Lobes Digitalfabrik: Sind Bots die besseren Beamten?
Der Behördengang ist anstrengend und zeitaufreibend. Man muss eine Nummer ziehen und im Wartezimmer ausharren, die in Juristendeutsch abgefassten Formulare sind selbst informierten Bürgern häufig unverständlich. Sogar wenn man nur eine Auskunft will, kann sich das Verfahren über Wochen hinziehen. Die Mühlen der Verwaltung mahlen langsam.
In den USA setzt man nun auf technische Unterstützung: Bei den United States Citizenship and Immigration Services (USCIS), der zentralen Einwanderungs- und Ausländerbehörde der Vereinigten Staaten, beantwortet neuerdings ein Chatbot Fragen der Bürger. Emma, wie der nach der Dichterin Emma Lazarus benannte virtuelle Assistent heißt, antwortet automatisiert auf digitale Bürgereingaben. Emma, die laut der Behörde flüssig Spanisch und Englisch spricht, assistiert bei der Navigation durch die Website oder bei der Beschaffung von Informationen. "Hello, I'm Emma. How may I help you?" (Hallo, ich bin Emma. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?), stellt sich die Maschine vor. Emma ist zwar nur ein basaler Bot, doch bei der Erteilung von Auskünften durchaus effektiver als eine träge Bürokratie. Die Frage ist: Bis zu welchem Grad lässt sich Verwaltungshandeln automatisieren?
Die Unternehmensberatung Deloitte hat kürzlich ein interessantes Dossier zusammengestellt, in dem die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz im öffentlichen Sektor analysiert werden. Kann Informationstechnologie das Regieren "smarter" machen? Das große Problem der zuweilen aufgeblähten Verwaltungsapparate ist, dass sie ineffizient arbeiten. Anträge stapeln sich auf den Schreibtischen der Sachwalter, Abteilungen sind unterbesetzt, Anfragen harren der Antwort. Papier ist bekanntlich geduldig. Durch die Delegation bestimmter Aufgaben könnten die Beamten und Verwaltungsangestellten von lästigem Papierkram befreit werden und sich wichtigeren Dingen widmen. Die Automatisierung bestimmter Aufgaben wie zum Beispiel von Rechtsauskünften könnte jährlich 96,7 Millionen Arbeitsstunden in allen US-Behörden freisetzen und 3,3 Milliarden Dollar einsparen, schätzen die Analysten von Deloitte. Sie denken an automatisierte Systeme, die Dokumente einlesen oder Formulare in verschiedene Sprachen übersetzen, an Chatbots, die Bürgersprechstunden ersetzen. Die Anwendungsfelder sind vielfältig.
Geschätzte 96,7 Millionen Arbeitsstunden könnten US-Behörden durch Automatisierung einsparen
Die US-Post nutzt zum Beispiel ein System, das automatisch die handschriftlich verfasste Postleitzahl auf Briefen erkennt; die Maschinen können bis zu 18 000 Briefsendungen pro Stunde scannen. Die Obama-Administration hatte im vergangenen Jahr einen Chatbot lanciert, mit dem Bürger mit ihrem Präsidenten genauso Kontakt aufnehmen konnten wie mit anderen Facebook-"Freunden". Seinen Nachfolger Donald Trump gibt es mittlerweile gleich mehrfach als automatisiertes Skript. Die Initiative Watson for President wollte IBMs Superrechner Watson, bekannt geworden durch seinen Sieg bei der Quizshow "Jeopardy!", gar als Präsidentschaftskandidaten nominieren – nach dem Motto: lieber eine berechenbare Maschine im Weißen Haus als ein unberechenbarer Mensch.
Auch auf der anderen Seite rüstet man technologisch auf: Der Stanford-Student Joshua Browder hat im vergangenen Jahr einen Chatbot entwickelt, der automatisiert Widerspruch gegen Strafzettel einlegt. Auf der Seite donotpay.co.uk kann der Verkehrssünder den Vorfall anhand vorgefertigter Satzbausteine schildern: zum Beispiel "Der Parkplatz war zu klein", "falsche Angaben auf dem Parkzettel" oder, ein eher unwahrscheinlichen Fall, "Das Fahrzeug genießt diplomatische Immunität". Daran knüpft ein Formular an, in dem man weitere Angaben zum Zeitpunkt und Ort, an dem das Knöllchen ausgestellt wurde, sowie weiteren Umständen macht. Ein Algorithmus stellt auf Grundlage der abgefragten Schlüsselbegriffe ein Gesamtbild der Situation her und generiert daraufhin ein individuelles Einspruchsschreiben. Der Dienst hat nach einem Bericht des "Guardian" in 160 000 von 250 000 Fällen zum Erfolg geführt. Das entspricht einer Erfolgsquote von 64 Prozent.
Allein, der Verfahrenskniff wirft Fragen auf: Müssen die Behörden den Beschwerden stattgeben, weil ihnen schlicht die Ressourcen zu einer sorgfältigen Bearbeitung jedes einzelnen Antrags fehlen? Muss die Stadtverwaltung vielleicht auch Chatbots einsetzen, um der Klageflut Herr zu werden? Kann sich nur Recht verschaffen, wer die besseren Algorithmen hat? Das klingt nach einem Rückfall ins Mittelalter, wo derjenige Recht hatte, der die stärksten Waffen hatte. Im Fall der Schummelsoftware Greyball, mit der Fahrdienstvermittler Uber über Jahre hinweg Kontrolleure in die Irre leitete, indem es auf einer Fake-Map Phantomfahrzeuge anzeigte, wurde das Recht mit Kodes ausgehebelt. Die Automatisierung ermöglicht der Verwaltung signifikante Effektivitätssteigerungen. Sie birgt aber auch das Risiko, dass Recht stellenweise gar nicht durchsetzbar ist.
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