Lexikon der Physik: Exotische Atome
Exotische Atome
Gisbert zu Putlitz, Heidelberg
Als exotisch werden Atome bezeichnet, die neben den natürlichen Bausteinen Elektron (e-) zum Aufbau der Atomhülle sowie Proton (p+) und Neutron (n0) zum Aufbau des Kerns noch andere elementare Teilchen enthalten. Mit der Entwicklung von Beschleunigern für Elektronen und Protonen zu immer höheren Energien und Intensitäten hin gelang es, eine Vielzahl von ›exotischen‹ Teilchen zu erzeugen, die sich aufgrund ihrer negativen Elementarladung für den Einbau in die Hülle oder bei positiver Ladung auch als ›Pseudo-Kern‹ eines Atoms verwenden ließen. In die erste Kategorie fallen die schweren Leptonen negatives Myon (μ-) und Tauon (τ-), aber auch die Mesonen Pion (π-) und Kaon (K-) sowie die negativen Hadronen (Σ-), (Ξ-) und (Ω-) und das Antiteilchen des Protons (
). Als Pseudo-Kern dienten bislang das Positron (e+), das positive Myon (μ+), das positive Pion (π+) und das Antiproton (
), die durch die Bindung eines Elektrons die wasserstoffähnlichen Atome Positronium P = (e+e-), Myonium M = (μ+e-), Pionium Π = (π+e-) und Antiwasserstoff
bilden. Schließlich sind noch exotische Atome zu erwähnen, bei denen im Kern ein Hadron wie beispielsweise das neutrale Λ-Teilchen gebunden ist.
Erzeugung
Im folgenden sollen zuerst die Atome mit negativen Teilchen in der Hülle betrachtet werden. Da die in einem atomaren Zustand eingefangenen negativen Elementarteilchen in Bezug auf das Elektron nicht dem Paulischen Ausschlußverbot unterliegen, können sie jeden Zustand mit allen möglichen Quantenzahlen besetzen, ganz gleich ob einer mit demselben Satz von Quantenzahlen schon mit Elektronen gefüllt ist oder nicht. In der Regel werden die aus einem Beschleuniger stammenden Sekundärteilchen durch Materie abgebremst und im Targetmaterial gestoppt, wo sie meist in Zustände hoher Haupt- und Drehimpulsquantenzahlen eingefangen werden. Aus diesen Zuständen gelangen sie durch Emission von elektromagnetischer Strahlung oder durch Freisetzung von weiteren im System vorhandenen Elektronen in einem Auger-Prozeß in tiefer liegende Zustände, bis sie den Grundzustand erreichen. Das dabei emittierte elektromagnetische Spektrum ist wasserstoffähnlich und hat Energien im Bereich der Röntgenstrahlung (γ-Spektren). Für die Energie E der Zustände des Atoms gilt
und für den entsprechenden Bohrschen Radius
mit n = Hauptquantenzahl des Zustands; μred = reduzierte Masse des negativen Teilchens X in der Hülle;
; μred ≈ mX für mX
mN; c = Lichtgeschwindigkeit; h = Plancksches Wirkungsquantum;
Z = Kernladungszahl des bindenden Kerns;
Feinstrukturkonstante ≈ 1/137. Für einen mittelschweren Kern (z.B.
) läßt sich die Energie
für die Lyman-α-Linie (im elektronischen Wasserstoff 10,2 eV) für einen myonischen Übergang im gleichen Atom (mμ ≈ 207 me) zu
≈ ΔELα · 207 · (542) ≈ 6,04 · 106 eV abschätzen. Tatsächlich ist die beobachtete Energie sehr viel geringer. Der Grund wird sofort offenbar, wenn der Radius des μ- im Xe berechnet wird. Es gilt
mit a0 = Bohrscher Radius ≈ 5 · 10-11 m für r = 4 · 10-15 m bei einem Kerndurchmesser von
.
