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Der Mathematische Monatskalender: Joseph-Louis Lagrange (1736–1813): Großer Mathematiker und Physiker

Der französische Mathematiker italienischer Herkunft wuchs als ältestes von 11 Kindern eines Kriegsschatzmeisters in Turin auf.
Joseph-Louis Lagrange

Der französische Mathematiker italienischer Herkunft (Eintragung im Taufbuch: Giuseppe Lodovico Lagrangia) wuchs als ältester von 11 Kindern eines Kriegsschatzmeisters in Turin auf (damals Königreich Sardinien). Der Vater plante für seinen Sohn eine Laufbahn als Rechtsanwalt, stimmte einem Wechsel des Studiums erst nach finanziellen Fehlspekulationen zu.

Der 17-jährige hatte nach der Lektüre eines Buches von Edmond Halley über algebraische Anwendungen in der Optik beschlossen, sich zukünftig nur noch mit Mathematik und Physik zu beschäftigen. Mit 18 Jahren schrieb er (in lateinischer Sprache) einen Brief an Leonhard Euler nach Berlin, um auf Analogien zwischen dem Binomischen Lehrsatz und den höheren Ableitungen eines Produkts von Funktionen hinzuweisen. Für das Produkt zweier Funktionen \(f\) und \(g\) gilt nämlich: \((f \cdot g)' = f'\cdot g + f\cdot g' ,\) \( (f\cdot g)'' = f''g + 2\cdot f'\cdot g' + f\cdot g'',\) \( (f\cdot g)'''\) \( = f'''\cdot g + 3\cdot f''\cdot g' + 3 \cdot f'\cdot g'' + g'''\) allgemein: \((f\cdot g)^{(n)} = \binom{n}{0} \cdot f^{(n)} \cdot g(0) +\binom{n}{1} \cdot f^{(n-1)} \cdot g(1)\) \(+ \binom{n}{2} \cdot f^{(n-2)}\cdot g^{(2)}+...+ \binom{n}{n} \cdot f(0) \cdot g^{(n)}\)

Euler war von diesen Arbeiten so beeindruckt, dass er den Präsidenten der Berliner Akademie der Wissenschaften, Pierre Louis Moreau de Maupertuis, bat, Lagrange eine Stelle in Berlin anzubieten. Lagrange lehnte das Angebot aus Bescheidenheit ab, wurde korrespondierendes Mitglied der Akademie.

Mit 21 Jahren gründete er die Königliche Akademie der Wissenschaften in Turin und wurde Mitherausgeber der Zeitschrift »Mélanges de Turin“ die Beiträge in französischer und lateinischer Sprache veröffentlichte. Zu diesen gehörten auch zahlreiche Beiträge von Lagrange selbst: Untersuchungen zur Theorie der Schwingungen von Saiten und zur Mechanik von Flüssigkeiten, über die Umlaufbahnen von Jupiter und Saturn sowie zur Wahrscheinlichkeitsrechnung.

1763 machte er seine erste Auslandsreise – das Ziel war London; wegen Erkrankung musste er die Reise in Paris abbrechen. Dort lernte er Jean-Baptiste le Rond d'Alembert kennen, der ihm eine angemessenere Stelle als die in Turin vermitteln wollte. Lagrange gewann mehrfach Preise der Pariser Académie des Sciences (für Arbeiten über die Mondbewegung sowie über die Umlaufbahnen der Jupitermonde).

1766 wurde Lagrange durch d'Alembert ermuntert, nach Berlin zu wechseln; er nahm das Angebot des preußischen Königs Friedrichs II aber erst an, als klar war, dass Euler wieder nach St. Petersburg zurückkehren würde. So wurde Lagrange dessen Nachfolger als Direktor der mathematischen Klasse der Preußischen Akademie der Wissenschaften.

Während seiner 20-jährigen Tätigkeit in Berlin entwickelte er die Methoden zur Behandlung von Funktionen mehrerer Variabler und zur Lösung von Differentialgleichungen weiter. Nach dem Tod Friedrichs II im Jahr 1786 erhielt Lagrange mehrere Angebote, entschied sich aber für eine Stelle in Paris, wo er mit Unterstützung von Adrien Marie Legendre seine Arbeit an der »Mécanique analytique« (Analytische Mechanik) abschließen konnte; in diesem Werk wurden zahlreiche physikalische Probleme gelöst – ausschließlich unter Verwendung mathematischer Methoden.

In der französischen Revolution wurde er zum Mitglied im Komitee für Erfindungen und das Münzwesen sowie des ‚Bureau des Longitudes' ernannt, das die Einführung eines dezimalen Maß-Systems vorbereiten sollte. Als ein Gesetz die Enteignung aller Bürger ausländischer Herkunft vorsah, verwandte sich Antoine Laurent de Lavoisier für ihn und erreichte eine Ausnahme – wenige Monate später wurde Lavoisier selbst Opfer der Guillotine in der Phase der revolutionären Schreckensherrschaft.

