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Metzler Lexikon Philosophie: Míng

(Name, Bezeichnung, auch Begriff im logischen Sinne). Chinesisches Denken über die Sprache geht weit mehr als das westliche vom geschriebenen einzelnen Wort aus. Das liegt bei einer etwa dreitausendjährigen Konstanz der Schriftzeichen nahe, der gegenüber die monosyllabischen Lautwerte der Wörter starken dialektalen und geschichtlichen Veränderungen unterworfen waren. Der ikonische Charakter der etwa zweihundert Radikalzeichen, aus denen auch die komplexeren Zeichen durchweg aufgebaut sind, hat seit den ältesten Zeiten zu »etymologischen« Forschungen und Spekulationen über die ursprüngliche oder »eigentliche« Bedeutung dieser Zeichen und damit der Wörter angeregt. Sprachregulierung und Festsetzung der zulässigen Schriftzeichen war schon in ältester Zeit staatliche Angelegenheit und niemals individueller Erfindungsgabe und Neuerungssucht überlassen. Auch neue Ideen mussten sich mit traditionellen Schriftzeichen artikulieren lassen, d.h. sie wurden in der Regel als Neuinterpretation altehrwürdiger Zeichen formuliert, im Zeichen des dominierenden Konfuzianismus allerdings zumeist mit der Prätention, damit auf die alte und »wahre« Interpretation zurückzukommen. Diese Lage ist selbst die Folge eines schon in der Vor-Qin-Zeit (vor 200 v. Chr.) geführten »Namens-Streites« (Ming Bian) über das Verhältnis von Begriff und Wirklichkeit. Kong Zi (551–479) bringt das Thema auf, indem er angesichts des von ihm diagnostizierten Sittenverfalls seiner Zeit aufruft, die »Namen zu berichtigen« (Zheng Ming). »Wenn die Namen nicht stimmen, dann ist die Rede nicht in Ordnung; wenn die Rede nicht in Ordnung ist, dann werden die Sachen nicht vollbracht« (Kong Zi: Lun Yu). Seine Lehre und deren Wirkungsgeschichte zeigen, dass es ihm darum ging, den Bedeutungswandel der Wörter – ebenso wie die Sittenverwilderung – durch Rückgang auf die alten Bedeutungen – und die sittlichen Prinzipien und Institutionen der Vorzeit – aufzuhalten bzw. rückgängig zu machen: »Der Fürst sei Fürst, der Untertan sei Untertan, der Vater sei Vater, der Sohn sei Sohn!« Die konfuzianische Forderung des Zheng Ming beruht auf der rationalistischen Einsicht, dass die Namen bzw. Begriffe die Vorurteile leiten. Zheng Ming wird daher zur Sprachpolitik der Herstellung »richtiger« Vorurteile und Antizipationen. Die gegenteilige, nämlich empiristische Ansicht vertreten Mo Zi (468–376) und die Mo-Schule: »Man soll nicht von den Namen, sondern von den Tatsachen ausgehen!« (Mo Zi: Gui Yi, Wert der Rechtsordnung). Damit rückt das Thema des Verhältnisses von Namen und Tatsachen bzw. von Begriff und Wirklichkeit (Ming Shi) ins Zentrum des Namensstreites. Die Forderung: »Anpassung der Namen an die Wirklichkeit« führt in der Mo-Schule zu ersten Ansätzen logischer Forschung mit dem Programm: »Den Unterschied von Positiv und Negativ klären; Prüfung der Prinzipien von Ordnung und Unordnung; Klärung der Stellung von Identität und Unterschied; Untersuchung der Begriffe von Namen und Wirklichkeit; Erwägung von Vorteil und Nachteil und Entscheidung von Problemlagen« (Mo Zi: Xiao Qu). In Verfolgung solcher Forschungen bildet sich eine eigene Namens-Schule (Ming Jia, »Logiker«, »Sophisten«), die aus der Problematik sogleich extreme paradoxale Folgerungen zieht. Hui Shi (370–310) behauptet, dass namentliche bzw. begriffliche Unterscheidungen keinen Unterschied in der Sache begründen können, denn es gibt nur eine Sache: »Der Himmel ist wie die Erde niedrig, der Berg ist wie der See eben« usw. Dagegen setzt Gong-sun Long (325–250) die These, dass jedem Namen bzw. Begriff oder ihren Spezifikationen eine besondere und bestimmte Sache entspreche: Ein weißes Pferd ist etwas anderes als ein Pferd. Deshalb ist ein »weißes Pferd nicht Pferd!