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Lexikon der Geographie: Nationalatlas

Nationalatlas, Atlas, der einen wissenschaftlich fundierten kartographischen Gesamtüberblick über Natur, Gesellschaft und Wirtschaft eines Staatsgebietes gibt, d.h. sowohl alle wesentlichen physisch- als auch humangeographischen Themen im gleichen Generalisierungsgrad darstellt. Er zeichnet sich durch eine landeskundliche Ausrichtung oder eine sog. "geographische Grundorientierung" aus, wobei sich die Karten wechselseitig ergänzen, miteinander übereinstimmen und vergleichbar sein sollen. Hinsichtlich Aufmachung, Inhalt, Forschungsstand, Darstellungsmethoden, Karten- und Drucktechnik sind die Nationalatlanten immer Ausdruck ihrer Zeit. Sie werden i.d.R. entweder von wissenschaftlichen Gesellschaften und/oder staatlichen Institutionen herausgegeben bzw. erfahren zumindest staatliche Förderung. Nach Umfang sowie inhaltlicher und kartographischer Gestaltung sind entsprechend der im jeweiligen Land zum Zeitpunkt der Herstellung vorhandenen oder vom Ausland zur Verfügung gestellten wissenschaftlichen und technischen Infrastruktur sehr unterschiedliche Werke entstanden. Stellen sie einerseits in erster Linie die Summe der geowissenschaftlichen Forschung über das Land dar, werden sie andererseits häufig vorrangig als Symbol der politischen Unabhängigkeit oder der nationalen Einheit angesehen. Da die Nationalatlanten, deren Auflagenhöhe üblicherweise zwischen 3000 und 10.000 Exemplaren liegt, oft auch als Prestigeobjekt angesehen werden, zeichnen sie sich meist durch eine repräsentative Aufmachung aus. Infolge der Anwendung unterschiedlich strenger Kriterien für die Anerkennung als Nationalatlas existiert bisher keine allgemein anerkannte vollständige Liste der Nationalatlanten.
Neben den gedruckten Atlanten gibt es in jüngerer Zeit von einigen Atlanten auch eine digitale Version auf CD-ROM, außerdem sind einige Atlanten im Internet online verfügbar.
Die Phasen der Entwicklung der Nationalatlanten mit Beispielen zeigt die Abbildung. Als ältester Nationalatlas wird allgemein der Suomen Kartasto (Atlas von Finnland, 1899) angesehen. Verschiedentlich wurde in jüngerer Zeit auf ältere Atlanten hingewiesen, die die Kriterien für einen Nationalatlas entweder ganz oder weitgehend erfüllen (Atlas of Scotland (1895), Physikalisch-Statistischer Atlas des Deutschen Reiches (1876/78) und Physikalisch-Statistischer Hand-Atlas von Österreich-Ungarn (1882-87), Statistical Atlas of the United States 1874). Da der Administrativ-Statistische Atlas vom Preußischen Staate (1827/28; 1990 in der Reihe "Kartenwerk zur Preußischen Geschichte" mit einem Erläuterungsband nachgedruckt) hauptsächlich die Verwaltung betreffende Sachverhalte enthält und Themen zum Naturraum fast vollständig fehlen, ist er als Vorläufer der Nationalatlanten anzusehen.
Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges erschienen insgesamt zehn Kartenwerke, die den Kriterien der Nationalatlanten entsprechen. Von dem seit 1929 geplanten, erst 1937-1941 von Krebs herausgegebenen Atlas des deutschen Lebensraumes sind nur 20 z.T. sehr gut bearbeitete Blätter der geplanten 50 Kartenblätter erschienen.
In der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erschienen weitere Nationalatlanten, jetzt größtenteils in Einzellieferungen. Als eine gewisse Zäsur kann man das Jahr 1960 in der Entwicklung der Nationalatlanten ansehen, als auf der Tagung der Internationalen Geographischen Union (IGU) in Helsinki Empfehlungen und Richtlinien für die Herstellung von neuen Nationalatlanten vorgestellt wurden, die von einer auf der IGU-Tagung in Rio de Janeiro eingesetzten Kommission für National- und Regionalatlanten unter der Leitung des Russen Salistschew erarbeitet worden waren. Zum einen sollte generell die Diskussion um die Herstellung von Nationalatlanten angeregt werden, zum andern sollten die aus der Überprüfung der bis dahin erschienenen Atlanten hervorgegangenen Vorschläge zu einer Verbesserung und Vereinheitlichung neuer Atlanten führen und v.a. auch die Atlasproduktion in den Entwicklungsländern fördern. In der Periode von 1960 bis Mitte der 1970er-Jahre erschienen zahlreiche neue Nationalatlanten nach länderkundlichem Schema meist unter Berücksichtigung der Empfehlungen und Richtlinien der IGU. Ab Mitte der 1970er-Jahre begann sich eine neue Konzeption durchzusetzen. Sie hatte das Ziel, dem Atlasbenutzer eine weitgehende Interpretation der dargestellten Themenkomplexe direkt zu vermitteln, und zwar mittels Karte, aber auch Diagramm, Bild und Text. In den jetzt konzipierten, auch einzeln vertriebenen Themenbänden nahmen die Karten nur noch etwa 1/3 der Fläche ein, 2/3 blieb für Diagramme, Bilder und Text. Als umfangreichster jemals erstellter Nationalatlas erschien die 5. Auflage des Suomen Kartasto (1976-1990, 26 Themenbände, englische Übersetzungen als Anlage), der anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Erstauflage die 6. Auflage des Suomen Kartasto (1999, nur in Finnisch) mit Darstellung der gegenwärtigen geowissenschaftlichen Forschungsaktivitäten in Finnland folgte. Im neuen Atlas de France (seit 1992, 14 Themenbände) fallen v.a. die zahlreichen thematischen Karten beigegebenen modellartigen Interpretationsskizzen auf, die auf Modellen für im Raum ablaufende Prozesse basieren. Während der westdeutsche Atlas zur Raumentwicklung (1976-1987, 11 Themenhefte) zwar im Prinzip der neuen Konzeption folgt, aber nur die Lebensbedingungen in der Bundesrepublik darstellt und deshalb nicht als vollständiger Nationalatlas angesehen werden kann, entspricht der jetzt erscheinende Atlas der Bundesrepublik Deutschland (12 Themenbände jeweils mit CD-ROM; Pilotband 1997, Band 1 Staat und Gesellschaft 2000, Band 10 Freizeit und Tourismus 2000, Band 9 Verkehr und Kommunikation 2001) voll dem neuen Konzept.
Die Mehrzahl der ab 1970 publizierten Atlanten, seien es fortgeführte Auflagen oder neugeschaffene Werke, entspricht jedoch noch mehr oder weniger dem traditionellen Konzept. Von dem als Reihe von 5 großen Themenbänden geplanten Nationalatlas von China sind bisher der National Economic Atlas of China (1994) und der National Physical Atlas of China (1999) erschienen. Die 5. Auflage des Atlas of Canada (1978-1993, Kassette) wird als "kontinuierlich" bezeichnet und durch neue bzw. aktualisierte Blätter fortgeführt. Von der Schweiz gibt es eine erste Version des Atlas der Schweiz – interaktiv (2000, auf CD-ROM). Wie schon 1899 dem Atlas von Finnland auch eine Funktion bei den Selbstständigkeitsbestrebungen des Landes zukam, so wird "An Atlas of Palestine (The West Bank and Gaza)" (Bethlehem 2000), der ursprünglich erst nach Abschluss der Friedensgespräche hätte erscheinen sollen, als ein Baustein bei der Staatswerdung eines Palästinenserstaates angesehen.

