Der Mathematische Monatskalender: Apollonius von Perge (262–190 v. Chr.)
Dass die griechische Postverwaltung bisher nur an die Mathematiker Thales (624 – 547 vor Christus), Pythagoras (580 – 500 vor Christus) und Archimedes (287 – 212 vor Christus) erinnert hat, alle anderen aber, wie beispielsweise Euklid von Alexandria (360 – 280 vor Christus) oder Apollonius von Perge, vergaß, kann nicht allein daran liegen, dass es keine authentischen Porträts dieser Persönlichkeiten gibt.
Als um das Jahr 800 islamische Wissenschaftler in Bagdad beginnen, die noch erhaltenen griechischen Originalschriften zu sammeln und ins Arabische zu übersetzen, sind es vor allem die Werke von Euklid, Archimedes und Apollonius, um deren Erhalt sie sich bemühten.
Über den berühmten Mathematiker Apollonius (der Zusatz von Perge hilft, ihn von anderen griechischen Gelehrten gleichen Namens zu unterscheiden) weiß man nur, dass er in Perge (in der Nähe der heutigen Stadt Antalya) geboren ist, dass er zum Studium nach Alexandria geht, wo er später als Lehrer tätig ist und dort auch stirbt. Zwischenzeitlich lehrt er an der Universität von Pergamon (in der Nähe der heutigen Stadt Izmir).
Unsere Kenntnisse über den Mathematiker, von dem Descartes und Newton als »dem großen Geometer« sprechen, haben wir aus den Vorworten der verschiedenen Bücher seines wohl berühmtesten Werks Über Kegelschnitte (Konika), von dem nur die ersten vier der insgesamt acht Bücher (Kapitel) im Original erhalten sind.
Um das Jahr 800 existieren auch noch die Bücher V bis VII der Konika; sie werden von islamischen Wissenschaftlern übersetzt. Band VIII gilt bereits damals als verloren gegangen; als Erster versucht Ibn al-Haitham (965 – 1039) eine Rekonstruktion aufgrund der Bezüge in den Schriften von Pappos, dem letzten bedeutenden griechischen Mathematiker (um 300 nach Christus). Im Jahr 1710 veröffentlicht Edmond Halley eine Gesamtausgabe Apollonii Conicorum libri octo (Buch I bis IV im Original, Buch V bis VII in lateinischer Übersetzung, Buch VIII in der von ihm rekonstruierten Fassung).
Bereits Archimedes und Euklid beschäftigten sich mit den Kurven, die entstehen, wenn man einen ebenen Schnitt durch einen Kegel vornimmt; die von ihnen betrachteten Kegel waren jedoch durch Drehung eines rechtwinkligen, spitzwinkligen oder stumpfwinkligen Dreiecks erzeugt worden, und der Schnitt erfolgte jeweils senkrecht zur Kegel-erzeugenden Dreiecksseite. Apollonius hingegen untersucht Schnitte an einem beliebigen Doppelkegel; diese Doppelkegel werden durch Geraden erzeugt, die durch einen (in einer Ebene liegenden) Grundkreis sowie einen festen Punkt (Kegelspitze) außerhalb der Ebene verlaufen. Je nach Schnittwinkel ergeben sich an ein und demselben Doppelkegel verschiedene Schnittkurven: Erfolgt der Schnitt parallel zu einer erzeugenden Geraden, so entsteht eine Parabel; schneidet die Ebene beide Teile des Doppelkegels, so ergeben sich zwei Hyperbeln (erst im 17. Jahrhundert spricht man von den beiden Ästen einer Hyperbel), ansonsten eine Ellipse (im Spezialfall ein Kreis). So schafft Apollonius eine einheitliche Theorie der Kegelschnitte, die später zum Vorbild für die Analytische Geometrie von Descartes wird.
Im Buch I der Konika klärt Apollonius die Grundbegriffe und die charakteristischen Eigenschaften (sogenannte Symptoma), wodurch sich die Kurven unterscheiden. Er beweist, dass die Mittelpunkte von zueinander parallelen Sehnen auf einer Geraden liegen, dem Durchmesser des Kegelschnitts. Satz 1 aus Buch I besagt, dass die Symptoma unabhängig von der Wahl des gewählten Durchmessers gelten.
Heute ist es üblich, Kegelschnitte durch eine gemeinsame Scheitelgleichung zu beschreiben: \(y^2 = 2px – (1 – \epsilon^2) \cdot x^2 \), wobei \( \epsilon \) als numerische Exzentrizität bezeichnet wird und für \(\epsilon > 1\) eine Hyperbel, für \(\epsilon = 1\) eine Parabel und für \(\epsilon < 1\) eine Ellipse entsteht.
Die Kegelschnitte lassen sich aber auch wie folgt durch Flächenvergleiche charakterisieren.
