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Die wissenschaftliche Illustration. Von der Höhlenmalerei zur Computergraphik


Es ist erfreulich, daß der Klappentext das Buch einen „Streifzug zu den Quellen menschlichen Wissens“ nennt, somit auf die sonst leider übliche Hochstapelei verzichtet und genau das bezeichnet, was der Autor beabsichtigt hat. Es sollte kein Lehrbuch werden und kein Standardwerk, es gibt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder erschöpfende Behandlung; eher erinnert der Band an eine Ausstellung, in der man sich durch Bilder beeindrucken läßt und das erwachende Interesse mit informativen Texten stillen kann. Harry Robin, Wissenschaftshistoriker und Akustiker, und der Verlag haben die Möglichkeiten, die das Thema bietet, voll genutzt und ein in jedem Sinne schönes Buch zustande gebracht: einen großformatigen Band, in schweres Leinen gebunden, Abbildungen in hervorragender Qualität, die meisten – den historischen Quellen entsprechend – in Schwarzweiß, vor allem die neuesten aber auch in Farbe.

Die Thematik wirft mehrere Aspekte auf. Zwei davon deuten sich im Untertitel „Von der Höhlenmalerei zur Computergraphik“ an. Die historische Komponente wird in einem Vorwort von Daniel J. Kevles konsequent und übersichtlich behandelt. In den Zeichnungen spiegeln sich die Veränderungen im Weltbild des Menschen und insbesondere der Weg der Wissenschaft, der in immer abstraktere Bereiche führt, so daß die Bilder immer weniger für sich selbst sprechen, sondern Wissen voraussetzen, ausführlicher Erklärung bedürfen.

Der Untertitel deutet aber auch auf die Frage der Methodik, die sich Jahrhunderte hindurch auf die manuelle Darstellung beschränkte, dann aber durch die Photographie um ganz neue Formen der Visualisierung bereichert wurde. In einigen wenigen Bildern deutet sich schließlich die Computergraphik an, die von der reinen Wiedergabe weg und zum Experimentieren mit Bildern, zur Simulation überleitet. Doch diese Grenzüberschreitungen würden den Rahmen eines einzelnen Buches sprengen, und so werden sie nur am Rande erwähnt, ebenso wie der schon früher vollzogene Schritt vom stillstehenden zum bewegten Bild (obgleich der Autor mittlerweile als Produzent von Dokumentarfilmen in Hollywood lebt).

Einige weitere Aspekte erschienen dem Autor so wichtig, daß er auf sie die Einteilung des Buches in sechs Abschnitte abstimmte. Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Illustration ist für ihn die Beobachtung und der damit verbundene Wunsch, das Gesehene für sich selbst und andere festzuhalten – so wie es aussah. Der folgende Schritt, jener der Induktion, geht über das Abbilden hinaus zur Deutung. Als nächstes kommt die gezielte Anfrage an die Natur, das Experiment; Gegenstand des Bildes kann die Versuchsanordnung ebenso sein wie das manipulierte Phänomen. Ein weiterer Abschnitt bringt die Bilder solcher Vorgänge, die sich selbst darstellen; gemeint sind Vorgänge, die Spuren hinterlassen, so wie etwa Wachstumsringe Auskunft über den Werdegang der einzelnen Bäume und zudem über das maßgebende Klima geben. In diesem Sinne wird auch das Verfahren der Photographie – Spuren des Lichts auf der Photoschicht – verstanden, und zwar in allen ihren Arten und Abarten, von den Spurenbildern in einer Blasenkammer bis zu Aufnahmen von Galaxien. Als fünfter Aspekt wird die Klassifizierung genannt, verkörpert durch Bilder, in denen sich eine naturgegebene oder vom Menschen vermutete Ordnung ausdrückt. Der sechste Abschnitt ist schließlich der Begriffsbildung gewidmet und damit einer Art von Bildern, mit denen ihr Schöpfer in kreativer Weise über das Vorgegebene hinausgeht, etwa in einer physikalischen Theorie, einer technischen Erfindung oder auch einer Vision von etwas, das in unserer Welt nicht unbedingt existieren muß, sondern nur in der Phantasie seines Schöpfers.

Man mag Robin in dieser Einteilung folgen oder nicht – immerhin gibt sie ihm die Möglichkeit einer nichttrivialen Ordnung der Bilder, aus der sich auch eine Anregung ergibt, über die Hintergründe der Visualisierung nachzudenken. Sein erklärtes Ziel, das Verständnis für die Wissenschaft mit Hilfe faszinierender Bilder zu fördern, dürfte er mit diesem Buch erreichen.

Er weist darauf hin, daß die wissenschaftliche Sprache immer schwerer verständlich wird, so daß dem Laien im Bild oft die letzte Möglichkeit einer direkten Einsicht in Vorstellungen und Ergebnisse der Wissenschaft bleibt. Das ist heute, nachdem sich Computergraphik und visuelle Mathematik etabliert haben, besonders aktuell, und man ist sich längst im klaren darüber, wieso das Bild gegenüber allen anderen Medien – vor allem dem Text und der Formel – einen besonders guten Zugang eröffnet: Der Mensch ist ein Augentier, und sein Gehirn arbeitet in Bildern ausgedrückte Zusammenhänge noch in der vorbewußten Analyse heraus, so daß im Bewußtsein gewissermaßen schon die Ergebnisse ankommen und zur Bildung weiterer Beziehungen verwendbar sind. Bei Sprache und Formeln dagegen muß ein beträchtlicher Teil der Bewußtseinskapazität darauf verwendet werden, diese Zusammenhänge erst mühsam abzuleiten. Die vielbeklagte Hinwendung zum Bild, die sich auch im steigenden Einsatz visueller Medien äußert, kann also – vernünftig angewandt – durchaus unsere Denkkapazität und unser Vorstellungsvermögen erweitern. Man darf dieses Buch als einen gelungenen Beitrag dazu ansehen.

Es ist aber auch für den gestandenen Wissenschaftler keineswegs reizlos; er wird die Akribie bewundern, mit der Robin die Bilder gesammelt und zusammengestellt hat, und dabei manches Kleinod entdecken, das bisher in kaum zugänglicher Originalliteratur versteckt war. Besonders beachtenswert – und von besonderer historischer Authentizität – sind dabei jene Abbildungen, die die Wissenschaftler selbst zur Illustration ihrer Publikationen angefertigt haben. Daß dabei Leonardo da Vinci und Ernst Haeckel nicht fehlen dürfen, ist selbstverständlich, doch selbst mancher Wissenschaftshistoriker wird über Originalzeichnungen von Johannes Kepler, Albert Einstein, Benjamin Franklin, Thomas Alva Edison, Charles Darwin, James Watson und Francis Crick erstaunt und entzückt sein.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1993, Seite 122
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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