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Lexikon der Chemie: Zellstoff

Zellstoff, aus faserhaltigen Pflanzen (Holz bzw. Einjahrespflanzen) durch chemische und mechanische Aufbereitung gewonnener Faserstoff, der vorrangig aus Cellulose besteht. Ziel der Zellstofferzeugung ist sowohl die Trennung der Fasern aus dem Zellgefüge des verholzten pflanzlichen Materials (z. B. Holz, Stroh) als auch die Erzeugung von ungebleichtem und gebleichtem Fasermaterial mit optimalen Eigenschaften (Qualitätsentwicklung) für die Wieterverarbeitung in ungelöster (Papierzellstoff) oder gelöster (Chemie- oder Textilzellstoff) Form.

Herstellung. Die Zellstoffgewinnungsverfahren beruhen auf der Penetration von Aufschlußlösungen in das Holz und dem Herauslösen von Zellwandkomponenten (Lignin, Hemicellulosen, Holzinhaltsstoffe) aus dem Holz. Der Faserverband des Holzes kann auch auf mechanischem Wege getrennt werden. Man erhält auf diese Weise den sog. Holzstoff. Übergänge zwischen der eigentlichen Zellstoff- und der Holzstofferzeugung sind die sog. halbchemischen (z. B. NSSC: neutral-sulfit-halbchemischer Zellstoff und chemomechanischen Verfahren (z. B. CMP: chemomechanischer Zellstoff, CTMP: chemo-thermomechanischer Zellstoff), bei denen eine partielle Lösung und Erweichung des Lignins mit Chemikalien-Lösungen erfolgt und sich eine mechanische Zerfaserung anschließt. Bezogen auf die Masse des eingesetzten entrindeten Holzes liegen die Ausbeuten bei der Holzstofferzeugung bei 80-99 %, bei den CMP- und CTMP-Verfahren bei 65-97 % und bei den Zellstoffgewinnungsverfahren zwischen 30 und 60 %. Zellstoff, Holzstoff und Altpapier sind die Faserstoffe bei der Papiererzeugung.

Die technisch wichtigen Verfahren der Zellstofferzeugung werden untergliedert in die alkalischen (Soda- und Sulfatverfahren) und die Sulfitverfahren. In beiden Fällen wird das Holz entrindet in Form von sog. Hackschnitzeln in die Zellstoffkocher überführt. Bei den alkalischen Verfahren wird das Lignin als Natriumlignat gelöst. Gleichzeitig werden auch andere Phenole (z. B. die Gerbstoffe in Holz und Rinde) als Phenolate und die Harze und Fettsäuren als Salze ("Seifen") in die Lösung überführt. Deshalb können nach dem Sulfatverfahren z. B. auch harzreiche Hölzer (z. B. Kiefernholz) und weniger gut entrindete Hölzer eingesetzt werden. Neben der Lösung der Holzbestandteile durch Salzbildung werden bei dem Sulfatverfahren durch das in der Aufschlußlösung enthaltene Natriumsulfid die Etherbindungen im Lignin nucleophil gespalten, wodurch dessen Löslichkeit entscheidend erhöht wird. Beim Sulfitverfahren erfolgt die Behandlung der Hackschnitzel mit einer sauren Bisulfitlösung. Die Etherbindungen im Lignin werden durch die Hydrogensulfit-Ionen ebenfalls nucleophil gespalten. Die eigentliche Lösung des Lignins wird durch die Sulfitierungsreaktion (Bildung von Lignosulfonaten) erreicht. Ein Teil der Holzpolysaccharide – besonders die Hemicellulosen – wird hydrolysiert und in Form von einfachen Zuckern in die Aufschlußlösung überführt. Harze, Fette, Phenole bleiben bei diesen Verfahren im wesentlichen im Zellstoff, so daß die Sulfitverfahren nur für holzinhaltsstoffarme und gut entrindete Hölzer (Fichte, Tanne, Buche, Pappel) angewandt werden können. Eine Gegenüberstellung einiger Parameter der beiden Aufschlußverfahren zeigt die Tabelle.

Die Zellstoffaufschlußverfahren können sowohl diskontinuierlich wie auch kontinuierlich gestaltet sein.

Zellstoff. Tab.: Einige typische Parameter des Sulfatverfahrens und des Sulfitverfahrens zur Zellstofferzeugung.

Sulfatverfahren Sulfitverfahren
Chemikalieneinsatz (in Klammern die Menge der jeweiligen Substanz bezogen auf die Masse des eingesetzten Holzes) Natriumhydroxid (20 %) und
Natriumsulfid
(5 %)
Magnesium- (ca. 27 %), Calcium-, Natrium- oder Ammoniumhydro-
gensulfit und Schwefeldioxid
Massenverhältnis Aufschlußlösung : Holz 4 : 1 4 : 1
Aufschlußtemperatur 170 ... 175 °C 140 ... 150 °C
Druck 7 ... 8 · 105 Pa 106 Pa
Aufschlußzeit 2 ... 3 Std. 10 ... 12 Std.

Nach Ablauf der Aufschlußzeit wird der Kocher druckentspannt. Aus den Abblaskondensaten kann Sulfat- und Sulfitterpentinöl gewonnen werden. Der Inhalt des Kochers wird ausgetragen, die Ablauge von dem Rohzellstoff getrennt. Nach der Wäsche, Sortierung und Entwässerung kann dieser als solcher z. B. zu Papieren ( Packware, Wellpappen) weiter verarbeitet oder auch "gebleicht" werden.



Zellstoff. Abb.: Verfahrensablauf bei der Zellstoffgewinnung (vereinfacht).

Die Zellstoffbleiche kann als eine Vervollständigung des Holzaufschlusses mit teureren Chemikalien verstanden werden. Als Bleichchemikalien werden insbesondere elementares Chlor, Hypochlorit, Chlordioxid und Natriumperoxid eingesetzt. Ziel der Behandlung ist es, das restliche Lignin im Zellstoff so oxidativ zu verändern, daß es bei der nachfolgenden Extraktion mit Natronlauge (Alkalisierung) löslich wird und der Zellstoff aufgehellt (Erhöhung des Weißgrades) und an reiner Cellulose (α-Cellulose) angereichert wird. Die Abwässer aus den Zellstoffbleichanlagen, in denen mit Chlorchemikalien gearbeitet wird, enthalten toxische und z. T. cancerogene chlororganische Verbindungen, die schwer abbaubar und abtrennbar sind. Man hat deshalb einen speziellen Wassergütewert eingeführt: AOX (absorbierbares organisch-gebundenes Halogen). Zielsetzung ist es, weniger als 1 kg AOX/t gebleichten Zellstoffs an das Abwasser abzugeben. Das ist nur durch den Ersatz des elementaren Chlors (elementarchlorfrei gebleichte (ECF) Zellstoffe) oder aller Chlorchemikalien (chlorfrei gebleichte (TCF) Zellstoffe) gegen Sauerstoff, Natriumperoxid oder Ozon möglich.

In neuerer Zeit wurde an der Entwicklung neuer Zellstoffaufschlußverfahren gearbeitet; in Deutschland wurden teilweise bereits Pilotanlagen in Betrieb genommen.

