Freistetters Formelwelt: Warum die Erde keinen Ring hat
Der Planet Saturn mit seinem beeindruckenden Ringsystem ist für viele Menschen der schönste Planet des Sonnensystems. Wenn ich bei meiner Arbeit über Saturn erzähle, kommt danach oft die Frage, wieso eigentlich die Erde keine Ringe hat. Beziehungsweise was passieren müsste, damit auch wir solch schöne Ringe an unserem Himmel sehen können.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.
Die Antwort steckt in dieser Formel:
Sie stammt vom französischen Astronom Édouard Albert Roche, der 1851 den Ursprung der Saturnringe untersucht hat. Seine Idee: Vielleicht entstanden sie, weil ein Mond dem großen Planeten zu nahe kam und durch die Gezeitenkräfte zerbrach. Die von ihm dabei gefundene Formel gibt an, in welchem Abstand das passieren kann.
R ist dabei der Radius des größeren Himmelskörpers und ρM seine Dichte. Mit ρm wird die Dichte des kleineren Objekts bezeichnet, und C ist ein Faktor, der von der Verformbarkeit des Mondes abhängt. Im Fall eines starren Körpers liegt der Wert von C bei etwa 1,26, bei einem ideal flüssigen Körper, also einem Objekt, dass der Verformung durch die Gezeitenkräfte keine Kraft entgegensetzt, liegt C bei ungefähr 2,42.
Wie ein Ring entsteht
Ist der Abstand zwischen Planet und Mond kleiner als diese so berechnete Roche-Grenze d, dann bricht er auseinander; ist er größer, dann passiert nichts. Stellt man eine entsprechende Berechnung für Saturn an, liegt die Roche-Grenze genau innerhalb seines Ringsystems. Ein Teil der Ringpartikel kann also tatsächlich durch das Auseinanderbrechen eines Mondes entstanden sein.
Es gibt aber auch Ringe die außerhalb der Roche-Grenze liegen und deswegen einen anderen Ursprung haben, zum Beispiel durch Eisvulkanismus. Auch Kollisionen zwischen Monden können Ringe erzeugen, ganz unabhängig von der Roche-Grenze. Sicher ist nur, dass die Ringe des Saturns ein aus astronomischer Sicht recht junges Phänomen sind. Es gibt sie erst seit ein paar hundert Millionen Jahren. Wären sie älter, hätte interplanetarer Staub die Eisteilchen der Ringe im Lauf der Zeit dunkler gemacht, als sie laut den Messungen der Raumsonde Cassini tatsächlich sind.
Andererseits findet man bei Saturn auch Monde, die deutlich innerhalb der Roche-Grenze ihre Runden um den Planeten ziehen, ohne auseinanderzubrechen. Das geht, wenn der Mond klein und kompakt ist, und die Dichte des Planeten selbst gering. Ein ausreichend dichter Mond kann einen Planeten beliebig nahe umkreisen, ohne dabei jemals auseinanderzubrechen.
Die Zerstörung von Himmelskörpern bei Überschreiten der Roche-Grenze konnten wir auch schon live beobachten. Zum Beispiel im Jahr 1992, als sich der Komet Shoemaker-Levy 9 dem Jupiter näherte. Er überquerte die Roche-Grenze und brach in viele Stücke auseinander. Ein neuer Ring ist dabei aber nicht entstanden: Die Bruchstücke waren auf Kollisionskurs mit Jupiter und verschwanden in seiner dichten Atmosphäre.
Im Fall von Erde und Mond liegt die Roche-Grenze zwischen 9500 und 18 400 Kilometern, je nachdem wie genau man die Verformbarkeit unseres Satelliten ansetzt. Aber da der durchschnittliche Abstand des Mondes bei 384 000 Kilometern liegt, ist er so oder so ausreichend weit von der Roche-Grenze entfernt. Er wird nicht auseinanderbrechen und ein Ringsystem bilden, weder jetzt noch in Zukunft: Auf Grund der Gezeitenkräfte zwischen Erde und Mond wächst auch der Abstand zwischen ihnen im Lauf der Zeit.
Ein anderes Schicksal steht dagegen dem kleinen Marsmond Phobos bevor. Er nähert sich auf Grund der Gezeitenkräfte seinem Planeten und wird dabei irgendwann die Roche-Grenze überschreiten. Dann wird er auseinanderbrechen und unserem Nachbarplaneten zu einem Ring verhelfen. Bis es so weit ist, wird es aber noch mindestens 30 Millionen Jahre dauern.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben