Naturschutz: Insektensterben - und keiner will es gewesen sein
Seit 1905 existiert der Entomologische Verein Krefeld. Doch so viel Aufmerksamkeit wie 2017 haben die Insektenforscher vom Niederrhein wohl noch nie seit Beginn ihrer Arbeit erfahren. Um bis zu 80 Prozent sei die Zahl fliegender Insekten in einem von ihnen betreuten Naturschutzgebiet seit 1989 zurückgegangen: Schmetterlinge, Schwebfliegen, Wildbienen. So stand es unter dem Titel "Ermittlung der Biomassen flugaktiver Insekten im Naturschutzgebiet Orbroicher Bruch in den Jahren 1989 und 2013" in einer Mitteilung des Vereins, doch erregte diese erst einmal wenig mediale Aufmerksamkeit. Zwar bezog sich unter anderem der NABU 2015 in einem Artikel auf diesen Schwund, aber der drastische Befund verhallte ohne größeres Echo in der Presselandschaft.
Zwei weitere Jahre gingen ins Land, bis dieser Rückgang dann plötzlich doch Schlagzeilen machte. Erstaunlicherweise geschah dies zuerst auf Englisch in "Science", wo Gretchen Vogel im Mai eine gut recherchierte Geschichte rund um die Daten der Krefelder Insektenkundler herausbrachte. Zwei Monate später sprang schließlich auch die deutsche Presse auf und widmete sich in dutzenden Artikeln dem Ende unserer Kerbtiere. Aber warum? Die Grünen hatten das Thema im Wahlkampf für sich entdeckt und die erschreckende Aussage des Bundesumweltministeriums mit den 80 Prozent Rückgang verkündet. Danach wurde es von zahlreichen Zeitungen aufgegriffen und weiterverbreitet.
Seitdem tobt der Kampf um die Meinungshoheit. Die Daten werden angezweifelt. Ihre Übertragbarkeit auf die gesamte Republik wird in Frage gestellt. Und bei der Suche nach einer potenziellen Ursache weisen alle potenziell Verantwortlichen mit dem Finger weit von sich. Insektensterben? Ja, vielleicht. Aber ich bin nicht schuld ...
Sicher ist, dass die Daten stimmen: Akribisch haben die Mitglieder des Vereins teils über Jahrzehnte mit wissenschaftlich anerkannten Methoden Insekten gesammelt, bestimmt und die Daten ausgewertet. 1989 gingen ihnen 1400 Gramm Insekten in die Falle, 2013 waren es nur noch 300 Gramm. Eine weitere Wiederholung 2014 erbrachte übrigens ähnlich niedrige Zahlen, so dass beispielsweise ein kalter Winter 2012/13 nicht als Hauptursache in Frage kam. Mehr noch: Dank ihrer Sammlung konnten die beteiligten Hobby- und Profiforscher den Negativtrend ebenso für zahlreiche andere Standorte nachweisen, wo Insekten gesammelt wurden.
Nicht übertragbar, aber im Trend
Dennoch beschreiben die Daten nur eine spezifische Region am Niederrhein – wie Martin Sorg vom Entomologischen Verein Krefeld gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" betont. Natürlich ließe sich das nicht auf ganz Deutschland übertragen. Es handle sich um punktuelle Messungen. Aber überall, wo man nachschaue, seien die Bestände rückläufig, so der Biologe zur "FAZ". Diese Generalisierung war ein Werk der Politik und wurde von manchen Medien unkritisch übernommen – was später die Zweifel an den Zahlen befeuern sollte. "Die Ergebnisse von Hobbyforschern aus zwei Messpunkten in einem Krefelder Naturschutzgebiet zu einem deutschlandweiten Massensterben der Insekten aufzublasen, ist dagegen unseriös bis skandalös. Das schadet nicht nur der Sache, sondern vor allem der Glaubwürdigkeit aller Beteiligten", schreibt beispielsweise der Kommunikationsexperte Hasso Mansfeld in seinem Beitrag auf "Meedia", der seitdem in sozialen Medien eifrig diskutiert wird. Und in der "Süddeutschen Zeitung" wird die mediale Verzerrung der Krefelder Studie unter dem Titel "Wenn jede Alltagsbeobachtung zu Alarmismus führt" kommentiert.
Bei weniger kundigen Betrachtern dürfte sich nach der drastischen Warnung jetzt wahrscheinlich schnell der Eindruck festsetzen, dass die Umweltschützer einfach mal nur wieder übertreiben – so wie heute auf das Waldsterben in den 1980er Jahren zurückgeblickt wird, das mittlerweile nur noch als ein angebliches gilt (eine Betrachtung, welche die zahlreichen in der Folge eingeführten Gegenmaßnahmen wie die Rauchgasentschwefelung schlicht unterschlägt).
