Metzler Lexikon Philosophie: Problem
(griech. das Vorgelegte), bezeichnet in der Antike (Demokrit, Platon, Aristoteles) einen Handlungsdruck, der auf eine gegebene Situation von außen einwirkt und Entscheidungen fordert, etwas zu tun, ohne darauf vorbereitet zu sein. Dieses Überraschungsmoment äußerte sich daher häufig auch – einem Rätsel gleich – in der Form eines Wissens vom Nichtwissen: P.e standen mitunter für das Unbekannte schlechthin. Heutzutage würde man von dieser rein externen Zurechnung von P.en dagegen eher absehen und stattdessen den konstruktiven Charakter von P.en betonen. P.e sind demnach immer auf bestimmte Einstellungen, Wünsche, Vorstellungen, kurz: Erwartungen zurechenbar, die – durch was auch immer – enttäuscht werden. Insofern tauchen P.e nur auf, weil jemand bestimmte Erwartungen nicht erfüllt sieht. Andere können das ganz anders sehen. P. kommt deshalb keine ontologische Qualität mehr zu. Was ein P. jeweils ist, hängt vom jeweiligen Beobachter ab. Der konstruktive Charakter von P.en trifft aber nicht nur für philosophische P.e, in denen erkenntnistheoretische, ethische oder ästhetische Fragestellungen im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, sondern auch für soziale P.e zu. Bei sozialen P.en tritt jedoch hinzu, dass die Enttäuschung einer Erwartung einer Entscheidung einer anderen Person, Gruppe, Organisation oder gar der Gesellschaft als solcher zugerechnet wird, die dann für die Enttäuschung dieser Erwartung verantwortlich gemacht werden kann, selbst wenn sich eine eindeutige Zurechnung als schwierig erweisen sollte (z.B. bei Arbeitslosigkeit). Zur Lösung von P.en lässt sich sagen, dass man – ausgehend von der Unterscheidung von Erwartung und Enttäuschung – P.e dadurch lösen kann, dass man an der enttäuschten Erwartung trotz Enttäuschung festhält oder sie wegen der Enttäuschung ändert. In Anlehnung an die Kybernetik geht es gewissermaßen um den Versuch, die Abweichung vom Soll-Zustand dadurch rückgängig zu machen, dass entweder der Istzustand an den Sollzustand angepasst wird oder umgekehrt. Wird eine Erwartung wegen einer Enttäuschung aber geändert, handelt es sich um Lernen, weshalb mit N. Luhmann von einer kognitiven Lösung gesprochen werden kann. Wird dagegen an der Erwartung trotz Enttäuschung festgehalten, liegt Nichtlernen vor, was als normative Lösung bezeichnet werden kann. Lösung bezeichnet somit Versuch und Verfahren, den Unterschied zwischen Erwartung und Enttäuschung aufzuheben und damit ein P. zum Verschwinden zu bringen. – Hinsichtlich der Lösung von P.en ist ferner von Interesse, dass der Äquivalenzfunktionalismus P.e als Vergleichsgesichtspunkte versteht, für die es jeweils unterschiedliche Lösungen gibt, die aber alle funktional äquivalent sind insofern, als sie das jeweilige P. gleichermaßen zu lösen versprechen.
Literatur:
- W. Hartkopf: Die Strukturformen der Probleme. Berlin 1958
- F. Klix: Information und Verhalten. Berlin 1973
- M. Landmann: Problematik. Nichtwissen und Wissensverlangen im philosophischen Bewusstsein. Göttingen 1949
- N. Luhmann: Funktion und Kausalität. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 14 (1962)
- Ders.: Normen in soziologischer Perspektive. In: Soziale Welt, Jg. 10 (1969)
- H. Parthey/H. Vogel/W. Wächter (Hg.): Problemstruktur und Problemverhalten in der wissenschaftlichen Forschung. Rostock 1966
- M. Spector/J. I. Kitsuse: Constructing Social Problems. New York 1987
- P. Watzlawick/J.H. Weakland/R. Fisch: Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandelns. Bern/Stuttgart/Toronto 1974
- H. Wein: Untersuchungen über das Problembewusstsein. Berlin 1937.
KH
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