Dazu betrachtet man die Gleichungen in der Form \(y^2 = 2px\) (Parabel), \(y^2 = 2px \pm \frac{p}{a}x^2 \) (Hyperbel beziehungsweise Ellipse). Wählt man auf dem oberen Ast der Parabel einen Punkt \(P (x | y)\) als Eckpunkt eines Quadrats mit der Seitenlänge \(y,\) dann ist dieses Quadrat (blau) flächengleich zu einem Rechteck (orange) mit den Seitenlängen \(x\) und \(2p.\) Dabei ist diese Seitenlänge \(2p\) gerade die Länge der Sehne durch den Brennpunkt des Kegelschnitts; sie wird auch als latus rectum (Quermaß) bezeichnet, \(a\) als latus transversum .
Liegt der Punkt \(P (x | y)\) auf der Hyperbel beziehungsweise Ellipse, dann muss das Rechteck mit Flächeninhalt \(2px\) um den Betrag \(\frac{p}{a}x^2\) vergrößert beziehungsweise verkleinert werden, damit es flächengleich zu dem Quadrat mit der Seitenlänge \(y\) ist. Die BezeichnungenParabel, Hyperbel, Ellipsestammen von Apollonius; das griechische Wort paraballein bedeutet »vergleichen«, hyperballein »übertreffen« beziehungsweise elleipein »mangeln«.
Während Apollonius in den ersten vier Büchern der Konika noch an Erkenntnisse seiner Vorgänger anknüpfen kann, entwickelt er in den Büchern V bis VIII die Theorie weiter: kürzeste und längste Strecken von einem Punkt außerhalb, Untersuchung der Normalen und Subnormalen, Bestimmung des Krümmungsmittelpunkts und Krümmungskreises, konjugierte Durchmesser, spezielle Konstruktionsaufgaben.
Aus verschiedenen Quellen weiß man, dass sich Apollonius auch intensiv mit der Frage beschäftigt hat, welche Konstruktionen ausschließlich mit Zirkel und Lineal möglich sind. Außerdem hat er eine Reihe weiterer Werke verfasst, die sowohl im Original als auch in der arabischen Übersetzung verloren gegangen sind; sie werden im 17. Jahrhundert teilweise rekonstruiert, beispielsweise:
De Locis Planis: Diese Sammlung von Sätzen über geometrische Örter, die ausschließlich Geraden und Kreise sind, fasziniert den jungen Pierre de Fermat so sehr, dass er 1629 versucht, sie wieder herzustellen: Apollonii Pergaei libri duo de locis planis restituti.
Üblicherweise wird ein Kreis als eine Menge von Punkten definiert, die von einem bestimmten Punkt M dieselbe Entfernung haben. Apollonius beweist, dass man ihn auch als Menge von Punkten definieren kann, deren Entfernungen von zwei vorgegebenen Punkten in einem konstanten Verhältnis \(a : b\) stehen. Zum Beweis verwendet er den Satz über das Teilverhältnis einer Seite durch die Winkelhalbierende des gegenüber liegenden Punktes und den Satz des Thales. Die Abbildung rechts zeigt Apollonius-Kreise mit verschiedenen konstanten Verhältnissen – kehrt man das Verhältnis um, so erhält man jeweils den an der Mittelsenkrechte der Strecke gespiegelten Kreis.
De Tactionibus: Gegeben sind drei geometrische Objekte (Punkte, Geraden oder Kreise) – gesucht ist ein Kreis, der durch die vorgegebenen Punkte verläuft beziehungsweise die vorgegebenen Geraden beziehungsweise Kreise berührt. François Viète (Franciscus Vieta) veröffentlicht im Jahr 1600 eine Rekonstruktion des Werks unter dem Titel Apollonius Gallus (er bezeichnet sich also selbst als der Apollonius Frankreichs). Insgesamt gibt es zehn mögliche Fälle mit im Allgemeinen mehreren Lösungen. Descartes beschreibt die Lösung des letzten Falls (Apollonisches Berührproblem) mithilfe einer Gleichung: \(2 \cdot (k_1^{2} + k_2^2 + k_3^2 + k_4^2) = (k_1 + k_2 + k_3 + k_4)^2 \), wobei \(k_i = \pm \frac{1}{r_i} \) (Krümmung der Kreise).
Apollonius leistet auch einen bemerkenswerten Beitrag zur Astronomie: Gemäß dem Dogma des Aristoteles, dass sich Himmelskörper auf Kreisbahnen bewegen (müssen), gelingt es ihm, dies mit der Beobachtung der Rückläufigkeit der Planeten in Einklang zu bringen, indem er für die Planetenbahnen kleine Kreise (Epizykel) angibt, deren Mittelpunkt sich wiederum auf einer Kreisbahn bewegt – Grundlage für das geozentrische Weltbild von Hipparchos (190 – 120 vor Christus) und Claudius Ptolemäus (100 – 180 nach Christus). Auch Nikolaus Kopernikus benötigt noch Epizykel, um seine Beobachtungen mit dem heliozentrischen Weltbild in Einklang zu bringen. Erst die Erkenntnis von Johannes Kepler, dass sich die Planeten auf Ellipsen und nicht auf Kreisen bewegen, macht diese komplizierten Ansätze überflüssig.
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