HMu


Nationalatlas: Nationalatlas: Die Phasen der Entwicklung der Nationalatlanten mit Beispielen.
  • Die Autoren

Redaktion:
Dipl.-Geogr. Christiane Martin (Leitung)
Dipl.-Geogr. Dorothee Bürkle
Dipl.-Geol. Manfred Eiblmaier

Fachkoordinatoren und Herausgeber:
Prof. Dr. Ernst Brunotte (Physische Geographie)
Prof. Dr. Hans Gebhardt (Humangeographie)
Prof. Dr. Manfred Meurer (Physische Geographie)
Prof. Dr. Peter Meusburger (Humangeographie)
Prof. Dr. Josef Nipper (Methodik)

Autorinnen und Autoren:
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Dr. Wolf-Dieter Erb, Gießen [WE]
Dr. Heinz-Hermann Essen, Hamburg [HHE]
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Robert Fischer M.A., Frankfurt a.M. [RF]
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Prof. Dr. Jens Meincke, Hamburg [JM]
Dipl. Geogr. Klaus Mensing, Hamburg [KM]
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Prof. Dr. Jürgen Schweikart, Berlin [JüS]
Dr. Franz Schymik, Frankfurt a.M. [FS]
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Dr. Karin Wessel, Berlin [KWe]
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Prof. Dr. Klaus Wolf, Frankfurt a.M. [KW]
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Grafik:
Mathias Niemeyer (Leitung)
Ulrike Lohoff-Erlenbach
Stephan Meyer

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