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Lexikon der Mathematik: naive Mengenlehre

auch Cantorsche Mengenlehre, anschauliche Mengenlehre oder intuitive Mengenlehre, auf G. Cantor zurückgehendes Teilgebiet der Mathematik, dem die Cantorsche Definition einer Menge als „Zusammenfassung bestimmter, wohlunterschiedener Objekte unserer Anschauung oder unseres Denkens zu einem Ganzen“ zugrunde liegt.

Eine solche Zusammenfassung von Objekten zu einer Menge kann man veranschaulichen, indem man sich die Objekte in der Ebene liegend und durch eine geschlossene Kurve zusammengehalten denkt. Die Darstellung einer solchen Veranschaulichung bezeichnet man als Mengendiagramm (auch Euler- oder Venn-Diagramm).

Das folgende Beispiel zeigt ein Mengendiagramm, welches im linken Kreis die Menge {1, 2, 3} und im rechten Kreis die Menge {3, 4, 5} darstellt. Die Schnittmenge {1, 2, 3}∩{3, 4, 5} enthält genau die 3 als Element und wird durch den Schnitt der beiden Kreise veranschaulicht.

Abbildung 1 zum Lexikonartikel naive Mengenlehre
© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017
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Manchmal unterscheidet man in der naiven Mengenlehre zwischen sogenannten Urelementen und Objekten höheren Typs. Man spricht dann auch von einer Typentheorie. Die Urelemente stellen die elementaren Objekte einer mathematischen Disziplin dar, z. B. die reellen Zahlen in der Analysis. Objekte höheren Typs sind kompliziertere Gebilde, die aus den Urelementen konstruiert werden, in der Analysis z. B. Mengen und Abbildungen reeller Zahlen.

So lassen sich schrittweise immer kompliziertere Objekte bilden, z. B. Mengen von Abbildungen, Abbildungen von Mengen von Abbildungen u. s. w. Man bezeichnet einen solchen sukzessiven Aufbau als Typenhierachie.

Es hat sich allerdings in der Vergangenheit gezeigt, daß sich im Prinzip alle mathematischen Objekte auf den Mengenbegriff zurückführen lassen. Eine Typentheorie ist somit vom formalen Standpunkt aus eigentlich überflüssig.

Obwohl die naive Mengenlehre für die Entwicklung in vielen mathematischen Disziplinen von entscheidender Bedeutung war, ist sie nicht geeignet, die Mathematik in befriedigender Weise zu begründen.

Das Problem der naiven Mengenlehre liegt in der Möglichkeit widersprüchlicher Mengenbildungen: Betrachtet man z. B. die Menge M aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten, so gilt MM genau dann, wenn MM. Dieser Widerspruch wird als Russellsche Antinomie bezeichnet.

In ähnlicher Weise führt die Betrachtung der Menge aller Mengen, der sogenannten Allmenge, zur Cantorschen Antinomie und die Betrachtung der Menge aller Ordinalzahlen (Kardinalzahlen und Ordinalzahlen) zur Burali-Forti Antinomie.

Solche widersprüchlichen Mengen werden manchmal als inkonsistente Vielheiten, Unmengen oder absolut unendliche Mengen bezeichnet.

In der axiomatischen Mengenlehre wird der Begriff der Menge axiomatisch präzisiert mit dem Ziel, die in der naiven Mengenlehre auftretenden Antinomien zu vermeiden.

  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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