei Jacques Ozanam, einem angesehenen Autor zahlreicher Mathematikbücher, darunter dem 5-bändigen Werk Cours des mathématiques, das sogar in englischer Sprache erscheint, sowie den Récréations mathématiques et physiques.

Nach Aufhebung des Edikts von Nantes wird Abraham Moivre zusammen mit anderen Hugenotten über zwei Jahre lang in einem Kloster gefangen gehalten, um ihn zum katholischen Glauben zu bekehren. 1688 gelingt es ihm, nach England fliehen.

In London angekommen, fügt er seinem Namen das de hinzu. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich als Privatlehrer, unterrichtet die Kinder aus reichen Familien in Mathematik und bietet seine Dienste in Kaffeehäusern an. Mit einem Empfehlungsschreiben wendet er sich an den Earl von Devonshire, der ihm zwar keine Stelle anbietet, bei dem er aber eine für sein künftiges Leben wichtige Begegnung hat: Der Earl zeigt ihm ein Exemplar der frisch gedruckten Principia Mathematica. De Moivre erkennt, dass dies ein Werk ist, das alle Bücher, die er bisher in Händen hatte, an Bedeutung übertrifft. Er erwirbt ein Exemplar und zerschneidet es; so kann er es Seite für Seite lesen, überall, zwischen und während seiner Unterrichtsstunden.

1692 lernt er Edmond Halley kennen, der zu dieser Zeit Sekretär der Royal Society ist, und kurze Zeit darauf auch Isaac Newton selbst, mit dem er lange Gespräche über die von diesem entwickelte Differenzialrechnung führt. 1695 reicht er einen ersten Beitrag zu der Method of fluxions bei der Royal Society ein, die ihn zwei Jahre später als Mitglied aufnimmt. Auch kann er den von Newton hergeleiteten (allgemeinen) Binomischen Lehrsatz zum Polynomialsatz verallgemeinern.

Er freundet sich mit Newton an, und es kommt zu einer engen Zusammenarbeit zwischen beiden; dieser ist von den Fähigkeiten de Moivres sehr angetan; beispielsweise überlässt er ihm die Herausgabe der lateinischen Fassung seiner Optics. Auf Fragen zur Principia pflegt Newton zu antworten: Go to Mr. de Moivre; he knows these things better than I do.

Aber weder die Mitgliedschaft in der Royal Society noch die Freundschaft zu Newton und auch nicht die große Anzahl an Veröffentlichungen tragen dazu bei, dass de Moivre eine angemessene Stelle an einer Universität findet – als Ausländer hat er mit seinen Bewerbungen keine Chance. Auch Bemühungen von Leibniz und Johann Bernoulli auf dem Kontinent sind vergeblich. Und so verbringt de Moivre genügsam seine Tage, wandert zwischen den Häusern reicher Familien hin und her und wartet in Kaffeehäusern auf Menschen, die wissen wollen, welche Chancen sie bei gewissen Glücksspielen haben oder ob angebotene Rentenversicherungen empfehlenswert sind; abends trifft er sich regelmäßig mit Newton zum philosophischen Gespräch.

Nach einigen kürzeren Beiträgen zur Wahrscheinlichkeitrechnung erscheint 1711 The Doctrine of Chance: A method of calculating the probabilities of events in play, mit einer Widmung für Newton, 1718 auch in lateinischer Sprache, 1738 und posthum 1756 in erweiterter Fassung. Die Ausgabe von 1738 enthält die heute als »klassisch« bezeichnete Definition der Wahrscheinlichkeit, die später – auch hinsichtlich der Argumentation – wörtlich von Pierre Simon de Laplace übernommen wird:

\(\text{Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses}= \frac{\text{Anzahl der günstigen Fälle}}{\text{Anzahl der möglichen Fälle}}\)

Prioritätsstreitigkeiten zwischen ihm und Pierre Rémonde de Montmort, der 1708 eine Sammlung kombinatorischer Probleme unter dem Titel Essay d'analyse sur les jeux de hazard herausgebracht hat, bezüglich der Lösung des Rencontre-Problems eskalieren nicht, da beide einräumen, dass der jeweils andere wichtige Anteile daran hat.

