Warkus' Welt: Darf Kunst einfach nur cool sein?
Stellen Sie sich einen 15 Meter hohen, leicht gebogenen Mast vor, an dem ein riesiger Ring hängt, ein bisschen wie ein Frisbee mit einem großen Loch. Ab und zu beginnt sich der Mast wie aus heiterem Himmel zu drehen, immer schneller, der Ring hebt sich, und irgendwann rotiert er fast waagerecht in der Luft wie ein Teller, den ein Jongleur auf einem Stock balanciert.
Wie würden Sie auf so ein Objekt reagieren? Würden Sie es schön finden oder hässlich? Würden Sie es erhaben finden?
Falls Sie das wirklich interessiert, können Sie das beschriebene Ding besichtigen. Es ist ein Kunstwerk namens »Drehmoment«, wurde 2016 von dem Kunstkollektiv »realities:united« entworfen und steht in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs, vor dem Futurium, zu dem es als Kunst am Bau gehört.
Meine Vermutung ist, dass die ersten Assoziationen, die Sie mit so einem Objekt haben, mit Schönheit oder Hässlichkeit (und auch mit Erhabenheit) nichts zu tun haben. Sondern, dass Sie so etwas sagen werden wie: »Das ist ja cool« oder »geiles Teil« (in meiner Gegend auch beliebt: »Das fetzt«). Das hieße: Es gibt eine ästhetische Kategorie, eine Art und Weise, auf die Sie ein Kunstwerk wertschätzen können, die nicht in erster Linie mit Schönheit zu tun hat. Aber was ist dann damit gemeint, wenn wir von etwas sagen, dass es »cool«, »irre«, »abgefahren«, »krass« und so weiter ist?
Zuallererst könnte es etwas mit Überraschung zu tun haben, damit, dass es Vergleichbares noch nie gegeben hat – mit Innovation. Man erwartet schlicht nicht, dass ein 15 Meter hoher Teller-Balanceakt in einer Stadt herumsteht. Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, ein 1,5 Meter großes Bronze-Ei, das zu zufälligen Zeiten eine zufällige Anzahl von Glockenschlägen ertönen lässt – das gibt es in Leipzig. Nur kann man sich fragen, ob derlei Innovation wirklich schon eine ästhetische Qualität ist, für die ein Kunstwerk als solches gelobt werden sollte. Einen vergleichbaren »Wow-Effekt« kann es zum Beispiel auch hervorrufen, wenn man einer extravaganten Kaffeemaschine bei der Arbeit zusieht oder ein besonders raffiniert konstruierter Couchtisch auf- und zuklappt. Man erwartet von einem Kunstwerk aber vielleicht doch mehr als von einem Haushaltsgerät oder einem Möbel.
Was ist nun der Unterschied zwischen einer Kaffeemaschine, die auf nie da gewesene Art funktioniert, und einer Sinfonie, die auf nie da gewesene Art aufgebaut ist?
Andererseits gilt in der europäischen Kunstgeschichte schon seit Jahrhunderten, dass wirklich große Kunst nicht bloß Nachahmung sein sollte, sondern etwas Originelles, eben etwas Innovatives an sich haben sollte. Viele Werke, die heutzutage zum Kanon der historisch größten Kunstwerke gerechnet werden, durchbrechen irgendeine Norm, waren in irgendeiner Form so noch nie da gewesen. Ein abgedroschenes, aber zugkräftiges Beispiel ist der Schlusssatz von Beethovens Neunter Sinfonie, der vor 200 Jahren zum ersten Mal überhaupt in dieser musikalischen Form einen Chor einsetzte.
Was ist nun der Unterschied zwischen einer Kaffeemaschine, die auf nie da gewesene Art funktioniert, und einer Sinfonie, die auf nie da gewesene Art aufgebaut ist? Was unterscheidet die Innovativität eines Haushaltsgegenstands von großer Kunst? Und wie ordnet sich ein Objekt wie das eingangs beschriebene kinetische Kunstwerk vor dem Futurium auf dieser Skala ein? Oder so etwas wie die unglaublich populäre, über 250 Millionen mal angeschaute »Marble Machine«, die zwar völlig konventionelle Musik macht, aber auf gänzlich neuartige Weise? Mit solchen Fragen beschäftigen sich Kunstphilosophie und Ästhetik ebenso wie mit Fragen von Schönheit, Erhabenheit und anderen Kategorien, nach denen Kunst beurteilt werden kann.
Ich selbst bin nur von sehr kleinem kunstphilosophischen Verstand, doch ich habe die Vermutung, dass gerade in der öffentlichen Wahrnehmung von Kunst, ebenso wie von Architektur und Design, ein Begriff wie »cool« eine große Rolle spielt. Bestimmte Gegenstände werden bewundert und wertgeschätzt, weil sie schlau erdacht, neuartig, verspielt sind. Andererseits ist es so, dass die medialen Diskurse zu Kunst in unserer Gesellschaft das Verspielte nicht immer sonderlich schätzen und Künstler die Tendenz haben, Ernst und Strenge sehr wichtig zu nehmen. Es gibt also eine Diskrepanz zwischen einem populären Hang zu »coolen Sachen« und einer elitären Ablehnung von »Gimmicks« und »Effekthascherei«. Dass wir solche Konflikte aber überhaupt thematisieren können, zeigt, dass wir heutzutage über eine Pluralität unterschiedlicher Dimensionen verfügen, an denen wir die Qualität von Kunstwerken und anderen Artefakten beurteilen.
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