- Organocell-Verfahren: Aufschluß mit Natronlauge, Methanol unter Zusatz von Anthrachinon

- Assam-Verfahren: Aufschluß mit Natronlauge, Natriumsulfit unter Zusatz von Anthrachinon und Methanol

- Acetosolv-Verfahren: Aufschluß mit Essigsäure

- Formacell-Verfahren: Aufschluß mit Essigsäure unter Zusatz von Ameisensäure (5-10 %)

- Allcell-Verfahren: Aufschluß mit Ethanol

- Milox-Verfahren: Aufschluß mit Ameisensäure und Wasserstoffperoxid

Verwendung. Zellstoffe werden in der Papiererzeugung und für die chemische Weiterverarbeitung (dissolving pulp) eingesetzt. Während bei der Papiererzeugung die Hemicellulosen zur Erhöhung der Zwischenfaserbindung erwünscht sind, stören diese bei der Weiterverarbeitung der "Chemie"-Zellstoffe. Hier ist ein hoher Gehalt an reiner Cellulose, der über die Wahl der Aufschlußbedingungen und der Bleiche zu erreichen ist, erforderlich. Die globale Zellstoffproduktion beträgt ca. 130 Mio. t, wobei etwa drei Viertel nach dem Sulfat-, etwa ein Sechstel nach dem Soda- und etwa ein Fünfzehntel nach dem Sulfitverfahren erzeugt werden. In Deutschland sind nach der politischen Wende in Ostdeutschland alle Sulfatzellstoffwerke stillgelegt worden, so daß Zellstoff gegenwärtig nur nach dem Sulfitverfahren hergestellt wird. Um das Holzaufkommen jedoch besser und wertsteigernder nutzen zu können, laufen Bestrebungen auch in Deutschland, wieder Kapazitäten für die Sulfatzellstofferzeugung zu schaffen, zumal der überwiegende Anteil des Zellstoffbedarfs importiert wird.

  • Die Autoren
Dr. Andrea Acker, Leipzig
Prof. Dr. Heinrich Bremer, Berlin
Prof. Dr. Walter Dannecker, Hamburg
Prof. Dr. Hans-Günther Däßler, Freital
Dr. Claus-Stefan Dreier, Hamburg
Dr. Ulrich H. Engelhardt, Braunschweig
Dr. Andreas Fath, Heidelberg
Dr. Lutz-Karsten Finze, Großenhain-Weßnitz
Dr. Rudolf Friedemann, Halle
Dr. Sandra Grande, Heidelberg
Prof. Dr. Carola Griehl, Halle
Prof. Dr. Gerhard Gritzner, Linz
Prof. Dr. Helmut Hartung, Halle
Prof. Dr. Peter Hellmold, Halle
Prof. Dr. Günter Hoffmann, Eberswalde
Prof. Dr. Hans-Dieter Jakubke, Leipzig
Prof. Dr. Thomas M. Klapötke, München
Prof. Dr. Hans-Peter Kleber, Leipzig
Prof. Dr. Reinhard Kramolowsky, Hamburg
Dr. Wolf Eberhard Kraus, Dresden
Dr. Günter Kraus, Halle
Prof. Dr. Ulrich Liebscher, Dresden
Dr. Wolfgang Liebscher, Berlin
Dr. Frank Meyberg, Hamburg
Prof. Dr. Peter Nuhn, Halle
Dr. Hartmut Ploss, Hamburg
Dr. Dr. Manfred Pulst, Leipzig
Dr. Anna Schleitzer, Marktschwaben
Prof. Dr. Harald Schmidt, Linz
Dr. Helmut Schmiers, Freiberg
Prof. Dr. Klaus Schulze, Leipzig
Prof. Dr. Rüdiger Stolz, Jena
Prof. Dr. Rudolf Taube, Merseburg
Dr. Ralf Trapp, Wassenaar, NL
Dr. Martina Venschott, Hannover
Prof. Dr. Rainer Vulpius, Freiberg
Prof. Dr. Günther Wagner, Leipzig
Prof. Dr. Manfred Weißenfels, Dresden
Dr. Klaus-Peter Wendlandt, Merseburg
Prof. Dr. Otto Wienhaus, Tharandt

Fachkoordination:
Hans-Dieter Jakubke, Ruth Karcher

Redaktion:
Sabine Bartels, Ruth Karcher, Sonja Nagel


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