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Angemerkt! : Die Invasion der Jahreswesen

Was haben Uhu, Tigerschnegel, Silber-Bernmoos und die Palmischbirne gemeinsam? Richtig, sie sind alle ein Tier oder eine Pflanze des Jahres und haben deshalb unseren Schutz verdient. Wäre aber manchmal nicht auch weniger mehr?
Gartenkürbis
Angefangen hat alles mit dem "Vogel des Jahres", der seit 1971 vom Naturschutzbund Deutschlands (NABU) und dem Landesbund für Vogelschutz (LBV), seinem bayerischen Pendant, alljährlich gekürt wird, und nicht selten hat die erhöhte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ihnen oder ihrem Lebensraum gut getan.

Viele Vögel wurden dadurch erst zu gefiederten Freunden des Menschen und wahren Sympathieträgern. Selbst der einst so verhasste Spatz ist jetzt ein beliebter Piepmatz, dem man gerne ein Stückchen Platz unter den Dachziegeln frei räumt. Von Schutzmaßnahmen für den Weißstorch – sein Bestand nahm seit dem Tiefpunkt 1988 wieder um 45 Prozent zu – haben auch weniger elegante Frösche profitiert.

Aber was einst eine sehr gute Idee für den Naturschutz war, nimmt mittlerweile massenhaften Charakter an und verkümmert daher fast zur Beliebigkeit. Viele der so genannten Jahreswesen gehen im allgemeinen Medienrauschen völlig unter oder werden von der überforderten Öffentlichkeit mit einem wurstigen Achselzucken ignoriert. Denn, was kümmert einen schon der Tigerschnegel?

Nichts gegen den Tigerschnegel (Limax maximus): Auch Weichtiere brauchen Schutz. Ob nun allerdings eine Nacktschnecke die Sympathien der Bevölkerung weckt, sei dahingestellt. Gemeinhin assoziiert der deutsche Schrebergärtner diese Tierchen nämlich eher mit Attacken auf seinen Salat oder die Erdbeeren im Frühbeet und rückt ihnen deshalb mit der Giftkeule auf die Schleimhaut.

Dennoch ist es vielleicht gut, mehr über den Schnegel zu erfahren: Gerade wir Männer sollten erblassen im Angesicht seiner ausgefeilten Liebestechniken. Nicht nur, dass das Gemächt des Schnegels ein Drittel seiner eigenen Körperlänge ausmacht – nein, er seilt sich mit seinem Partner oder seiner Partnerin – so genau lässt sich das bei den zwittrigen Schnecken ja nicht ausmachen – während des Aktes zusätzlich noch an einem Schleimfaden in die Tiefe ab. Welcher menschliche Adonis kann das schon von sich behaupten? Aber so ist es auch kein Wunder, dass man von der Schnecke des Jahres 2005 in den öffentlich-rechtlichen Programmen nichts hört oder sieht und sie somit in der Flut der Jahreswesen ein wenig untergeht.

Wo aber das Kuratorium "Weichtier des Jahres" seinen Schneckenkönig kürt, will die Arachnologische Gesellschaft zum Leid der Arachnophobiker nicht nachstehen. Deshalb ruft sie die durchaus adrette Zebraspringspinne (Salticus scenicus) zur Spinne des Jahres 2005 aus. Im Vergleich zum Schnegel kann sie zwar nicht mit einem derart exquisiten Liebesleben aufwarten, aber zumindest tut sie Menschen etwas Gutes: Zu ihren Leibspeisen zählen Mücken (und sie hat daher Heimrecht am Briefkasten des Autors)!

Was aber passiert, wenn die Spinne des Jahres ausgerechnet das Insekt des Jahres, das 2005 bislang noch nicht gekürt wurde, zur Leibspeise hat? Müssen wir da den einen vor dem anderen schützen? Nein, denn das ist nun mal die Natur, und da dürfen wir keine derartigen Prioritäten setzen.

Etwas absurd ist es allerdings, dass es neben dem Insekt auch noch den Schmetterling des Jahres gibt (der 2005 ebenfalls noch nicht benannt ist). Zählen denn nicht auch die Falter zu den Kerbtieren? Natürlich, aber vielleicht konkurrieren hier zwei Verbände um die öffentliche Aufmerksamkeit, und so wird die Liste der Jahrestiere eben um ein weiteres Exemplar erweitert.

Und was den Pharmazeuten vom Studienkreis "Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde" an der Universität Würzburg ihr Gartenkürbis ist den Naturheilern vom "Verein zur Förderung der naturgemäßen Heilweise nach Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus e.V." ihr Lein. Auf ein gemeinsames gesundheitsförderndes Kraut konnte und wollte man sich anscheinend nicht einigen. Vielleicht küren aber auch die Homöopathen demnächst ihr energetisch wirksamstes Kraut des Jahres, sodass der gesundheitsbewusste Leser bald vollends verwirrt ist.

Ebenfalls nicht ganz konform gehen die Obstbauern, wo gleich drei Landesverbände ihren Liebling küren. Heuer sind dies die Palmischbirne in Baden-Württemberg, die Metzer Mirabelle in Pfalz und Saarland sowie Hessens Ditzels Rosenapfel. Übertroffen wird diese Vielfalt nur noch durch die Pflanzenwelt mit Staude, Moos, Flechte, Blume, Orchidee, Baum und – ja, lasst ihn auch noch mit zur Botanik – Pilz des Jahres. Es fehlen also nur noch das Gras und die Brombeere des Jahres.

Die Brombeere? Ja, die Brombeere, denn sie hat schließlich ihr Vielfaltszentrum in Mitteleuropa. Nirgendwo gibt es mehr Spezies – Deutschland hat folglich eine besondere Verantwortung für sie.

Seit wann leben jedoch wieder Bären hierzulande? Eigentlich noch gar nicht, aber dies hindert die Schutzgemeinschaft Deutsches Wild nicht daran, ihn zum Tier des Jahres zu wählen. Eventuell überquert er ja im Laufe des Jahres von Österreich her die grüne Grenze – Schengen macht es möglich – und siedelt sich hier an. Schön wäre es ja, und eigentlich ist der Bär eine gute Wahl, aber schon bei der Toleranz hierzulande, die man Wolf und Luchs immer noch oft entgegenbringt, stünden die Zeichen dann wohl eher auf Sturm. Dagegen hilft vielleicht Aufklärung, aber die findet bislang noch nicht einmal auf den Seiten der Schutzgemeinschaft statt.

Was ließe sich also tun? Auch hier gehen die Vogelschützer wieder mit gutem Beispiel voran: In früheren Jahren haben sie sich manches Mal Vögel wie den Goldregenpfeifer oder den Wendehals ausgewählt. Aber kaum einer außer enthusiastischen Vogelbeobachtern sieht und kennt sie. Heute ist das anders, es sind nicht immer die seltensten Spezies, die vorgestellt werden. Aber sie stehen symbolisch für einen bestimmten Lebensraum oder eine ausgewählte Tiergruppe, die stark unter Druck stehen.

Eine Konzentration auf weniger, aber dafür symbolträchtigere Tiere und Pflanzen wäre folglich wünschenswert und ist im internationalen Naturschutz schon länger üblich: Man denke nur an die Ikone Pandabär, an Tiger, Elefanten oder große Papageien. Mit ihnen wirbt man, aber es profitieren alle, die sich mit diesen Flaggschiffarten den Lebensraum teilen: vom kleinen Pilz bis zum großen Mahagoni, vom Wurm bis zum Kudu. Und selbst für die Entomologen und Molluskenforscher gibt es einen Trost: Es gibt durchaus auch Insekten oder Schnecken, die diese Rolle einnehmen dürfen.

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