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Storks Spezialfutter: Kein Klima für Veränderungen

Warum geht es beim Klimaschutz nicht voran? Weil das Thema Gerechtigkeit nicht genügend berücksichtigt wird, ist sich unser Umweltkolumnist Ralf Stork sicher.
Aufräumarbeiten nach dem Sturm Dana in Spanien
Anfang November 2024 machen sich in der Region Valencia die Anwohner an Aufräumarbeiten, nachdem katastrophale Überschwemmungen ihre Häuser zerstört haben. Die Auswirkungen der Klimakrise sind nicht mehr zu übersehen. Ignoriert werden sie von vielen trotzdem.
Der Welt steht ein Umbruch bevor – ob die Menschheit will oder nicht: Landwirtschaft, Verkehr und Energiegewinnung müssen nachhaltig und fit für den Klimawandel werden, gleichzeitig gilt es, eine wachsende Weltbevölkerung mit wachsenden Ansprüchen zu versorgen. Was bedeutet das für uns und unsere Gesellschaft? Und was für die Umwelt und die Lebewesen darin?
In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.

Wer Belege für die katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels sucht, wurde 2024 leicht fündig; die apokalyptischen Reiter sind längst da: Im Januar standen weite Flächen in Norddeutschland unter Wasser. Im September wurden Teile Österreichs, Tschechiens und Polens überflutet. 28 Menschen sterben, Schäden in Milliardenhöhe. Im November dann die Flutkatastrophe im spanischen Valencia: Mindestens 230 Tote, 60 000 Wohnungen und 115 000 Autos zerstört. Im Sommer ächzten viele Europäer wieder unter einer Hitzewelle. Klar, es war ja auch der heißeste Sommer seit Messbeginn: Das Mittelmeer heizte sich im August auf unglaubliche durchschnittliche 28,9 Grad auf. Rekord. Am 21. Juli 2024 wurde mit 17,09 Grad Celsius durchschnittlicher Oberflächenlufttemperatur weltweit der heißeste Tag seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen. Nur einen Tag später wurde mit 17,15 Grad der Rekord vom Vortag gebrochen.

Der Klimawandel ist real, menschengemacht und hat gravierende Auswirkungen auf unser Leben. Das sehen in Deutschland immerhin 80 bis 85 Prozent der Bevölkerung so. Warum geht es dann mit der Anpassung an den Klimawandel seit Jahren nicht mehr voran? Warum will nicht eine Mehrheit der Bevölkerung das Thema ernsthaft angehen?

Es gibt viele Antworten, die mir dazu spontan einfallen, von Kopf-in-den-Sand-Mentalität bis Überforderung, Hedonismus oder Filterblase. Aber wissenschaftlich fundierte Untersuchungen, die solche Vermutungen mit Zahlen untermauern könnten, sind rar. Eine davon trägt den Titel »Akzeptanzfaktoren klimapolitischer Maßnahmen« und wurde vom Berliner Öko-Institut erstellt. Auftraggeber war das Wirtschaftsministerium. Vermutlich, weil es nach dem vermurksten Heizungsgesetz wissen wollte, wie man die Sache in Zukunft geschickter angehen könnte. Das Dokument breitet eine Reihe von Studienergebnissen aus, die die Einstellung der Bevölkerung zu Klimaanpassungsmaßnahmen erklären.

Wichtig, aber nicht am wichtigsten?

Demnach ist der Klimawandel für 59 Prozent der Bevölkerung immer noch ein wichtiges bis sehr wichtiges Thema. Nach dem Höhepunkt der Klimabewegung 2019 mit Greta Thunberg und Fridays For Future nahm das Thema in den Folgejahren aber wieder an Bedeutung ab. Aktuell haben Krieg/Sicherheit, die wirtschaftliche Lage sowie Migration den Klimawandel von der Spitze der als drängend empfundenen Probleme verdrängt.