Daraus folgt, daß die Bahn des Myons im 1s-Zustand des Xe bereits innerhalb des Kerns verläuft und eine beträchtliche Korrektur für die Lage des 1s-Energieniveaus angebracht werden muß. Die Spektren von myonischen, pionischen und hadronischen Atomen sind seit Beginn dieser Untersuchungen Anfang der fünfziger Jahre für eine große Zahl stabiler Kerne durchgeführt worden. Abb.1 zeigt das Termschema für ein myonisches Spektrum. In Abb. 2 sind die gemessenen Spektrallinien für das myonische Spektrum von Neodym-Isotopen dargestellt.
Messung von Kerneigenschaften
Apparativ hat die Vermessung dieser Spektren von der Entwicklung hoch auflösender Halbleiterzähler und schließlich auch von Kristall-Diffraktionsspektrometern sehr profitiert. Während aus den von der Kernausdehnung noch weitgehend unbeeinflußten γ-Linien mit hohen Quantenzahlen vor allem die Massen der exotischen Teilchen bestimmt worden sind, dienten die tiefer liegenden Übergänge des Spektrums der Messung von Kernradien, von Isotopie- und Isotonieverschiebungen und von Änderungen der Ladungsverteilung in isomeren Kernen.
Darüber hinaus gibt die Untersuchung der Hyperfeinstruktur in μ--Spektren Auskunft über das kernmagnetische Moment und das Kernquadrupolmoment. Letzteres tritt in den myonischen Spektren sehr viel stärker hervor, da die entsprechenden Wechselwirkungsenergien mit
(magnetische Wechselwirkung) und
(elektrische Quadrupolwechselwirkung) anwachsen. Für größere Kernladungen spielen hierbei Strahlungskorrekturen und Kernpolarisationseffekte eine nicht mehr vernachlässigbare Rolle und reduzieren die Interpretierbarkeit der Absolutwerte. Gleichwohl haben die Spektren der kaonischen, mesonischen und hadronischen Atome eine sehr wichtige Rolle bei der Erfassung systematischer Trends der Kernladungsverteilung und Kernmassenverteilung sowie von Kerndeformationen über längere Reihen von Isotopen gespielt. Abb. 3 zeigt die aus myonischen Spektren extrahierten Kernradien von Ca zwischen den magischen Neutronenzahlen N = 20 bis N = 28.
Aus der Beobachtung von mehreren Übergängen eines myonischen Spektrums lassen sich mindestens zwei Parameter der Kernladungsverteilung bestimmen, der mittlere Ladungsradius C und die Hautdicke dieser Verteilung t. Abb. 4 zeigt ein C-t-Diagramm für Neodym und die Definition dieser Größen.
Neben der Lage der Energieniveaus exotischer Atome ist auch deren Breite von großem Interesse. Beginnen sich die Wellenfunktionen des exotischen Teilchens in der Hülle mit der Ausdehnung der Kernmaterie zu überlappen, treten Kernabsorptionsprozesse auf, wie z.B. μ- + p
n + νμ über die schwache Wechselwirkung oder K- + N
Λ + π- (N = Nukleon) über die starke Wechselwirkung. Die Lebensdauer τ der tieferen Zustände (z.B. 1s) und damit deren Verbreiterung aufgrund der Unschärferelation ΔE · t ≈
gibt Auskunft über den Wirkungsquerschnitt des Kernabsorptionsprozesses. Für myonischen Wasserstoff im 1s-Zustand beträgt die Rate für den Absorptionsprozeß Rc ≈ 500 s-1, er ist also selten verglichen mit dem natürlichen Zerfall des Myons R ≈ 1 / τμ ≈ 5 · 105 s-1. Für niedrige Kernladungszahlen steigt die Einfangwahrscheinlichkeit mit Z4 an.
