Freistetters Formelwelt: Das Jonglier-Theorem
Als ich das erste Mal probiert habe, mit drei Bällen zu jonglieren, war ich neun Jahre alt. Ich scheiterte. Den nächsten Versuch habe ich erst knapp elf Jahre später gewagt, und da lief es auch nicht besser. Aber mittlerweile hatte ich mehr Ehrgeiz entwickelt, und nach ein paar Tagen Übung hatte ich herausgefunden, wie man die Bälle in der Luft halten kann. Und mir währenddessen Gedanken über die Mathematik des Jonglierens gemacht.
Ich war mir sicher, dass es so etwas geben musste, denn trotz aller Kunstfertigkeit ist das Jonglieren auch ein sehr formaler, algorithmischer Prozess. Bälle und Hände müssen exakt koordiniert werden, in wechselnden und trotzdem wiederholbaren und verknüpfbaren Mustern. Für so etwas muss es eine mathematische Beschreibung geben, und genau die habe ich dann auch gefunden. Zum Beispiel in einem Aufsatz des amerikanischen Mathematikers Claude Shannon.
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Er war nicht bloß der Begründer der »Informationstheorie«, sondern auch ein kreativer Jongleur. Shannon veröffentlichte 1993 die Arbeit »Scientific aspects of juggling«, die unter anderem diese Formel enthält:
Das ist Shannons »Jonglier-Theorem«. Es wirkt auf den ersten Blick recht simpel. F ist die Zeit, die ein Ball im Flug verbringt, D die Zeit, die er in einer Hand festgehalten wird. Mit V bezeichnet Shannon den Zeitraum, den eine Hand ohne Ball verbringt, und B und H sind Anzahl der verwendeten Bälle und Hände. Die Herleitung der Formel ist relativ simpel und basiert darauf, die grundlegenden Zyklen beim Jonglieren einerseits aus Sicht der Bälle und andererseits aus Sicht der Hände zu messen. Sie gilt ausschließlich für eine gleichmäßige Jonglage, bei der pro Hand stets nur ein Ball geworfen oder gefangen wird und F, D und V zwar voneinander verschieden sein können, selbst aber immer den gleichen Wert habe. Hinter der simplen Formel steckt allerdings viel mehr.
Warum fünf Bälle so schwer sind
Es ist zum Beispiel schwieriger, das Jonglieren mit zwei Bällen in einer Hand zu lernen, als drei Bälle mit zwei Händen in der Luft zu halten. Den Grund dafür kann man in Shannons Formel erkennen: Nimmt man an, dass man D und V nicht verändert, dann ist das Verhältnis von Bällen zu Händen direkt proportional zur Flugzeit F. Zwei Bälle in einer Hand müssen also höher geworfen werden als drei Bälle, die mit zwei Händen jongliert werden. Das macht sie schwerer zu kontrollieren.
Ich selbst hatte nach den drei Bällen auch die Jonglage mit zwei Bällen recht schnell gelernt. Sogar vier Bälle mit zwei Händen zu jonglieren, war nach ein paar Wochen Übung kein Problem mehr. Am Versuch, fünf Bälle in der Luft zu halten, bin ich aber bis heute gescheitert. Auch das kann man mit Shannons Formel verstehen. Geht man wieder davon aus, dass D und V fix sind (und sich auch die Zahl der Hände nicht ändert), wächst die Flugzeit linear mit der Anzahl der verwendeten Bälle.
Die Flugzeit selbst hängt jedoch nicht linear mit der Wurfhöhe zusammen, sondern steigt nur mit der Wurzel davon. Man muss also bei steigender Anzahl der Bälle überproportional hoch werfen, was die Dinge sehr schnell sehr schwierig macht. Je höher man wirft, desto mehr wirken sich kleine Fehler aus; das Fangen der Bälle wird schwieriger, und man braucht mehr Zeit dafür, was es wieder schwerer macht, sie korrekt zu werfen. Die Ungenauigkeiten können sich so weit verstärken, dass zwei Bälle zu fast der gleichen Zeit landen und dann natürlich nicht mehr rechtzeitig gefangen werden können.
Mit drei oder vier Bällen zu jonglieren, kann man – ausreichend Willen zur Übung vorausgesetzt – in ein paar Wochen lernen. Für den Schritt zu fünf Bällen brauchen allerdings selbst geübte Personen viele Monate oder gar Jahre. Doch Jonglieren macht Spaß, und man profitiert davon sowohl körperlich als auch mental. Die Mathematik des Jonglierens ist ein zusätzlicher Bonus, den man übrigens auch ganz ohne langwierige Wurfübungen genießen kann.
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