Nicht überraschend, aber bedenklich: In der Bevölkerung besteht laut dem Papier eine deutliche Krisenerschöpfung, die mit einem wachsenden Überforderungsgefühl und wachsendem Zukunftspessimismus einhergeht und die Veränderungsbereitschaft der Menschen senkt.

Rational macht das zwar wenig Sinn: Wenn man glaubt, die Zukunft sieht düster aus, sollte man sich im Hier und Jetzt ja erst recht ins Zeug legen und versuchen, das Schlimmste zu verhindern. Aber im Krisenmodus scheinen viele nicht dazu in der Lage zu sein, vernünftige Entscheidungen zu treffen.

Es gibt noch eine andere – unbequemere – Erklärung für die geringe Veränderungsbereitschaft: Die aktuelle Klimapolitik wird von großen Teilen der Bevölkerung als ungerecht wahrgenommen. Darauf geht detailliert die Studie »Klimapolitik und soziale Gerechtigkeit« ein, die auch eine wichtige Quelle für die Publikation des Öko-Instituts ist: Seit 2017 ist ein Bevölkerungsanteil von mindestens zwei Dritteln davon überzeugt, dass die Umsetzung der Energiewende teuer ist. Die gesellschaftliche Transformation ist also etwas, das man sich leisten können muss. Deshalb sehen Menschen mit geringerem Einkommen die Transformation deutlich pessimistischer als Menschen mit einem höheren oder zumindest stabileren Einkommen. Gleichzeitig ist 2023 eine Mehrheit von 53,8 Prozent (2022: 47,8 Prozent) davon überzeugt, dass die anfallenden Mehrkosten der Energiewende in der Gesellschaft ungerecht verteilt werden – vor allem zwischen den Einkommensgruppen. Bei der Verkehrswende empfinden sogar 58,4 Prozent der Bevölkerung die Verteilung als ungerecht.

Je schlechter die finanzielle Situation, desto größer die Skepsis, dass durch Transformation Dinge günstiger werden. Bei den Menschen, die nach Selbsteinschätzung mit ihrem Haushaltseinkommen bequem leben können, zweifeln »nur« 42 Prozent daran, dass die Verkehrswende auf lange Sicht die Mobilität günstiger mache. Bei Menschen, die mit ihrem Haushaltseinkommen schwer zurechtkommen, sind es 63,4 Prozent.

Wer wenig Geld hat, befürchtet eine große Last

Vereinfacht gesagt: Wer sich ohnehin schon in einer wirtschaftlich schwierigen Lage befindet, erwartet beim Thema Klimaanpassung vor allem eine Mehrbelastung in naher Zukunft und glaubt zudem nicht an positive Langzeiteffekte auf längere Sicht. Wenn die Kosten dann auch noch ungerecht verteilt werden, sackt die Bereitschaft zur Transformation weiter ab. Und das, obwohl Geringverdiener schon heute am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind.

Die Ungerechtigkeit ist nicht nur empfunden, sondern real: Einkommensschwache Haushalte geben einen wesentlich höheren Teil ihres Einkommens für Mobilität, Energie und Nahrungsmittel aus. Entsprechend sind sie auch von Preissteigerungen, die etwa durch eine CO2-Bepreisung ausgelöst werden, überproportional betroffen. Das Prinzip ist also tatsächlich ungerecht. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung sieht das so.

Auch andere Maßnahmen wie die Förderung zum Kauf von E-Autos, von Solaranlagen oder Gebäudesanierungen sind in der Praxis ungerecht. Es profitieren die Wohlhabenderen, die sich solche Investitionen ohnehin leisten können.

Es hilft nichts: Es geht um alles, und es geht ums Ganze. Das Überlebensproblem Klimawandel wird erst dann wirklich in Angriff genommen werden, wenn wir uns die Mühe machen, die gröbsten Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft auszugleichen. Es gibt keine Abkürzungen. Wenn alle an einem Strang ziehen sollen, müssen auch alle die Gewissheit haben, gleich und fair behandelt zu werden.

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