Myonisches Helium
Ein exotisches Atom besonderer Art stellt das myonische He dar. Bei seiner Bildung werden aufgrund der freigesetzten Energie in der Einfangkaskade des Myons beide He-Elektronen über den Auger-Effekt ionisiert. Das verbleibende (He++μ-)+-Ion ist wasserstoffähnlich, es wurde auf seine Termenergien untersucht, die mit der Theorie gut übereinstimmen. Später gelang es auch, neutrale (He++μ-e-)0-Atome zu erzeugen und ihre Hyperfeinstruktur (eine Aufspaltung aufgrund der Wechselwirkung zwischen den magnetischen Momenten von Myon und Elektron im Grundzustand) zu vermessen. Wegen der Größenverhältnisse in diesem System rN ≈ 3 fm, rμ ≈ 120 fm, re ≈ 27000 fm) wurde es von einer Tageszeitung Matroschka-Atom genannt, in Anlehnung an die ineinander geschachtelten russischen Holzpuppen.
Eigenschaften exotischer Teilchen
In der Tabelle sind die negativen exotischen Teilchen aufgeführt, die für die Bildung von exotischen Atomen in Frage kommen. Von diesen konnten tauonische Atome bisher nicht beobachtet werden, weil die Lebensdauer des τ-Leptons von 10-13 s sehr breite Linien verursacht und dessen hohe Masse von rund 3500 Elektronenmassen sehr schnell zu seiner Vernichtung durch Kernabsorption führt.
Exotische Atome: Eigenschaften von negativen, nicht stabilen Leptonen, Mesonen, Hadronen und von Antiprotonen.
| ||||||
Z | m [MeV] | τ [s] | [fm] | |||
μ- | -1 | 106 | 2,2 · 10-6 | 2,8 · Z2 | 241/Z | |
τ- | -1 | 1777 | 2,9 · 10-13 | 47,2 · Z2 | 14/Z | |
π- | -1 | 140 | 2,6 · 10-8 | 3,7 · Z2 | 55/Z | |
K- | -1 | 494 | 1,2 · 10-8 | 13,1 · Z2 | ||
Σ- | -1 | 1197 | 1,5 · 10-10 | 31,8 · Z2 | 23/Z | |
Ξ- | -1 | 1321 | 1,7 · 10-10 | 35,2 · Z2 | 21/Z | |
Ω- | -1 | 1673 | 1,3 · 10-10 | 44,5 · Z2 | 16/Z | |
-1 | 938 | ∞ | 25 · Z2 | 27/Z |
Ein besonderes Gebiet stellen die antiprotonischen Atome dar. Der Einfang in der Hülle läuft zunächst nach den üblichen Regeln des Einfangs schwerer, einfach negativ geladener Teilchen ab, die der elektromagnetischen Wechselwirkung unterliegen. Die beobachteten Spektren in H, He und anderen leichten Atomen entsprechen den theoretischen Vorhersagen für große Quantenzahlen. Für kleinere n beginnt dann die starke Wechselwirkung zu dominieren, es bildet sich beispielsweise im antiprotonischen Wasserstoff das System Protonium
, welches ähnlich dem Positronium über die Teilchen-Antiteilchenvernichtung, hier aber über starke Wechselwirkung, mit einer hohen Rate zerfällt. Eine große experimentelle wissenschaftliche Leistung war die genaue Spektroskopie der Energiedifferenzen einiger hochangeregter Zustände in antiprotonischem neutralem
mittels Laserspektroskopie zu Beginn der neunziger Jahre.
