Metzler Lexikon Philosophie: Tài Jí
(Ur-Prinzip, wörtlich: Großes Äußerstes, Extremales), Grundbegriff der alten chinesischen kosmologischen Ursprungsspekulation. Er findet sich zuerst im Buch der Wandlung, wo es heißt: »Wandlung (Yi) hat Tai Ji, es bringt zwei ˲Flügel˱ (Yi, d.h. Yang und Yin bzw. Himmel und Erde) hervor. Die zwei ˲Flügel˱ bringen vier Dimensionen (Xiang, d.h. Vierergruppierungen z.B. der Elemente, der Jahreszeiten) hervor. Die vier Dimensionen bringen die acht Strukturmuster (Gua, d.h. die bekannten aus Yin- und Yangstrichen zusammengesetzten Grundsymbole, die sich dann zu den 65 Symbolen aller Dinge kombinieren) hervor« (Yi Jing, Ji Ci). In der naturphilosophischen Tradition, die vor allem an den alten Kommentar zum Buch der Wandlung (Yi Zhuan; er ist zusammen mit dem Yi Jing als Zhou Yi, Buch der Wandlung aus der Zhou-Dynastie, überliefert), anschließt, taucht ein »Vorwelt-Diagramm« (Xian Tian Tu) auf, das die Verhältnisse graphisch darstellt. Es setzt unter buddhistischem Einfluss dem Tai Ji noch ein Wu Ji (d.h. extremales Nichts, engl. Ultimate of Non-Being) voraus, und es ersetzt die vier Dimensionen unter konfuzianischem Einfluss durch die fünf Elemente Feuer, Wasser, Erde, Holz und Metall (Gold). Die neokonfuzianische Metaphysik seit der Zeit der nördlichen Song-Dynastie (960–1127 n.Chr.) diskutiert seither metaphysische und kosmologische Grundprobleme durch Interpretation der hier vorliegenden Begriffe, insbesondere von Tai Ji. Ausgang dazu war der Kommentar zum Tai Ji-Diagramm (Tai Ji Tu Shuo) des Zhou Dun-yi (1017–1073) sowie dessen Traktat zum Durchdringen des Buchs der Wandlungen (Tong Shu). Zhou Dun-yi sagt über Tai Ji: »Tai Ji bringt durch Bewegung Yang hervor. Wenn seine Aktivität an ihre Grenze gelangt, wird es ruhig. Durch Ruhe erzeugt Tai Ji das Yin« (Zhou Dun-yi: Tai Ji Tu Shuo). Sein Zeitgenosse Shao Yong (1011–1077) identifiziert Tai Ji mit dem Dao der Daoisten und mit Bewusstsein (Xin, Dao). Im Sinne eines kosmischen und historischen Kreislaufprozesses legt er dar: »Tai Ji bewegt nicht, das ist sein Wesen (Xing). Wenn es hervortritt, ist es Geist (Shen). Wenn es Geist ist, ist es Zahl bzw. Struktur (Shu). Wenn es Zahl ist, ist es Erscheinung (Xiang). Wenn es Erscheinung ist, ist es Ding (Qi). Wenn es Ding ist, verwandelt es sich und kehrt zum Geist zurück« (Shao Yong: Huang Ji Jing Shi, Guan Wu Wai Bian, Die Welt des Absoluten, Anschauung der Dinge, 2. Teil). Zhu Xi (1130–1200) erklärt Tai Ji als »Idee der Gesamtheit von Himmel und Erde und aller Dinge« (Zhu Xi: Yu Lei, Gespräche, Bd. 9). Zhang Zai (1020–1077) bringt Tai Ji zuerst mit der Entstehung der Materie (Qi, wörtl. Luft) in Zusammenhang (Zhang Zai: Zheng Meng, Da Yi, Aufklärung von Dunkelheiten, Über die Große Wandlung), was dann für die Materialisten verbindlich blieb, wie etwa für Wang Ting-xiang (1474–1544) in seiner Diskussion über Tai Ji (Tai Ji Bian). Noch Sun Yatsen (1866–1925) deutete in dieser materialistischen Traditionslinie Tai Ji als das, was man in der westlichen Physik damals viel diskutierte, suchte, aber nicht experimentell dingfest machen konnte: den Äther. Er schrieb: »Am Uranfang ist Tai Ji (dieser Begriff bedeutet den westlichen Begriff des Äthers). Seine Bewegung erzeugt die Elektrizität. Die Verdichtung der Elektrizität erzeugt die Elemente. Die Verbindung der Elemente erzeugt die Materie. Die Anhäufung von Materie erzeugt die Erde. Das ist die erste Epoche der kosmischen Evolution« (Sun Zhong-shan: Sun Wen Xue Shuo, Lehre des Sun Wen = Sun Yatsen).
Literatur:
- Wing-Tsit Chan: A Source Book in Chinese Philosophy. Princeton 1963. S. 463–480
- L. Geldsetzer/H.-d. Hong: Chinesischdeutsches Lexikon der chinesischen Philosophie. Aalen 1986. Art. Unbestimmtes (Wú Jí), Ur-Idee (Tài Jí).
LG/HDH
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