« (Bai Ma Fei Ma!). Zwischen ihnen vermittelt Yin Wen (unbekannte Lebenszeit) aus der Ming-Schule mit der Maxime: »Der Anfang der Erkenntnis aller Dinge ist die Beseitigung der Vorurteile« (Bie You!) und der These: »Ming ist die Bezeichnung eines Körpers; Körper (Xing) ist ein durch Ming Bezeichnetes ... Darum ist es unmöglich, daß Körper und Name sich nicht richtig (zueinander) verhalten« (Yin Wen Zi: Da Dao, Vom großen Dao). Die Fa-Schule (Rechtsphilosophen) wendet die Denkfigur dann auf Gesetzgebung und Befehl an: Wenn ein Herr sich vor treulosen Bediensteten schützen will, so muss er Xing Ming überprüfen. Xing Ming ist Wort und Tat. Als Bediensteter redet einer Worte und der Herr gibt ihm mit Worten Aufträge, aber nur nach seiner Arbeit bewertet er seine Leistung« (Han Fei Zi, Er Bing). Bei diesen Rechtsphilosophen interessiert in erster Linie die Präzision und »Griffigkeit« der Gesetzes- und insbesondere der Strafbegriffe. Da Xing (mit gleicher Aussprache und sehr ähnlichem Schriftzeichen) auch »Strafe« bedeutet, wird das Problem in der Fa-Schule auch »Strafe und Namen« (Xing Ming) genannt. Im Hintergrund des ganzen Streites um die Namen und ihn vielleicht wesentlich auslösend steht die These des Lao (nach chines. Konvention 580–500) von der Namenlosigkeit bzw. Unbenennbarkeit (Wu Ming) des Ursprungs der Dinge. Er sagt darüber: »In der Sprache kenne ich seinen Namen (Ming) nicht. Mit einem Schriftzeichen (Zi) nenne ich es Weg (Dao). Zu einer Benennung (Ming) gedrängt, nenne ich es das Große (Da)« (Lao Zi: Dao De Jing, 25). Damit macht er zugleich auf die Grenzen der Sprache und die Prekarität der Benennungen in den philosophisch-metaphysischen Grenzfragen aufmerksam. Den berühmten Anfang des Dao De Jing sollte man daher lesen: »Dao als Dao (gefasst) ist schon nicht mehr Dao. Der Name (Ming) als Name (genommen) ist schon nicht mehr Name. Nichts (Wu) ist der Name (Ming) für den Ursprung von Himmel und Erde. Sein (You) ist der Name (Ming) für die Mutter aller Dinge«. Eine abendländische Entsprechung dürfte in der arche-Benennung des Anaximander als »apeiron« (Infinites, Grenzloses, »Un-Definierbares«) sowie in den Gottesbenennungen der »negativen Theologie« der Partristiker liegen. – Offensichtlich sind sämtliche Positionen des Namensstreites in der modernen chinesischen Sprachphilosophie noch ebenso bestimmend wie im Abendland diejenigen Platons, Aristoteles’ und der Stoa.

Literatur:

  • L. Geldsetzer/H.-d. Hong: Chinesisch-deutsches Lexikon der chinesischen Philosophie. Aalen 1986. Art. Name und Tatsache (Míng Shí), Namensfestlegung (Zhēng Míng), Namensstreit (Míng Biàn), Kategorienunterschied von ›weiß‹ und ›Pferd‹ (Bài Mă Fēi Mă).

LG/HDH

  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
IR Ines Riemer, Hamburg
JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
KH Kai-Uwe Hellmann, Berlin
KHG Karl-Heinz Gerschmann, Münster
KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
KRL Karl-Reinhard Lohmann, Witten
KS Kathrin Schulz, Würzburg
KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
LG Lutz Geldsetzer, Düsseldorf
LR Leonhard Richter, Würzburg
MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
OFS Orrin F. Summerell, Bochum
PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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