Gute Frage: Wirken Placebos auch, wenn man weiß, dass sie wirkstofffrei sind?
Pillen ohne Wirkstoff können Krankheitssymptome lindern – etwa bei Depressionen, Rückenschmerzen, Schlafstörungen, Parkinson oder Migräne. Die Macht des Placeboeffekts belegten in den letzten Jahren mehrere wissenschaftliche Experimente.Typischerweise wird den Probanden dabei verheimlicht, dass es sich bloß um Zuckerpillen handelt. Stattdessen glauben sie, sie bekommen ein pharmakologisch wirksames Medikament. Das stellt Ärztinnen und Ärzte vor ethische und juristische Probleme: Muss man den Patienten anlügen, um ihm zu helfen? Nicht unbedingt! Denn neuerdings wird auch das Potenzial so genannter Open-Label-Placebos erforscht – also von Scheinbehandlungen, die ohne Täuschung auskommen.
Als einer der Ersten widmete sich Ted Kaptchuk von der Harvard Medical School diesem Thema. 2010 erschien eine Studie, für die er 80 Patienten mit Reizdarmsyndrom rekrutiert hatte – einer schwer behandelbaren Störung des Verdauungstrakts. Die Hälfte erhielt offen ein Placebo. Ihnen wurde gesagt, dass Placeboeffekte die Symptome lindern könnten und dass eine positive Einstellung hilfreich, aber nicht zwingend erforderlich sei. Die wirkstofflosen Pillen wurden über drei Wochen eingenommen. Die andere Hälfte absolvierte ebenfalls ein Untersuchungsgespräch, bekam jedoch keine Behandlung. Beiden Gruppen ging es am Ende besser. In der Placebogruppe hatten die Beschwerden jedoch sogar stärker abgenommen als in vergleichbaren Studien mit echten Medikamenten. In weiteren Studien an Patienten mit chronischen Rückenschmerzen waren offen verabreichte Placebos ebenfalls wirksam.
Meine Kollegen und ich konnten diese Studie 2019 replizieren: 60 Patienten erhielten dabei weiterhin die gleiche Behandlung wie zuvor, 67 andere bekamen zusätzlich 21 Tage lang zweimal täglich ein Placebo sowie die Information, dass Placebos bei Rückenschmerzen helfen können. Auch hier wirkte das Vorgehen. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule hatte sich zwar nicht gebessert, der Schmerz allerdings schon. Das ist wenig überraschend, denn Placeboeffekte beeinflussen eher subjektive Symptome wie Schmerz oder Stimmung. Bemerkenswert war: Die Erwartung der Probanden, dass das Placebo helfen würde, war vor allem zu Beginn schwach. Die Verbesserung kann also kaum durch Hoffnung oder positives Denken entstanden sein.
Wie war das möglich? Wir wissen noch nicht, weshalb offen verabreichte Placebos Beschwerden lindern können. Es gibt jedoch einige Erklärungsansätze. Zum einen könnte gerade die anfänglich geringe Erwartung einen Unterschied machen. Chronische Schmerzpatienten haben schon vieles ausprobiert und ihre Hoffnung in neue Medikamente wurden wiederholt enttäuscht. Bekommt ein Patient nun ein Placebo, malt er sich wahrscheinlich noch weniger Chancen aus als sonst. Tut der Rücken eines Morgens dann weniger weh, führt man das eher auf das Placebo zurück – und die Erwartungen wurden übertroffen. So könnte die Behandlung doch noch Hoffnung und ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und Kontrolle schüren, was zur Entspannung der Lage führt. Um diese Vermutung zu prüfen, wollen wir in Experimenten die positive Erwartung nicht nur zu Beginn, sondern fortlaufend erheben.
Zum anderen können unbewusste Lernprozesse hinter dem Erfolg stecken: Wir verknüpfen die Einnahme einer Tablette mit der lindernden Wirkung von Ibuprofen & Co., so dass allein das Schlucken ähnlicher Pillen den Schmerz lindert. Dies läuft automatisch ab, jenseits unserer bewussten Erwartungen. Placebos sollen wirksame Behandlungen nicht ersetzen, aber ergänzen, da sie helfen, Medikamente einzusparen und Nebenwirkungen zu verringern. Zuvor müssen wir die Mechanismen dahinter allerdings noch besser verstehen.
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