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Futur III: Heimkehr

Eine Kurzgeschichte von Axel Kruse
Weltraumschlacht

20 Jahre sollten eigentlich ausreichen, um Gras über die Sache wachsen zu lassen. Dachte ich. Aber hier am Zoll in Lunas größtem Raumhafen spürte ich noch immer die Repressalien, mit denen die Nichtmenschen gegen uns Terraner vorgingen. Schier endlos wischte der Kontrolleur durch meine Unterlagen. Dann sollte ich zweimal meinen Reisebeutel aus- und wieder einpacken. Ich musste mich echt zusammennehmen, um nicht auszuflippen!

Dabei hatten außer mir heute gerade mal vier andere Schiffe angelegt. Nur vier! Was war bloß aus dem einstigen Stolz Terras geworden? Ich war eben eine lange Zeit draußen gewesen. Ganz weit draußen. So weit, dass ich für den Rückflug mehr als drei Jahre gebraucht habe. Mit Zwischenstopps, Übergangsaufenthalten und Hunderten von Sprüngen von System zu System. Jeder war wie ein kleiner Rausch: wie die Sterne verschwanden und kurz darauf an anderer Stelle wieder aufploppten. Kann ich jedem nur empfehlen.

17 Jahre habe ich keinen Gedanken an meine alte Heimat verschwendet, wirklich keinen einzigen. Doch dann war es mal gut gewesen mit dem Rim und den »Abenteuern«, die mich dorthin zogen. Ich hatte genug von der mühsamen Arbeit am Rand der Galaxie, den endlosen Botenflügen und vor allem den Geldsorgen. Sie sind von Anfang an mein treuer Passagier gewesen. Die Credits aus dem Verkauf des Schmucks waren fast vollständig für den alten Armeetransporter draufgegangen. Er hatte ein schickes Sprungtriebwerk, mit dem ich in Nullzeit von Stern zu Stern springen konnte – wenn ich denn genügend Treibstoff hatte. So entfernte ich mich immer weiter von der Erde und fühlte mich wirklich gut dabei.

Fast das Beste war: Bald musste ich den Treibstoff nicht mehr bei den Nichtmenschen des Protektorats einkaufen. Die hatten Terra bekanntermaßen mit einem Embargo belegt, damals nach dem Waffenstillstand. Ich konnte ja verstehen, dass die Aliens die Menschen nunmehr für die Parias unseres Sektors der Milchstraße hielten. Blöderweise hatten eben wir den Krieg vom Zaun gebrochen.

Aber, und das ist ein großes Aber, es war trotzdem unfair, die komplette Bevölkerung darunter leiden zu lassen. Das stärkte ja bloß den Rückhalt für die Regierung Terras, das verstand doch wirklich jedes Kind. Die einzelnen Menschen waren total friedlich und wollten einfach eine gute Zeit haben. Da konnte man sagen, was man wollte. Nur ihre Anführer bekamen halt manchmal den Hals nicht voll.

Ein paar Jahre nach dem Start meiner Reise, als ich fast ein Viertel des Wegs um die Milchstraße herum zurückgelegt hatte, wurde die Sache mit den Anfeindungen immerhin besser. Dort draußen war ich bloß ein Zellhaufen unter vielen. Von Terra und dem Erdprotektorat hatte hier fast noch niemand gehört. Ich konnte endlich Handel treiben, Frachtaufträge fliegen und Treibstoff zu guten Preisen kaufen. Und ich durfte endlich so sein, wie ich wollte, ganz ohne schlechtes Gewissen.

