Grams' Sprechstunde: Antibiotikaresistenz – was bedeutet das?
»Antibiotikaresistenz – das nervt echt! Ich lasse mir das nicht mehr aufschreiben …«, so neulich eine Kindergartenmutter im Gespräch zwischen Tür und Angel. »Ich möchte nicht irgendwann resistent gegen Antibiotika sein, und meine Kinder auch nicht!«
Oha, da kamen aber mal wieder gleich eine Menge Missverständnisse auf einmal zusammen! Gut ist ja, dass viele Menschen mitbekommen haben, dass es in Bezug auf Antibiotika ein ernstes Problem gibt. Schlecht, dass Teilwissen und Missverständnisse die Fakten offenbar ab und zu ausstechen. Zunächst einmal: Es geht nicht darum, dass »wir« resistent gegen Antibiotika werden. Tatsächlich sollten »wir« es, im Gegenteil, unbedingt schon sein. Sprich: Ein für den Krankheitserreger schädliches Medikament – hier: Antibiotika – muss für uns Menschen verträglich sein, darf also keine (allzu schweren) negativen Auswirkungen haben. Sonst wäre ja vieles leichter: Mit Essigessenz oder Quecksilber könnte man Bakterien auch den Garaus machen, kein Problem. Nur ist das dann eben wenig zuträglich für den Patienten.
Antibiotika sind in der medizinischen Praxis ungemein wichtig: Bis vor rund drei Generationen waren bakterielle Infektionskrankheiten eine der Haupttodesursachen, und schon kleinste Verletzungen konnten, wenn man Pech hatte, schlimmste Folgen nach sich ziehen. Heute leben wir dagegen im Bewusstsein, dass ein »Infekt« doch eigentlich keine große Sache ist. Dabei sind die Gegner der Medizin alles andere als zu unterschätzen: Mikroorganismen wie Bakterien (und auch Viren, gegen die Antibiotika nicht helfen!) legen ein atemberaubendes Tempo bei ihrer Vermehrung vor – und schaffen es so, mit drastisch veränderten Umweltbedingungen klarzukommen.
»Drastisch verändert« ist die Umwelt aus Sicht der Bakterien etwa, wenn sie plötzlich in Antibiotika schwimmen und massenhaft sterben. In diesem Fall reicht es allerdings, wenn dabei nur buchstäblich ein paar wenige zufällig gegen das Antibiotikum gewappnete Bakterien überleben: Plötzlich konkurrenzlos, werden sie sich rasch vermehren, dabei ihre Mechanismen gegen das Medikament als genetische Information an ihre Nachkommen weitergeben und – im bakterientypisch atemberaubenden Tempo – zu einem nicht mehr angreifbaren, eben resistenten Stamm anwachsen. Zudem können sie die Widerstandsfähigkeit auch als genetische Information an andere Bakteriennachbarn übermitteln: Die Antibiotikaresistenz breitet sich aus.
Wenig hilfreich ist dabei, dass Patienten eine Antibiotikatherapie viel zu oft vorzeitig abbrechen. Sie werden sicher vom Arzt schon gehört haben, dass das verschriebene Mittel un-be-dingt auch die vorgeschriebene Zeit in der vorgeschriebenen Menge eingenommen werden muss. Leider tun das viele Menschen nicht. Man meint, wenn die Beschwerden schon ganz (oder beinahe) verschwunden sind, könne man den Rest ja getrost weglassen. Es geht aber bei der Antibiose (wie man die Therapie mit Antibiotika nennt) nicht nur darum, dass die Beschwerden verschwinden. Es geht darum, die Krankheitserreger möglichst schnell und vollständig zu töten. Fatal ist es dagegen, wenn ein paar schon angeschlagene Bakterien vor ihrem Absterben länger mit einer zu niedrigen Dosis Antibiotika konfrontiert sind: Die Keime lernen dann womöglich dazu und bekommen Zeit, um eine bisher gar nicht vorhandene Abwehrstrategie zu entwickeln. Verschärft wird die Gefahr womöglich dadurch, dass gerade gestresste Bakterien hektisch nach Auswegen suchen: Sie verändern sich in einer Art Notfallmechanismus noch schneller durch Mutationen – und erhöhen so die Chance, zufällig resistent zu werden.
