Freistetters Formelwelt: Bilder in Mengen
Das Wort Urbild klingt nach etwas, mit dem man sich vielleicht in der Kunstgeschichte beschäftigen würde. Tut man aber nicht, denn ein Urbild sieht so aus:
Angenommen, man hat eine Funktion, die Elemente der Menge A auf eine Menge B abbildet. A ist dabei die Definitionsmenge, also all die Objekte, auf die die Funktion angewendet werden kann. B ist die Zielmenge, also alle möglichen Objekte, die prinzipiell das Ergebnis der durch die Funktion vorgegebenen Rechenoperation sein können.
Heute Morgen habe ich zum Beispiel nach neuen Laufstrecken in meiner Umgebung gesucht. Um einen Überblick zu bekommen, habe ich auf einer Karte zuerst abgeschätzt, wie weit bestimmte Orte in direkter Linie von meiner Wohnung entfernt sind. Ich habe also Punkte in der zweidimensionalen Ebene genommen und ihnen einen Abstand zugeordnet. Etwas mathematischer gesprochen, entspricht die Definitionsmenge hier allen Zahlenpaaren (x,y) in der euklidischen Ebene und die Zielmenge allen reellen Zahlen. Da der Abstand durch die Funktion f(x,y) = (x2 + y2)½ berechnet wird und nie negativ sein kann, werden aber nicht alle möglichen reellen Zahlen auch wirklich als Funktionswert angenommen. Die Bildmenge meiner Funktion ist also kleiner als die Zielmenge.
Damit nähern wir uns wieder dem Begriff des Urbilds. Was meine Laufstrecken angeht, möchte ich ja nicht alle möglichen Strecken ablaufen; die meisten davon wären viel zu lang. Wähle ich etwa alle Punkte auf der Karte aus, die genau zehn Kilometer von meiner Wohnung entfernt sind, bekomme ich eine Untermenge der Definitionsmenge. Alle Elemente in dieser Untermenge werden auf das Element 10 Kilometer in der Zielmenge abgebildet.
Was gehört wozu?
All diese möglichen Laufziele bilden das Urbild des Elements 10. Oder allgemein: Bei einer Funktion f, die bestimmte Elemente der Menge A auf Elemente der Menge B abbildet, ist die durch die obige Formel gegebenen Menge das Urbild von M unter f. Also die Menge aller Elemente x aus der Definitionsmenge A, für die die Funktion f(x) Teil von M ist.
Das Urbild ist ein wichtiges Konzept, wenn man die Eigenschaften mathematischer Funktionen verstehen will. Wenn zum Beispiel jedes Element der Zielmenge höchstens ein Urbild in der Definitionsmenge hat, dann wird die Funktion injektiv genannt. Ein Beispiel dafür wäre etwa die Funktion f(x) = x2, sofern sie sich auf die natürlichen Zahlen bezieht: Keine zwei unterschiedlichen natürlichen Zahlen können mit sich selbst multipliziert das gleiche Ergebnis liefern. Für die ganzen Zahlen ist f(x) = x2 aber nicht mehr injektiv, da etwa f(-4) = f(4) = 16 ist; in dem Fall hat das Element 16 der Zielmenge zwei Urbilder (beziehungsweise umfasst die Menge der Urbilder zwei Elemente).
Quasi das Gegenstück zu injektiven Funktionen sind surjektive Funktionen. Hier hat jedes Element in der Zielmenge mindestens ein Urbild. Jedes Element der Zielmenge wird also von der Funktion mindestens einmal als Funktionswert angenommen. Die Funktion f(x) = x2 ist nicht surjektiv, wenn sowohl die Definitions- als auch die Zielmenge durch die reellen Zahlen gegeben ist. Denn negative Zahlen haben dann kein Urbild; keine reelle Zahl kann quadriert ein negatives Ergebnis liefern.
Ist eine Funktion sowohl injektiv als auch surjektiv, dann wird sie bijektiv genannt. Jedem Element der Definitionsmenge wird genau ein Element der Zielmenge zugeordnet. Kein Wert der Zielmenge wird mehrfach angenommen, und jedes Element der Zielmenge wird angenommen. Die Quadratfunktion wäre zum Beispiel dann bijektiv, wenn sowohl Definitions- als auch Zielmenge nichtnegative reelle Zahlen sind.
Die Begriffe injektiv, surjektiv und bijektiv wurden in den 1950er Jahren eingeführt, um endlich Ordnung in die Terminologie bei der Beschreibung von Funktionen zu kriegen. Wer das alles immer noch verwirrend findet, kann sich damit trösten, dass früher alles noch viel chaotischer war.
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