Metzler Lexikon Philosophie: Vajrayāna
(sanskrit: Diamantfahrzeug; tibetisch: rdo rje’i theg pa), auch als Tantra-yāna (Tantra: sanskrit: Gewebe/Zusammenhang; Bezeichnung für Texte des tantristischen Lehrsystems), Mantra-yāna (Mantra: sanskrit: heilige Silbe) oder esoterischer Buddhismus bezeichnet, ist eine Schulrichtung des Buddhismus, die sich, inspiriert vom hinduistischen Tantrismus um die Mitte des 1. Jt. n. Chr. in NO- und NW-Indien entwickelte. Sie ging aus den Lehren des Mahāyāna-Buddhismus hervor und wurde mit diesem von Indien nach Tibet, Japan und China gebracht. Da v.a. für den Tibetischen Buddhismus von großer Bedeutung, wird der Begriff oftmals synonym mit diesem gebraucht. Das V. bildet die Grundlage des Tibetischen Buddhismus, in dem die vier großen Hauptrichtungen Nyingmapa, Kagyüpa, Sakyapa und Gelugpa jeweils eigene, philosophische Theorien mit spezifischen Meditationsformen verbinden. Inhaltlich entsteht eine Kombination der im Mahāyāna-Buddhismus vorhandenen Lehr- und Symbolsysteme mit tantrischen, sowie indigenen, magischen Praktiken, die im weiteren Verlauf zu einem stark psychologisch orientierten Ritualismus wird. Grundlegend ist eine energetische Betrachtungsweise der Welt, die Verbindung grob- und feinstofflicher Ebenen, sowie die Analogie von Mikro- und Makrokosmos. Im Ritual dient eine äußere Handlung als Spiegel des inneren, psychischen Kosmos. Hierbei sind u. a. sexuelle Symbolik zur Veranschaulichung geistiger Prinzipien, Visualisierung bipolarer Gottheiten mittels meditativer und yogischer Praktiken, bis hin zur tatsächlichen körperlichen Vereinigung mit einem gegengeschlechtlichen Partner mit dem Ziel der Entfaltung höchster Bewusstheit zu nennen. Ebenso symbolisieren Diagramme wie Man. d. alas und Yantras den psychischen Kosmos. Von größter Bedeutung ist darüber hinaus die Initiation als unabdingbare Voraussetzung für das Erlangen höherer Bewusstseinsebenen, sowie die Verwendung mystischer Silben (Mantra) und Handgesten (sanskrit: Mudrā). Ursprünglich traditionell in kleinen Gruppen von Meister zu Schüler weitergegebenes Wissen, wird erst in einem sehr späten Stadium und nur zum Teil verschriftlicht. Klostertraditionen sind ebenfalls ein relativ junges Phänomen. In China ist aus dieser Tradition die im 8. Jh. entstandene Mi-Tsung (chin. Schule der Geheimnisse) zu nennen, die im 9. Jh. in Japan als Shingon (jap. Schule des wahren Wortes) bekannt wurde.
Literatur:
- M. v. Brück: Religion und Politik im Tibetischen Buddhismus. München 1999. S. 107-157
- H. v. Glasenapp: Buddhistische Mysterien. Stuttgart 1940
- J. Hopkins (Hg.): Tantra in Tibet. The Great Exposure of Secret Mantra. London 1977
- A. Gruschke: Tibetischer Buddhismus. Kreuzlingen/München 2003
- R. Snellgrove: Indo-Tibetan Buddhism. London 1987. S. 117 – 303
- G. L. Söpa/J. Hopkins: Practice and Theory of Tibetan Buddhism. London 1976
- A. Wayman: The Buddhist Tantras. London 1973.
CH
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