Unter Napoleon wurde Lagrange wieder rehabilitiert und mit Titeln und Verdienstorden geehrt. Seine letzten Werke gaben entscheidende Impulse für die Weiterentwicklung der Differentialgeometrie (Behandlung von Kurven und Flächen im Raum) und der Funktionentheorie (Analysis komplexwertiger Funktionen).

Noch heute erinnern zahlreiche Sätze und Begriffe an die Leistungen von Lagrange:

Der Vier-Quadrate-Satz von Lagrange besagt, dass sich jede natürliche Zahl als Summe von höchstens 4 Quadratzahlen darstellen lässt. Er bewies, dass eine natürliche Zahl \(n\) genau dann eine Primzahl ist, wenn \((n-1)! + 1\) durch \(n\) teilbar ist.

Außerdem zeigte er, dass die Kettenbruchentwicklungen von Quadratwurzeln stets unendlich periodisch sind (Euler bewies die Umkehrung):

\[ \sqrt{2}= 1+ \frac{1}{2 + \frac{1}{2+ \frac{1}{2+ \frac{1}{2+\frac{1}{2+\frac{1}{2+...}}}}}}, \sqrt{3}= 1+ \frac{1}{1 + \frac{1}{2+ \frac{1}{1+ \frac{1}{2+\frac{1}{1+\frac{1}{2+...}}}}}} \]

Außerdem bewies Lagrange, dass die Gleichung \(Dx^2 + 1 = y^2\) in der Menge der ganzen Zahlen lösbar ist, wenn \(D\) eine nichtquadratische natürliche Zahl ist, und gab ein Verfahren zur Bestimmung der unendlich vielen Lösungspaare an. Die »kleinste« Lösung zum Beispiel für \(11x^2 + 1 = y^2\) ergibt sich so: Man betrachtet einen Teils des Kettenbruchs von \(\sqrt{11}\) bis zur vorletzten Stelle, bevor sich die Ziffern wiederholen, also \(3+\frac{1}{3}=\frac{10}{3}\) Die kleinste Lösung ist dann das Paar \((3,10)\); es gilt \(11 \cdot3^2+1 = 10^2\). Die weiteren Lösungen ergeben sich aus den Potenzen von \((3+\sqrt{11}+10)^2 = 60\sqrt{11}+ 199\), also \((60|199)\), das nächste Lösungspaar aus \((3\sqrt{11} + 10)^3= 1197 + 3970\sqrt{11}\), also \((1197|3970)\) und so weiter.

Lagrange schätzte den Fehler ab, den man macht, wenn man die Taylor-Entwicklung einer Funktion nach \(n\) Schritten abbricht (so genanntes Lagrangesches Restglied): \(f(x)=f(a)+(x-a)\cdot f'(a)+\frac{(x-a)^2}{2¡} \cdot f''(a)+...\) \(+...\frac{(x-a)^n}{n!}\cdot f^{(n)}(a)+\frac{(x-a)^{n+1}}{(n+1)!} \cdot f{(n+1)}(a+ \theta)(x-a)),\) \(\ \ \theta\in]0,1[\)

Er gab einen allgemeinen Term für ein Polynom n-ten Grades an, dessen Graph durch gegebene (n+1) Punkte verläuft (Lagrangesche Interpolationsformel), zum Beispiel für \(n = 2\):\(f(x)= \frac{(x-x_2)(x-x_3)}{(x_1-x_2)(x_1-x_3)} \cdot y_1 + \frac{(x-x_1)(x-x_3)}{(x_2-x_1)(x_2-x_3)} \cdot y_2+ \frac{(x-x_1)(x-x_2)}{(x_3-x_1)(x_3-x_2)} \cdot y_3\)

Nach Lagrange sind Formeln benannt (so genannte Lagrange-Identitäten), beispielsweise für \(n=2\):(p>

\( (a_1^2+a_2^2)(b_1^2+b_2^2)=(a_1b_1+a_2b_2)^2+(a_1b_2-a_2b_1)^2\)

\(n=3\):

\((a_1^2 + a_2^2+a_3^2)(b_1^2+b_2^2+b_3^2) \) \(= (a_1b_1+a_2b_2+a_3b_3)^2 \) \(+ (a_1b_2-a_2b_1)^2\) \(+ (a_2b_3-a_3b_2)^2\)

und auch eine Vektorgleichung: \((\vec{a}\cdot \vec{b}) \cdot (\vec{c} \cdot \vec{d}) = (\vec{a}\cdot \vec{c}) (\vec{b} \cdot \vec{d}) -\vec{b}\cdot \vec{c}) (\vec{a} \cdot \vec{d})\)

Auch leitete er eine Formel zur Berechnung des Volumens \(V\) einer dreiseitigen Pyramide mit den Eckpunkten: \(O(0|0|0),\) \(A(a_1|a_2|a_3),\) \(B(b_1|b_2|b_3),\) \( C(c1|c2|c3)\) her:

\(V = \frac{1}{6} \cdot [c_1(a_2b_3 – b_2a_3) + c_2(a_3b_1 – b_3a_1) + c_3(a_1b_2 – b_1a_2)]\)

Januar 2006

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