All das verschärft sich mit der stetig steigenden Zahl der Verordnungen von Antibiotika: je mehr Verschreibungen, desto mehr Chancen auf Resistenzen. Inzwischen hat sich immerhin zu unser aller Glück herumgesprochen, dass Antibiotika bei Virusinfektionen massiv kontraindiziert sind, sprich: Sie helfen dort nicht, warten aber mit ihren Nachteilen auf. Das Problem der »Verdachtsverordnung« ist jedoch immer noch riesengroß. An dieser Stelle ist ein Seitenhieb auf unser Gesundheitssystem angebracht: Würden den Ärzten so genannte CRP-Schnelltests vergütet, würden sie in der Sprechstunde schneller feststellen, ob Patienten eine bakterielle Infektion haben (der Test auf CRP, das C-reaktive Protein, schlägt bei Virusinfektionen nicht an). Noch besser wäre es, könnte durch Schnelltests die Art des Bakteriums festgestellt werden. Denn dann könnte man mit schmalbandigen Antibiotika sehr gezielt therapieren. Oft wechselt der Arzt nach einer Laborbestimmung des Erregers auf ein auf diesen passendes schmalbandiges Mittel – statt nach Gusto ein Breitbandantibiotikum einzusetzen.
Der CRP-Test würde Medizinern schon helfen, die Gefahr von Resistenzentwicklung zu begrenzen. Auch Sie als Patient oder Patientin können aber einiges beitragen. Zu allererst: Beharren Sie beim Arzt nicht darauf, ein Antibiotikum verschrieben zu bekommen. Das geschieht nach meiner Erfahrung und Beobachtung viel zu oft (an dieser Stelle verdient sich die halbinformierte Kindergartenmutter von oben immerhin einen Pluspunkt). Vertrauen Sie Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin, wenn er oder sie zum verantwortlichen Abwarten rät, auch und gerade bei Ihren Kindern. Zudem besteht die Möglichkeit einer »verzögerten Verschreibung«, bei der das Rezept vom Patienten erst eingelöst wird, wenn eine zeitlich oder an besonderen Merkmalen festgemachte Verschlechterung eintritt. Das aber setzt hohe Bereitschaft zur Compliance, zur vertrauensvollen Zusammenarbeit von Arzt und Patient, voraus. Dann ist natürlich der nächste Punkt die Einnahme genau nach Vorschrift, die Einhaltung von Dosierung und Einnahmedauer – siehe oben.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt zudem weitere Punkte. Zum einen sollte man mit Antibiotika verantwortlich umgehen: Es sollte selbstverständlich sein, dass jeder sie nur nach ärztlicher Verordnung einnimmt. Niemals sollte man mit irgendjemandem Antibiotika teilen oder gar Reste einer angebrochenen Packung verschenken – und abgelaufene Antibiotika sollte man auch selbst nie einnehmen! Am besten geschützt ist zudem, wer es schafft, Infektionen gleich ganz zu vermeiden. Dabei gehört häufiges Händewaschen zu den probatesten Mitteln. Der Kontakt mit Infizierten sollte auf das Notwendige beschränkt bleiben und ein Krankenbesuch zur rechten Zeit erfolgen. Kranke Kinder gehören nicht in den Kindergarten.
Und ein vielleicht zunächst überraschender Rat: Halten Sie Ihren Impfstatus auf dem Laufenden. Ja, die meisten Impfungen richten sich zwar gegen Viruserkrankungen,doch wichtige bakterielle Infektionskrankheiten lassen sich durch eine Impfung ebenfalls vermeiden (etwa Haemophilus influenza b, Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten oder Pneumokokken). Und durch Impfungen bekämpfbare Viruskrankheiten wie (ganz besonders) die Masern sind eine »Einladung« für bakterielle Sekundärinfektionen, die meisten häufigen Masernkomplikationen sind solche.
Sollte die Medizin irgendwann keine wirksamen Antibiotika mehr haben, so hätte das äußerst fatale Auswirkungen für uns alle. Die WHO geht schon heute von jährlich weltweit 700 000 Todesfällen infolge von Antibiotikaresistenzen aus. Sie rechnet damit, dass sich diese Zahl im Jahr 2050 bis auf zehn Millionen erhöhen wird, wenn die aktuellen Forschungsanstrengungen vergebens bleiben. Es geht dabei nicht nur um die primär an Infektionen Erkrankten, sondern auch um solche mit schweren anderen Krankheiten wie Krebs, die nicht mehr ausreichend vor sekundären Infektionen geschützt werden können.
Die Antibiotikaresistenzen sind eines der ernstesten Probleme der heutigen Medizin. Tragen wir alle mit ein bisschen Verantwortung dazu bei, dass das Problem nicht noch größer wird, und vertrauen auf die wissenschaftliche Forschung, die auf Hochtouren läuft. Leider ist ein als hoffnungsvoll angesehenes Antibiotikum mit neuem Wirkansatz eben wieder gescheitert – es hatte zu starke Nebenwirkungen auf die Nierenfunktion.
Doppelt ärgerlich ist übrigens, dass in letzter Zeit propagiert wird, Homöopathie könne zur Lösung des Resistenzproblems beitragen. Warum, das ist mir trotz längeren angestrengten Nachdenkens schleierhaft geblieben. Denn war Zucker nicht eigentlich im Gegenteil ein idealer Nährboden für Bakterien?
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