Freistetters Formelwelt: Warum Kernfusion so verlockend ist
Meinen Sommerurlaub habe ich in diesem Jahr auf dem Fahrrad und in Deutschland verbracht. Kurz hatte ich aber auch überlegt, in die französische Provence zu fahren, unter anderem, um mir dort in Cadarache die im Bau befindliche Anlage von ITER anzusehen. Der International Thermonuclear Experimental Reactor ist das derzeit größte Forschungsprojekt mit dem Ziel, Kernfusion als Energiequelle nutzbar zu machen.
Hier fasziniert mich vor allem immer wieder, wie viel Energie in den Bausteinen der Materie steckt. Alle kennen die berühmteste Formel der Welt: E =mc2 von Albert Einstein. In etwas veränderter Form erkennt man sie auch in dieser mathematischen Gleichung:
Z und N sind die Anzahl der Protonen und Neutronen in einem Atomkern; mP und mN die jeweiligen Massen dieser Kernbestandteile. Mit mK wird die Masse des Atomkerns bezeichnet, und eigentlich könnte man auf die Idee kommen, dass die Formel recht sinnlos ist. Wenn die Masse aller Nukleonen, also der Kernbestandteile, gleich der Gesamtmasse des Atomkerns ist, dann lautet das Resultat obiger Berechnung einfach nur null.
Aber, und genau das war ja die geniale Erkenntnis von Einstein, die gesamte Masse eines Atoms ist geringer als die Summe der Masse seiner Bestandteile. Es braucht Energie, um die Kernteilchen zusammenzuhalten, und da Energie und Masse laut Einstein äquivalent sind, hat jeder Atomkern einen so genannten Massendefekt. Dieser Massendefekt ist nichts anderes als der Ausdruck zwischen den Klammern in der Formel, und multipliziert mit dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit c ergibt sich daraus die Bindungsenergie EB des Atomkerns.
Je größer die Bindungsenergie, desto stabiler ist ein Atomkern. Wie stark die Bindung zwischen den Kernbausteinen tatsächlich ist, hängt von der Anzahl der Protonen und Neutronen ab. Berechnet man die entsprechenden Werte für die bekannten chemischen Elemente, zeigt sich ein interessantes Bild. Sie sind bei Nickel-62 und Eisen-56 am größten; leichtere und schwerere chemische Elemente haben eine geringere Bindungsenergie pro Nukleon.
Wo die stabilsten Elemente liegen
Wenn nun leichte Atome wie zum Beispiel Wasserstoff durch Kernfusion zu einem schwereren Atomkern fusionieren, erhöht sich der Massendefekt pro Nukleon. Es bleibt also ein wenig Energie übrig, die freigesetzt wird, weswegen sich Kernfusion auch als Energiequelle nutzen lässt. Im Prinzip kann man mit der Fusion von Atomkernen immer Energie gewinnen, solange sie leichter als Eisen beziehungsweise Nickel sind. Die schwereren Atome können nur durch Kernspaltung zur Freigabe von Energie gezwungen werden: Sie müssen leichter werden, wenn sich die Bindungsenergie erhöhen soll.
Trägt man die Bindungsenergie pro Nukleon in Abhängigkeit der Nukleonenzahl im Atomkern in einem Diagramm auf (so dass auf der y-Achse die höchsten Werte unten zu finden sind), erhält man ein anschauliches Bild. Man sieht eine Kurve, die im linken Teil, dort wo sich die leichten Elemente befinden, steil nach unten abfällt. Der tiefste Punkt wird bei Eisen und Nickel erreicht, von wo aus die Kurve dann sanft immer weiter zu den immer schwereren Elementen ansteigt.
Der »Talboden« dieser Bindungsenergiekurve ist der Ort der maximalen Stabilität. Leichte Elemente können ihn erreichen, in dem sie schwerer werden – durch Kernfusion –, schwere Elemente müssen – durch Kernspaltung – Masse verlieren, wenn sie stabiler werden wollen. Dass die Kurve im Bereich der leichten Elemente deutlich steiler verläuft als bei den schweren Atomen, zeigt uns, dass man bei Kernfusion auch mehr Energie gewinnen kann als bei der Kernspaltung.
Aber im Gegensatz zur Kernspaltung haben wir die Kernfusion bis jetzt noch nicht für uns nutzbar machen können. So wie es derzeit aussieht, wird das so schnell auch nicht passieren. Mir bleibt noch genug Zeit, meinen Urlaub in der Provence zu planen.
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