Freistetters Formelwelt: Eine bessere Art des Staubes
Wenn um Mitternacht am 31. Dezember die Raketen zum Himmel steigen und in bunten Farben über unseren Köpfen explodieren, dann werden die Feinstaubmessgeräte wieder massiv ausschlagen. Mehr als 1000 Mikrogramm Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 10 Mikrometern (PM10) pro Kubikmeter Luft können erreicht werden; über 50-fach mehr als der jährliche Mittelwert. 4000 Tonnen Feinstaub insgesamt gelangen laut Umweltbundesamt durch die Feuerwerkerei in die Luft: Das sind 15 Prozent dessen, was Autos und LKWs in einem ganzen Jahr ausstoßen.
Aus diesen – und anderen – Gründen bin ich persönlich kein großer Fan des Feuerwerks. Und beim Staub halte ich mich lieber an die Mathematik und an diese Formel:
Was hier beschrieben wird, ist eine »Cantor-Menge«, die sich aber viel einfacher in Worten erklären lässt: Man beginnt mit allen Punkten im abgeschlossenen Intervall zwischen 0 und 1. Daraus entfernt man nun das mittlere Drittel, also all die Zahlen, die zwischen ⅓ und ⅔ liegen. Nun bleiben zwei Intervalle übrig, nämlich das von 0 bis ⅓ und das von ⅔ bis 1. Mit diesen verfährt man wie zuvor: Jedes wird in drei Drittel geteilt und das mittlere davon entfernt. Nun hat man vier Intervalle übrig, mit denen man den Prozess wiederholt. Das Ganze passiert unendlich oft – und man könnte annehmen, dass man auf diese Art und Weise dann alle Zahlen zwischen 0 und 1 entfernt hat.
Das ist allerdings nicht der Fall. Auch nach unendlich vielen Iterationen bleibt noch etwas übrig, und zwar genau die durch die obige Formel definierte Menge, die nach dem deutschen Mathematiker Georg Cantor benannt ist, der darüber 1883 eine Arbeit verfasst hat. Tatsächlich bleiben nicht nur ein paar Punkte übrig, sondern überabzählbar viele. Die Cantor-Menge ist »mächtiger« als die der natürlichen Zahlen; ihre Elemente können nicht abgezählt werden (Das Konzept der unterschiedlich »großen« Unendlichkeiten wurde ebenfalls von Georg Cantor entwickelt).
Dass die Cantor-Menge mehr ist als »nichts«, kann man ebenfalls sehen, wenn man ihre »fraktale Dimension« berechnet. Rein geometrisch hat eine Linie eine Dimension von 1 und ein Punkt eine Dimension von 0. Auch eine Menge einzelner Punkte hat nur eine Dimension von 0, so wie eine Sammlung nicht zusammenhängender Linien selbst immer noch eindimensional ist.
Zumindest ist das in der klassischen Geometrie so, die sich jedoch durch das Konzept der fraktalen Dimension erweitern lässt. Bestimmte Formen haben so spezielle Eigenschaften, dass sie durch den noch aus der griechischen Antike stammenden Dimensionsbegriff nicht mehr ausreichend beschrieben werden können. Eine Linie kann zum Beispiel so sehr in sich selbst verwunden und verschlungen sein, dass sie schon eher einer Fläche ähnelt als einem eindimensionalen Objekt. Um das zu berücksichtigen, kann man ihr mit speziellen Methoden einen Dimensionswert zuweisen, der zwischen 1 und 2 liegt.
So eine fraktale, also nicht ganzzahlige Dimension lässt sich auch für die Cantor-Menge berechnen. Sie beträgt zirka 0,6309; die exakte Zahl erhält man aus der Division von ln(2) durch ln(3). Die Cantor-Menge ist also »weniger« als die eindimensionale Linie zwischen 0 und 1, mit der alles begonnen hat. Aber doch mehr als eine Menge an nulldimensionalen Punkten.
Der Prozess, der die Cantor-Menge erzeugt, kann auch auf eine Fläche oder ein Volumen angewandt werden – und dann erhält man etwas, was man tatsächlich als »Cantor-Staub« bezeichnen kann. Etwas vereinfacht ausgedrückt: Selbst wenn man alles wegnimmt, was da ist, bleibt trotzdem noch etwas übrig, und sogar mehr als unendlich viel. Was definitiv nach Staub klingt, zumindest dem, der sich trotz aller Entfernungsversuche immer wieder in meiner Wohnung sammelt!
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