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Mäders Moralfragen: Das Leid der ungeborenen Menschen

Die Klimakrise werde uns alle töten, schreibt der US-amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen in seinen politischen Essays. Daraus entwickelt er einen gefährlichen Fatalismus.
Schützenswerter Planet

Als Jonathan Franzen vor einigen Jahren seinen Lesern erklärte, dass sie ihr Geld lieber in den Umwelt- und Artenschutz stecken sollten, statt sich um die Reduktion von Treibhausgasen zu kümmern, waren viele entrüstet. Im Sammelband »Das Ende vom Ende der Welt« klagt der renommierte Schriftsteller darüber: »Ich bin nicht in sozialen Netzwerken unterwegs, aber meine Freunde berichteten mir, ich würde als alles Mögliche beschimpft, etwa als Spatzenhirn und Klimawandelleugner.« Er versichert, dass er Respekt vor den Klimaschützern habe, die der Menschheit noch einige Jahrzehnte vor dem unausweichlichen Hitzetod erkaufen – jedes halbe Grad bringe etwas. Doch er bekräftigt seine Position: Anstatt über das bevorstehende Ende der Welt zu jammern, sollten wir uns dafür einsetzen, unsere Umwelt ein wenig zu verbessern. Der Klimawandel sei zwar eines der größten Probleme in der Geschichte der Menschheit, aber: »Meine einzige Hoffnung ist, dass wir die Realität rechtzeitig akzeptieren, um uns human darauf vorbereiten zu können.«

Auch der Band, in dem Franzens Essays aus den vergangenen Jahren versammelt sind, ist von vielen Rezensenten als kleinkariert beschrieben worden. Ich teile diese Kritik, doch ich möchte in dieser Kolumne auf den ethischen Kern der Argumentation eingehen. In einem Beitrag bringt der Hobbyornithologe Franzen seine Position so auf den Punkt: Vögel sind sicher anpassungsfähig genug, um mit steigenden Temperaturen zurechtzukommen. Tödlich sind für sie vor allem große Fensterscheiben und frei herumlaufende Katzen. Um diese aktuellen Gefahren müsse man sich mehr kümmern als um den Zustand der Welt in 50 Jahren. Franzen schreibt, er hoffe darauf, mit seinem Appell einige Spendendollars umzuleiten.

Warum überhaupt noch Umweltschutz?

Wenn es nur um dieses Beispiel ginge, könnte man Franzens Argument rein naturwissenschaftlich prüfen: Forscher könnten die Risiken für die Vogelwelt quantifizieren, so gut sich das machen lässt, und Franzen damit bestätigen oder widerlegen. Doch sein Argument trifft nicht nur auf Vögel zu, sondern ist von ihm ganz allgemein gemeint: »Rette, was du liebst«, lautet der Titel des besagten Essays. Für Franzen sind das die Vögel, die ihn in ihrer Vielfalt beeindrucken – und weil ihre Abstammungslinie auf die Dinosaurier zurückgeht. Aber auch andere Arten und Ökosysteme sind seiner Ansicht nach schützenswert, damit noch ein paar übrig sind, falls wir durch ein Wunder die Klimakrise überstehen sollten.

In einer Rezension von Franzens Essays auf der Plattform »RiffReporter« habe ich neulich argumentiert, dass wir nicht nur schützen sollten, was wir lieben, sondern vor allem diejenigen, die unter den Folgen unseres Handelns leiden würden. So, wie wir im Moment den Klimawandel befeuern, nehmen wir den Tod vieler Menschen in Kauf, die noch nicht geboren sind und die wir daher auch nicht lieben können. Für sie sind wir aber nicht weniger verantwortlich als für unsere Mitmenschen in der Gegenwart. Deshalb komme ich zu einer anderen Position als Franzen: Klimaschutz hat für mich Vorrang.

Warum überhaupt Prioritäten setzen?

Daraufhin haben mir einige Leser geschrieben, wir müssten das eine tun, ohne das andere zu lassen: Der Umweltschutz für heute und der Klimaschutz für morgen hängen miteinander zusammen. So mancher Boden, auf dem Vögel brüten, speichert zum Beispiel Kohlenstoff. Wer diese Landschaften schützt, tut auch etwas fürs Klima. Dieser holistischen Sicht auf die Natur will ich nicht widersprechen. Ich sehe mindestens drei dringende Gründe für Umwelt- und Artenschutz in der Gegenwart:

  1. Wir haben nicht das Recht, die Natur großflächig zu zerstören.
  2. Wenn eine Art ausstirbt, ist sie unwiederbringlich verloren. Die Evolution wird Millionen Jahre benötigen, um die Vielfalt des Lebens wiederherzustellen.
  3. Die Natur sichert unsere Lebensgrundlage – heute und in Zukunft.

Es geht mir aber nicht um die Frage, was wir tun müssen, sondern um unsere Motive fürs Handeln. Und hier finde ich, dass wir das erwartbar große Leid der kommenden Generationen berücksichtigen müssen, als sei es das Leid unserer Mitmenschen. Wir dürfen diese Generationen nicht weniger wichtig nehmen, bloß weil wir sie nicht kennen. Sich über die Motive zum Umwelt- und Klimaschutz zu verständigen, könnte auch Schwung in die Debatte bringen. Wir diskutieren zwar darüber, wie wir die Lasten gerecht verteilen können, doch über unsere Verantwortung reden wir selten.

Warum überhaupt noch hoffen?

Mit dieser Sichtweise wende ich mich auch gegen den wohl irritierendsten Teil von Franzens Argumentation: dass der Kampf gegen den Klimawandel hoffnungslos sei. Franzen spricht von einer »Fiktion, dass eine kollektive Anstrengung der Weltgemeinschaft das Schlimmste noch abwenden könnte«. Er wirft den Klimaschützern und Klimaforschern Unehrlichkeit vor, weil sie immer noch behaupten, es bleibe genug Zeit für eine Wende im Klimaschutz. Statt sich diesem hoffnungslosen Kampf zu widmen, beschränkt sich Franzen darauf, das Spendenbudget für Natur- und Umweltfragen anders aufzuteilen. Diese Haltung begründet er mit dem ethischen Prinzip, dass man nur dazu verpflichtet sei zu retten, was man liebe.

Da er persönlich nur 0,0000001 Prozent der globalen CO2-Emissionen zu verantworten habe, müsse er künftige Klimaschäden nicht wiedergutmachen, schreibt Franzen. »Ohne Hinweis auf einen konkreten von mir verursachten Schaden ist das intuitiv moralisch Richtige doch hierin zu sehen: das Leben zu leben, das mir geschenkt wurde, ein guter Bürger zu sein, meinen Mitmenschen freundlich zu begegnen und die Natur so gut zu schützen, wie ich kann.« Würde er jedoch das Leid der ungeborenen Menschen ernst nehmen, dürfte er nicht so argumentieren. Dann wäre klar, dass wir diese Katastrophe nicht akzeptieren dürfen – egal wie nah sie schon sein mag.

Die Moral von der Geschichte: Menschen vor der Apokalypse zu schützen, ist immer eine gute Idee.

Ja, auf jeden Fall.

Ja, etwas.

Ich bin unentschlossen.

Nein, eher nicht.

Nein, überhaupt nicht.

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