Spaß konnte man am Rand der Galaxie natürlich auch haben. Immer wenn es ging, verbrachte ich ein paar Tage in einem Raumhafen und versuchte mich im Kasino. Was es da draußen für Glücksspiele gibt – das glaubt man nicht! Aber viel Glück hatte ich nie. Und so hatte ich irgendwann die Schnauze voll und wollte zurück nach Hause. Sentimental, ich weiß, doch ich konnte mich nicht dagegen wehren. Auch wenn man mich hier draußen grundsätzlich ohne Vorurteile empfing, fehlte mir die Gesellschaft von Menschen. Vielleicht hoffte ich auch auf eine weitere Glückssträhne wie damals mit dem Schmuck. Die Halskette mit dem Diamanten sah ich immer noch vor mir: wie die Krümel aus Mondgestein in seinem Inneren das Licht der Sonne brachen – ein Traum.

Sollte er die Urnen seiner Eltern besichtigen? Oder gleich ins Kasino gehen?

Gregor hatte den Klunker ein Familienerbstück genannt, ihn dann aber doch in die Mitte des Poker­tischs gelegt. Über den Rest dachte ich nicht zu viel nach. Ich erinnerte mich aber noch ganz genau an das geile Gefühl, als ich das gute Stück beim Juwelier auf Luna gegen eine unverschämt hohe Summe an Credits eintauschte.

Je näher ich auf meinem Heimweg dem Gebiet des Erdprotektorats kam, desto mehr spürte ich wieder die Feindlichkeit gegenüber mir als Menschen. Misstrauische Patrouillen stoppten mein Schiff. Mit vorgehaltener Waffe durchsuchten die Kerle meinen Frachtraum. Die Nichtmenschen hatten wohl nichts vergessen, auch nicht nach 20 Jahren. Schon klar, die Faschisten auf der Erde hatten übel gewütet, erst eine große Allianz mit einigen abtrünnigen menschlichen Kolonien hatte sie stoppen können. Und dann hatte es ja noch diesen Genozid gegeben. Aber irgendwann war es doch auch mal gut mit den Repressalien, oder?

Als ich hinter der Jupiterbahn ins heimische Sonnen­system eintrat, überlegte ich kurz, ob ich bei Ceres Halt machen sollte. Das war der eigentliche Hub für Waren aus entfernten Ecken des Alls. Die großen Schiffe flogen in der Regel nicht weiter. Sie hätten umso mehr Treibstoff dafür verwenden müssen, sich beim Rückflug wieder aus dem Schwerkraftschacht der Sonne zu befreien. Und die meisten Commander waren ja nicht doof.

Das galt natürlich auch für mich, aber ich wollte zurück nach Luna. Da war ich aufgewachsen, war unzählige Male im Raumanzug in dem Krater vor unserer Behausung herumgeklettert, hatte coole Fotos vom hinaufdriftenden Mondstaub gemacht und viele gute Partys gefeiert. Die Menschen auf Luna hatten diesbezüglich immer Ausdauer bewiesen: Die Feiern gingen gern mal von Sonnenaufgang bis Sonnenaufgang.

Umso enttäuschter war ich von dem wenig entspannten Empfang am Zoll. Das Erdprotektorat wachte seit dem Krieg argwöhnisch über alle Raumhäfen von uns Menschen. Es kontrollierte sämtliche Warenströme, Reisen nach draußen waren nur noch mit Sondergenehmigung gestattet. Ich war nach Kriegsende einer der Letzten gewesen, die einfach so das Sonnensystem verlassen konnten, die Sache war knapp gewesen damals.

Der Zollbeamte interessierte sich sehr für meinen Pass, der selbstverständlich gefälscht war. Akribisch schien er ihn mit irgendeiner Datenbank abzugleichen. Schließlich winkte er mich durch. Nun stand ich in der großen Halle und wusste nicht recht, was ich tun sollte. Nebenan luden Roboter einen Frachter aus, sonst war wenig los. Mir fielen die Kameras auf, die über jeder Ausgangstür installiert waren.

Sollte ich die Urnen meiner Eltern besichtigen? Ich hatte sie fünf Jahre vor meinem Abflug zuletzt gesehen. Sie fanden damals, dass ich mein Leben wegwerfe mit meinen Träumen vom Rim und den schnellen Credits. Nach kurzem Abwägen entschied ich mich dagegen. Am besten wäre es wohl, gleich ins Kasino zu gehen, da wollte ich schließlich auf jeden Fall hin.

