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Atommüll: Der Neustart der Endlagersuche ist gelungen

90 Regionen in Deutschland gelten als potenziell geeignet für ein Endlager. Damit ist die Suche vorbildlich neu gestartet. Doch es bleiben Risiken. Ein Kommentar.
Tunnel im schwedischen Versuchsendlager Äspö

Die Suche nach einem Endlager ist ein großes innerdeutsches Experiment: Gelingt es unserer Gesellschaft, eine kontroverse und für einen Teil der Bürger höchst unangenehme Entscheidung zu treffen, ohne dass es zu großen Protesten und Blockaden kommt?

Von der Antwort auf diese Frage hängt nicht nur die Zukunft der rund 10 500 Tonnen hochradioaktiven Mülls aus Atomkraftwerken ab, die Deutschland für eine Million Jahre sicher verwahren will. Es geht auch um ein innovatives Politikmodell: das der wissenschaftsbasierten Bürgerbeteiligung, die auf größtmögliche Transparenz setzt und so am Ende den bestmöglichen Kompromiss erreichen will.

90 Regionen gelten hier zu Lande für Atommüll als geologisch geeignet. Das hat die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) am 28. September bekannt gegeben. Die BGE zeigt damit beispielhaft, wie sich gesellschaftspolitische Fragen wissenschaftlich basiert klären lassen: ergebnisoffen, unvoreingenommen, nachvollziehbar.

Angst vor einem zweiten Gorleben

Nachdem die deutsche Regierung vor der Wende vorschnell einen Salzstock in der Nähe des Grenzorts Gorleben an der ehemaligen innerdeutschen Grenze ausgeguckt hatte, begehrten Anwohner und Aktivisten dagegen auf, für Jahrzehnte. Irgendwann kam nur noch ein Neustart der Endlagersuche in Frage. Die BGE entstand und hat seit 2016 ein mehrstufiges Verfahren ausgearbeitet, das die Fehler der Vergangenheit vermeiden soll.

Demnach gilt es, die Öffentlichkeit auf allen Etappen mit einzubeziehen. Es gibt für alle offene Regionalkonferenzen, Bürgersprechstunden, eine Infohotline. Das ist gut. Noch besser aber: Die Basis für die Suche legen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich auskennen. Das erste Ergebnis ist die Landkarte mit 90 großflächigen Teilgebieten, in denen der Untergrund stabil genug für radioaktiven Müll sein könnte, die die BGE nun der Öffentlichkeit präsentiert hat. Gorleben ist übrigens nicht dabei. Nun darf, ja soll, debattiert werden. Welche Regionen wirklich in Frage kommen, sollen weitere Analysen und Begehungen in den kommenden zehn Jahren zeigen. Erst 2031 soll ein Standort feststehen.

Das Vorgehen ist vorbildlich. Darin lässt sich sogar so etwas wie das viel beschworene Ideal eines herrschaftsfreien Diskurses sehen, in dem Machtgefälle keine Rolle spielen und in dem sich am Ende das auf Fakten basierende und deshalb beste Argument durchsetzt. Oder eben der fairste Kompromiss.

Gesucht: Ein fairer Kompromiss

Das gilt zumindest in der Theorie. Ob das Verfahren am Ende wirklich Akzeptanz für die Standortwahl schafft, hängt von seiner Form ab: Sind die Informationen verständlich aufbereitet? Nehmen sich Experten die Zeit, mit besorgten Bürgern zu diskutieren, und begegnen sie ihnen auf Augenhöhe? Machen die Wissenschaftler die Unsicherheiten ihrer Analysen transparent und weisen auf Restrisiken hin?

Selbst wenn die BGE all das berücksichtigt, kann das ganze Vorhaben scheitern. An Anwohnern, denen rationale Argumente herzlich egal sind, sobald sie selbst betroffen sind. Oder an Politikern, die einen Standort in ihrem Wahlkreis oder Bundesland ablehnen, wie es die bayerische Regierung zunächst getan hat. Im Fall der Endlagersuche sollte die Gesellschaft eine solche Politik konsequent abstrafen. Denn die Entscheidung für ein Endlager wird nur dann gesellschaftlichen Rückhalt finden, wenn diese nach fairen und nachvollziehbaren Kriterien erfolgt ist, sonst droht eine neue Odyssee im Stile Gorlebens.

Klar, die wenigsten würden sich für ein Endlager unter ihren Füßen entscheiden, von wo aus radioaktive Bestandteile schlimmstenfalls ins Grundwasser gelangen könnten. Aber irgendeine Gemeinde in Deutschland muss sich am Ende bereit erklären, so schmerzhaft das auch sein mag. Statt Kleingeist wird Großmut gefragt sein – und eine angemessene Wiedergutmachung durch solidarische Steuerzahler im Rest von Deutschland.

Gradmesser für die großen Gesellschaftsfragen

Die faktenbasierte Konsensfindung ist der Kern westlicher Demokratien. Am Ende ist die Endlagersuche daher ein Gradmesser dafür, wie gut unsere Gesellschaft mit den großen Herausforderungen dieser Zeit umgehen kann. Und wie handlungsfähig sie bei Reizthemen bleibt, vom Impfen über Gentechnik bis hin zu einer angemessenen Reaktion auf den Klimawandel. Denn auch in diesen Fällen gilt es, auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse eine gesellschaftliche Polarisierung zu überwinden.

Gelingt der Prozess bei der Endlagersuche, hat Deutschland mit einem Härtefall bewiesen, dass es eine kompromissfähige Wissensgesellschaft ist. Das würde Mut machen für die weiteren großen Krisen unserer Zeit. Und es würde das Land wohltuend von anderen Teilen der Welt abheben, in denen Fakten und gute Argumente längst hinter den persönlichen Interessen der Machthaber zurückgetreten sind.

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