Dabei ist die Krefelder Studie nur ein markantes Ausrufezeichen, das Trends aus vielen Regionen der Bundesrepublik bestätigt. Gut untersucht sind beispielsweise die Schmetterlinge: Mehr als zehn Prozent aller in Bayern heimischen Arten sind demnach in den letzten Jahrzehnten ausgestorben, und sogar die Bestände noch häufiger Spezies wie des Tagpfauenauges befinden sich im freien Fall. Das ist die Quintessenz einer Analyse von 400 000 Datensätzen dazu, falls jemand Zweifel anmelden möchte. Noch schlimmer steht es um Wildbienen und Hummeln: Von den rund 560 in Deutschland heimischen Arten nehmen rund 60 Prozent an Zahl drastisch ab und sind gefährdet. Insgesamt steht knapp die Hälfte aller Insektenarten auf der Roten Liste. Wer diese Zahlen nicht glauben mag, kann sich an der viel besser erfassten Gruppe der Vögel orientieren. Denn als besonders bedroht gelten mittlerweile neben bodenbrütenden Wiesenvögeln vor allem jene Vertreter, die wie Schwalben, Mauersegler oder Neuntöter auf reichhaltige Insektennahrung angewiesen sind. Auch wenn es neben der Krefelder Studie nur wenige fest verortete Langzeitstudien gibt: Die Indizien aus allen Teilen der Republik sind eindeutig und werden durch Studien aus den Niederlanden oder Großbritannien bestätigt.
Schwierige Ursachenforschung
Deutlich komplizierter ist hingegen die Ursachenforschung. Zuerst wird natürlich auf die Landwirtschaft gedeutet – und das durchaus zu Recht. Zwischen 1995 und 2005 lag der Absatz von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland konstant bei rund 35 000 Tonnen jährlich – bis 2015 ist er auf 49 000 Tonnen im Jahr angestiegen. Die Mittel werden direkt gegen Schadinsekten eingesetzt oder gegen Unkräuter. Selbst wenn Gruppen wie Wildbienen nicht gezielt bekämpft werden, so leiden sie unter dem Nahrungsmangel, wenn Maisfelder bis zum Feldweg reichen und bunte Ackerränder verschwinden. Und auch direkte Folgen sind nicht ausgeschlossen: Als besonders umstritten gelten die Neonikotinoide – eine Gruppe rein synthetisch hergestellter Wirkstoffe, welche auf das Nervensystem von Insekten abzielen –, die womöglich den Rückgang von vielen Bestäubern ausgelöst haben könnten.
Pestizide sind aber nur ein Faktor. Die Intensivierung der Landwirtschaft allgemein zeigt Folgen: Wiesen werden heute oft fünf- bis sechsmal im Jahr gemäht und damit doppelt so häufig wie noch vor 30 bis 40 Jahren – blühende Kräuter werden daher bis auf wenige robuste Arten wie den Löwenzahn zurückgedrängt. Dazu kommt die gezielte Düngung oder der Eintrag von Stickstoff aus der Luft, der artenreiche Magerrasen in eintönige Wiesen umwandelt. Dadurch verlieren viele Arten ebenfalls ihre Nahrungsgrundlage, Spezialisten sterben aus. Diese Probleme kann man jedoch nicht allein den Bauern anlasten. Bürokratische Hindernisse etwa sorgten dafür, dass Landwirte nur schwer Blühränder neu an ihren Äckern anlegen können, so "topagrar". Die Intensivierung ist zudem auch unserem Verhalten als Verbraucher geschuldet, denn wir wollen vielfach günstige Lebensmittel, was sich auf dem Feld im Dünger- und Pestizideinsatz niederschlägt.
Eine Studie aus "Ecological Indicators" wiederum deutet an, dass die Zahl der Schmetterlinge in britischen Städten noch schneller schwindet als auf dem offenen Land. Brachflächen werden überbaut, Parks besenrein aufgeräumt, Gärten großzügig mit Insektiziden behandelt, damit keine Raupe an den Zierpflanzen knabbert. Hunderte Tonnen an Pflanzenschutzmitteln gehen jährlich für private Verbraucher in Deutschland über den Ladentisch. Oder aber die Gärten werden gleich auf Pflegeleichtigkeit optimiert und bestehen neben dem Zierrasen aus Kies und immergrünen Exoten. Hier lebt kein Insekt mehr. Die noch flächendeckend vorhandenen Straßenlaternen mit weißem Licht saugen dazu den Nachthimmel leer, weil nachtaktive Insekten von ihnen angezogen werden. Diese Motten umkreisen dann die Lampen, bis sie vor Erschöpfung sterben oder als leichtes Mahl für Fledermäuse dienen. Rund eine Milliarde Insekten könnten nach einer Hochrechnung pro Sommernacht hier zu Lande an den Laternen verenden. Und die Suche nach weiteren Ursachen ließe sich noch problemlos fortsetzen.
Ja, das Insektensterben ist also real und kein Medienhype, der von den Grünen geschickt im Wahlkampf platziert wurde! Jetzt gilt es, die Entwicklung umzukehren und die Beteiligten an einen Tisch zu holen. In der Landwirtschaft muss es ebenso ein Umdenken geben wie bei Privatleuten (als Verbraucher oder Gartenbesitzer). Dass viele Bauern durchaus gewillt sind, dem Negativtrend etwas entgegenzusetzen, zeigt sich unter anderem bei der Aktion "Ein bunter Meter für den Stieglitz" – ein Vogel zwar, aber er ist wie viele Insekten auf blütenreiche Nahrungsreviere angewiesen. Es wäre schön, wenn die Krefelder Studie dieses Umdenken beschleunigen könnte, selbst wenn sie nicht für ganz Deutschland repräsentativ ist.
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