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Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn es selbstfahrende Autos gäbe?

Autonome Fahrzeuge haben auch eine dunkle Seite: Damit sie ihr Versprechen von Sicherheit und Effizienz einlösen können, müssen wir jede Kontrolle abgeben. An wen?
Autonome Autos fahren sauber in Richtung Abendsonne

Laut Studien gehen mehr als 90 Prozent aller Autounfälle auf menschliches Versagen zurück. Autofahrer sind unkonzentriert, schreiben während des Fahrens SMS, verhalten sich angeberisch oder unterliegen Stress. Und über das Thema Alkohol haben wir noch gar nicht gesprochen.

All diese Probleme könnten durch selbstfahrende Autos gelöst werden. Indem wir den fehleranfälligen Menschen durch einen exakten Computer ersetzen, würde zweifellos die Unfallrate drastisch nach unten gehen. Fans des autonomen Fahrens gehen jedoch noch einen Schritt weiter. Ihrer Meinung nach würde durch eine fahrerlose Gesellschaft die Produktivität gesteigert, die Umwelt geschont und die Wirtschaftskraft erhöht werden. Einige plädieren im Zuge dessen sogar von der gleichzeitigen Abschaffung des Besitzkonzepts des Automobils. Würde man dem Menschen erst einmal das Steuer und später das ganze Auto aus der Hand nehmen, wären wir nahe dran an einer mobilen, gerechten und neidfreien Gesellschaft.

Manchmal kommt es anders ….

Aber wäre das wirklich so? Schwer zu sagen. Die Geschichte zeigt, dass neue Technologien die Eigenschaft haben, sich nie ganz so zu entwickeln, wie es Ingenieure, Logistikexperten und Verwaltungen am Reißbrett durchdacht haben. Menschen verhalten sich nun mal anders, als Planungsexperten glauben. Sie haben vielfältige, individuelle Bedürfnisse, die weit über Dinge wie Produktivitätssteigerung, Unfallvermeidung oder effizientere Mobilität hinausgehen.

Als vor rund 100 Jahren das Automobil entwickelt wurde, war es zunächst eine reine technische Errungenschaft. Ein exklusives Spielzeug der Reichen. Doch schnell entwickelte es sich zu einer Erfindung mit einer enormen sozialen und gesellschaftlichen Bedeutung. Autofahren wurde zum Ausdruck von Individualität. Wer ein Auto besaß, konnte plötzlich selbstbestimmt die Welt erkunden. Er konnte fahren, wohin er mochte, mit wem er mochte und wann er mochte. Mit der Erlangung des Führerscheins erlangte man nicht nur die Lizenz, eine Blechkiste zu steuern, man erlangte buchstäblich eine neue Form der Freiheit.

Aus diesem Grund ist es auch gut möglich, dass viele Menschen das selbstfahrende Auto insgeheim gar nicht wollen. Denn das, was wir am Autofahren ja gerade so lieben, ist Selbstbestimmung, Autonomie.

Bevormundung und Überwachung

Selbstfahrende Autos würden dem ein jähes Ende setzen. Je nach Regierungsform würden in Zukunft IT-Konzerne, Sicherheitssysteme oder sogar ganze Staaten wissen, wohin wir fahren, was wir dort machen und wann wir es machen. Sollte einer dieser Organisationen unser geplantes Ziel nicht gefallen, kann man uns stoppen, verlangsamen oder umleiten. Man kann uns daran hindern, bestimmte Straßen oder Stadtviertel zu befahren, man kann uns mit einem Mausklick den Versicherungsschutz entziehen oder sogar das ganze Auto online stilllegen.

In einer Welt der »Smart City« bestimmt der Algorithmus, wo gefahren wird, wann gefahren wird und ob überhaupt gefahren wird. Denn die »intelligente Stadt der Zukunft« funktioniert nur dann reibungslos, wenn der Bürger in seiner mobilen Entscheidungsbefugnis komplett entmündigt wird.

IT-Konzerne und Regierungen lieben fahrerlose Autos. Vorrangig geht es ihnen um Gefahrenvermeidung, um Umweltschutz oder die Verhinderung eines Verkehrskollapses. Doch auch der Kontrollgedanke spielt wohl eine Rolle. Unter dem Denkmantel von Sicherheit, Ökologie oder Wirtschaftlichkeit besteht die Gefahr, dass der Mensch seiner Selbstbestimmung beraubt wird.

Ein Trost allerdings bleibt. Vor Kurzem sagte der Adidas-Chef Kasper Rorsted: Solange bei einer Autofahrt zwischen Nürnberg und München ständig die Telefonverbindung abreiße, müssten wir uns über die ethischen Gefahren des autonomen Fahrens bei uns in Deutschland noch lange keine Gedanken machen.

Mehr über den Kabarettisten, Autor, Moderator und Physiker unter www.vince-ebert.de.

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