Halley hatte um 1693 als Erster Sterbetafeln dazu benutzt, um angemessene Raten für Lebensversicherungen zu berechnen; de Moivre entwickelt aus diesem Datenmaterial Formeln, mit deren Hilfe man die jährlichen Raten berechnen kann. Sein Werk Annuities on lives erscheint 1724 und wird mehrfach aufgelegt.

In Miscellanea Analytica (Analytische Beiträge) aus dem Jahr 1730 gibt de Moivre eine Formel zur Berechnung der Fibonacci-Zahlen \(f_n\) an:

\(f_n = \frac{1}{\sqrt{5}}\cdot \left[ \left( \frac{1+\sqrt{5}}{2} \right)^n – \left(\frac{1-\sqrt{5}}{2} \right)^n \right] \)

Diese Berechnung wurde 1843 von Jacques Philippe Marie Binet wiederentdeckt. Anschließend setzt sich de Moibre mit der Faktorisierung von Polynomen des Typs \(x^{2n} + 1\) auseinander. Roger Cotes, Astronomie-Professor in Cambridge und Bearbeiter der zweiten Auflage der Principia, hatte zuvor herausgefunden, dass eine Faktorisierung möglich ist:

\[\begin{split} x^{2n} +1 = \left[ x^2-2x \cdot \cos\left(\frac{\pi}{2n}\right) +1 \right] \cdot \left[ x^2-2x \cdot \cos\left(\frac{3\pi}{2n}\right) +1 \right] \cdot \\ \dots \cdot \left[ x^2-2x \cdot \cos\left(\frac{(2n-1)\pi}{2n}\right) +1 \right] \end{split}\]

De Moivre begeistert sich für den wunderbaren Zusammenhang mit der Geometrie und leitet die heute nach ihm benannte Formel her:

\( (\cos \alpha + i \cdot \sin \alpha)^n \) = \( \cos (n\alpha) + i \cdot \sin(n\alpha)\) für \(n \in \mathbb{N}.\) 1745 verallgemeinert Leonhard Euler diese Formel für beliebige Exponenten.

1733 entwickelt er eine Näherungsformel für Fakultäten: \(n! \approx c \cdot \sqrt{n} \cdot n^{n+1} \cdot e^{-n} \) mit \(c\approx 2{,}5.\) Es ärgert ihn, als kurze Zeit später der Schotte James Stirling den unbekannten Faktor \(c\) als \(\sqrt{2\pi }\) identifiziert. Er setzt sich mit Bernoullis Gesetz der großen Zahlen auseinander und entdeckt die Approximation der Binomialverteilung durch eine Verteilung, die wir als heute Normalverteilung bezeichnen würden: Ausgehend von der Wahrscheinlichkeit \(p_k = {n \choose k} \cdot \frac {1}{2^n} \) für \(k-\)mal Wappen beim \(n-\)fachen Münzwurf und der Symmetrie bezüglich \(k = \frac{1}{2} \cdot n \) bemerkt er, dass die Verteilung mithilfe von \(\sqrt{n} \) standardisiert werden kann (bis auf den Faktor \(\frac{1}{2}\) ist dies gerade die Standardabweichung \(\sigma)\), das heißt, dass es eine stetige Funktion \(f\) gibt mit:

\( f(x) = \sqrt { \frac {2}{\pi}} \cdot e^{-2x^2} \approx \frac {\sqrt{n}}{2^n} \cdot {n \choose k}, \) wobei \( x = \frac {k- \frac{1}{2} \cdot n } {\sqrt {n} }.\)

Diese Approximation wird später von Laplace verallgemeinert (Moivre-Laplacesche Näherungsformeln).

Bis zu seinem Tod lebt er, alleinstehend, in bescheidenen Verhältnissen; selbst die Einkünfte aus den Veröffentlichungen tragen nicht zu einem angemessenen Auskommen bei. Genügsam fügt er sich in sein Schicksal und erträgt es mit unerschütterlicher Frömmigkeit. Ein letzter Lichtblick: Einige Monate vor seinem Tod erreicht ihn die Nachricht, dass nach der preußischen nun auch die französische Akademie der Wissenschaften seine Leistungen anerkennt und ihn zum Mitglied gewählt hat.

Abraham de Moivre (1667–1754)

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