Lexikon der Neurowissenschaft: modulare Systeme
modulare Systeme, Emodular systems, Systeme, die nach dem Prinzip der Modularität arbeiten. Nach der Modularitäts-Hypothese liegen bestimmten Hirnfunktionen, insbesondere bei der Input-Analyse der Wahrnehmung, hochspezialisierte Verrechnungsprozesse zugrunde, die überwiegend modular sind ( siehe Zusatzinfo 1 ). Zentrale Systeme dagegen, insbesondere kognitive Prozesse wie Denken, wären nicht modular organisiert, sondern global, holistisch, bereichsneutral, isotrop, inferentiell, langsam und flexibel. Die Modularitäts-Hypothese ist aus neurowissenschaftlicher Sicht in manchen Punkten plausibel, aber als Ganzes wohl zu rigoros: Das Gehirn ist ontogenetisch und funktional flexibler, als die starren Module es vorsehen, und die einzelnen Wahrnehmungssysteme sind zu einem gewissen Grad "durchlässig" ( siehe Zusatzinfo 2 ).
modulare Systeme
1Eigenschaften modularer Systeme:Modulare Systeme sind 1) bereichsspezifisch, d.h. spezialisiert, 2) obligatorisch, d.h. starr und willentlich kaum beeinflußbar, 3) schnell, 4) hierarchisch organisiert, aber nur begrenzt zugreifbar (z.B. kann man korrekt die Uhrzeit ablesen, ohne sich hinterher an die Form der Ziffern auf dem Ziffernblatt zu erinnern), 5) informationell abgeschlossen, d.h. von Rückkopplungen nicht beeinflußbar, was u.a. die Persistenz der Wahrnehmungen auch bei gegenteiligem Wissen erklärt (deshalb wirken optische Täuschungen auch, wenn man sie längst kennt und durchschaut hat), 6) ontogenetisch weitgehend endogen determiniert, 7) autonom und 8) zwar funktional und nicht anatomisch oder physiologisch charakterisiert, aber dennoch neuronal spezifiziert und gleichsam fest "verdrahtet"; daher können sie auch spezifisch beeinträchtigt werden, z.B. bei Agnosien. Außerdem haben modulare Systeme 9) nur eine Funktion und 10) einen oberflächlichen Output, d.h., nur einfache Merkmale werden zur Weiterverarbeitung ausgegeben.
modulare Systeme
2 Daß die Input-Systeme keinesfalls vollständig endogen spezifiziert sind, zeigen z.B. Positronenemissionstomographie-Studien mit von Geburt an Blinden. Wenn sie Blindenschrift lesen, ist nicht nur der für die taktile Reizverarbeitung zuständige Cortexabschnitt aktiv, sondern auch ihre primäre Sehrinde. Während die Sehrinde bei Sehenden sogar inaktiver wird, wenn sie komplexe Reizmuster ertasten, ist es bei Blinden gerade umgekehrt. Bei einfachen taktilen Reizmustern ist die Sehrinde bei Blinden wie bei Normalsichtigen gleichermaßen inaktiv.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.