Metzler Lexikon Philosophie: Kommunitarismus
Mit K. wird eine politische und soziale Philosophie bezeichnet, die sich in einer Wendung gegen liberalistische Positionen, v.a. in kritischer Auseinandersetzung mit Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit formiert hat. Unter K. wie auch unter Liberalismus finden sich unterschiedliche Strömungen versammelt. Es können mehrere Phasen der Auseinandersetzung unterschieden werden. Die Diskussion entzündete sich am Personenbegriff des Liberalismus, der als ahistorisch und individualistisch kritisiert wurde (Sandel). Auf diese Kritik hat Rawls bereits mit Korrekturen reagiert, so dass die Thematik nicht mehr als zentraler Schauplatz der Debatte gelten darf. Der K. setzt einem Gerechtigkeitsbegriff, der auf individuelle Rechte abhebt, gemeinschaftlich orientierte Konzeptionen des Guten entgegen. Die Struktur moderner Gesellschaften, in denen der Mensch als Handelnder im Mittelpunkt steht, arbeitet insbesondere Etzioni heraus. Bei McIntyre rückt anstelle der Orientierung an abstrakten Normen unter Verweis auf Aristoteles der Begriff der Tugend in den Vordergrund, und mit ihm das Handeln und die Motivation der Einzelnen. Insgesamt orientieren sich Vertreter des K. an aristotelischer und hegelianischer politischer Philosophie. Taylor stellt mit Bezug auf Hegel die Frage nach kollektiven Wertüberlegungen. Fragen der politischen Integration und Legitimation werden diskutiert. Einer universalistischen Gerechtigkeitstheorie steht eine kontextualistisch orientierte Güterethik auf Seiten des K. gegenüber. Die Debatte reicht über die bloße K.-Liberalismus-Kontroverse hinaus. Auch die Diskursethik erarbeitet eine formal-prozedurale Gerechtigkeitstheorie. Ebenso ist die feministische Kritik involviert, die freilich keinem Diskussionslager eindeutig zuzuordnen ist. Von feministischer wie von kommunitaristischer Seite wird der liberalistische Akzent auf der Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre infragegestellt. Es wird darauf hingewiesen, dass gerechtigkeitsorientierte Neutralität umschlagen kann in Blindheit für konkrete Anerkennungsforderungen, was sich gerade am Geschlechterverhältnis zeigen lasse. Aus feministischer Sicht kann auch das zentrale Dilemma kommunitaristischer Ansätze formuliert werden, die zwar die Bedeutung traditioneller Gesellschaftsformen hervorheben, jedoch diese nicht gegen bloße Anpassung abzugrenzen vermögen. Es gelinge »Kommunitaristen oft nicht, zwischen der konstitutiven Bedeutung von Gemeinschaften für die Ausbildung der Ich-Identität und einer konventionellen oder rollenkonformen, einer unkritischen Anerkennung ›meines Platzes in der Welt und der Pflichten, die damit verbunden sind‹« (Benhabib, S. 83) zu trennen.
Literatur:
- S. Benhabib: Selbst im Kontext. Frankfurt 1995
- A. Etzioni: Die aktive Gesellschaft. Eine Theorie gesellschaftlicher und politischer Prozesse. Opladen 1975
- A. Honneth (Hg.): Kommunitarismus. Eine Debatte über die moralischen Grundlagen moderner Gesellschaften. Frankfurt/New York 1993
- A. MacIntyre: Der Verlust der Tugend. Frankfurt 1987
- J. Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt 1975
- M. Sandel: Liberalism and the Limits of Justice. Cambridge 1982
- Ch. Taylor: Quellen des Selbst. Frankfurt 1994
- I. M. Young: The Ideal of Community and the Politics of Difference. In: L. Nicholson (Hg.): Feminism and Postmodernism. New York 1990. S. 300–323.
BES
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