Als ich durch die Halle schlenderte, sprach mich ein alter Mann an: »Gregor, du bist Gregor, nicht wahr?«, fragte er. Ich zuckte kurz zusammen, fing mich dann aber sofort wieder. »Nein, mein Name ist Haburn, Robur Haburn«, erwiderte ich.

»Ich hätte schwören können …«, sagte der Mann. »Entschuldigen Sie bitte. Ich suche nach meinem Sohn Gregor.« Seine Augen füllten sich mit Tränen. Ich drehte mich um und wollte ihn stehen lassen, da griff er nach meinem Arm. »Vielleicht kennen Sie ihn ja, meinen Sohn, meine ich. Er muss in Ihrem Alter sein. Er ist vor gut 20 Jahren verschwunden, ich glaube an Bord eines alten Armeefrachters. Das war das einzige Schiff, das zu dieser Zeit das System verlassen hat.«

Ich überlegte kurz, ob ich ihm die Wahrheit sagen sollte. Der Mann tat mir irgendwie leid, wie er dastand, fast nur Lumpen am Körper und mit einer zuckenden Unterlippe. Ich dachte an den Heimweg vom Kasino damals, vor 20 Jahren. An den Streit mit Gregor, der so dreist gewesen war und sein Familienerbstück zurück­haben wollte. An meine überkochende Wut und den Schlag, den ich Gregor verpasste. Ziemlich geschickt hatte ich seinen leblosen Körper draußen im Mondboden verscharrt, in einer Ecke des Kraters vor unserer Unterkunft, wo allenfalls Jugendliche in Raumanzügen herumklettern. Lag er immer noch dort?

»Sie könnten ihn kennen, Sie kommen doch von draußen«, fuhr der alte Mann fort. »Das Protektorat sagt, Gregor sei tot, aber das glaube ich nicht. Wir Menschen müssen zusammenhalten gegen dieses verräterische Pack!« Sein Gesicht hatte einen Ausdruck angenommen, als ob er gleich in Richtung der nichtmenschlichen Zollbeamten ausspucken wollte.

Ich erinnerte mich an die Geschichten darüber, was das Protektorat mit Menschen machte, die mit dem Gesetz in Konflikt gerieten. In einer der Umerziehungs­anstalten wollte ich ganz gewiss nicht landen. »Die Alien Force Defense ist auf Terra noch an der Regierung, nicht wahr?«, fragte ich ihn vorsichtig.

Bewegt legte der alte Mann seine Hand auf das Herz und sagte: »Sie ist der einzige Garant für uns Menschen, ohne sie wären wir schon lange untergegangen!« Er beugte sich zu mir herüber und flüsterte mir zu: »Wir werden uns wieder erheben, ja, das werden wir. Wir werden es diesen dreckigen Nichtmenschen zeigen, die nur Elend und Arbeitslosigkeit über uns gebracht haben. Von den Krankheiten ganz zu schweigen.«

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie zwei uniformierte Grenzbeamte auf uns zukamen und immer wieder auf ein Datenpad schauten. »Ich kenne Ihren Sohn nicht«, sagte ich dem Greis. Ich schüttelte seinen Arm ab und drehte mich um. Für einen Moment dachte ich an den Rim, wo man so sein konnte, wie man wollte. Und an den Diamanten, der so schön gefunkelt hatte im Licht der untergehenden Sonne.

Dann legten die Nichtmenschen mir Fesseln an. Die Sache mit Gregor war zwar verjährt. Aber irgendwie hatten sie Wind von ein paar krummen Dingern im Rim bekommen. Wer konnte denn wissen, dass die Gesetze von dort auch hier gelten? Hätte ich das geahnt, wäre ich bestimmt nicht zurückgekehrt.

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