Atome aus Antimaterie
Die Untersuchung von neutraler Antimaterie mit hoher Genauigkeit war spätestens seit der Synthese des Antideuterons, eines stark gebundenen Systems, vor mehr als dreißig Jahren ein vorrangiges Ziel der Physik. Während die starke, die elektromagnetische und die schwache Kraft als gleich für Materie und Antimaterie nachgewiesen wurden, bleibt diese Frage für die Gravitation offen, solange Experimente mit neutraler Antimaterie ausstehen. Deshalb wurde die Erzeugung eines neutralen, nur aus Antimaterie bestehenden Atoms, des Antiwasserstoffs (
), auf unterschiedlichen Wegen versucht. Unter den verschiedenen Ansätzen einer Speicherung von Antiprotonen und Positronen in demselben Speichervolumen und einer Bindung durch Dreierstöße, einer laserinduzierten Rekombination von parallelen, in das gleiche Volumen fokussierten
– und e+-Strahlen gleicher Geschwindigkeit durch laserinduzierte Rekombination aus dem Kontinium und einer assoziierten Produktion von
und e+ im gleichen Phasenraum mit simultaner Bindung hat die letztgenannte Methode zu einem ersten Nachweis von Antiwasserstoff geführt. Allerdings eignet sich diese wenig für eine Präzisionsmessung der Gravitationskraft auf den gebildeten Antiwasserstoff. Hier werden am ehesten die Fallenmethoden erfolgreich sein, vor allem wenn es in Zukunft gelingen sollte, ganze Antiwasserstoffkondensate zu erzeugen.
Positronium und Myonium
a) Positronium
Schließlich gehören auch die künstlichen Atome Positronium und Myonium zu den exotischen Atomen.
Positronium wurde Anfang der fünfziger Jahre entdeckt und seitdem mit immer größerer Genauigkeit in Bezug auf seine Termenergien und Zerfallskonstanten in den verschiedenen Kopplungszuständen untersucht. Positronium wird gebildet, wenn Positronen (e+) aus einer Quelle, beispielsweise 22Na oder 64Cu, in einem Gas (z.B. Argon) oder einem feindispersen Pulver abgebremst werden und dort am Ende des Bremsprozesses an ein Elektron durch Ladungseinfang gebunden werden. (Heute sind eigentlich nur noch die Pulvermethoden von Interesse, Gase werden kaum noch verwendet.) Positron und Elektron bilden den n = 1-Grundzustand 11S0 (Spins antiparallel, Parapositronium) und 13S1 (Spins parallel, Orthopositronium). (Im Myonium und bei den Wasserstoffatomen bezeichnet man diese Zustände als Hyperfeinstruktur und belegt sie mit den Quantenzahlen F = 0 und F = 1). Bei der Annihilation in Photonen spielt die C-Parität (l + s)-1 eine wichtige Rolle. Da das Photon die C-Parität C = -1 hat, erfolgt der Zerfall abhängig von den Quantenzahlen des Zustandes jeweils in eine gerade oder ungerade Anzahl von Photonen. Der 1S0-Zustand zerfällt vornehmlich über einen kollinearen Zweiquantenzerfall mit der Energie der Ruhemasse von e+ bzw. e- von Eγ = 511 keV und einer Lebensdauer von τ(1S0) = 1,25 · 10-10 s. Der 3S1-Zustand zerfällt hauptsächlich über drei γ-Quanten mit τ(3S1) = 1,4 · 10-7 s. Der große Unterschied in der Lebensdauer der beiden Zustände bewirkt eine Ungleichbesetzung von 1S0 und 3S1, was für eine spektroskopische Messung von deren Energieabstand ausgenutzt werden kann. Induzierte Hochfrequenzübergänge vom 3S1 in den 1S0 Zustand erhöhen die Zahl der kollinearen 2γ-Zerfälle mit der scharfen Energie von 511 keV, was über geeignete Detektoren nachgewiesen werden kann. – Schließlich sei noch erwähnt, daß auch die angeregten n = 2-Zustände des Positroniums nachgewiesen und untersucht werden konnten.
Positronium ist ein ideales System, um die Quantenelektrodynamik (QED) und deren Korrekturen zu studieren, da diese fast ausschließlich für die Wechselwirkung zwischen den Leptonen e+ und e- verantwortlich ist. In niedrigster Ordnung gilt
(R∞: Rydberg-Konstante), wobei die Beiträge von der Breit-Wechselwirkung (magnetische WW) und der Paarvernichtung herrühren. Unter Berücksichtigung von Termen höherer Ordnung in α2R∞ und α3R∞ ergibt sich für ΔE = (13S1 – 11S0)theor = 2,03380 · 1011 Hz, was mit dem experimentellen Wert ΔE = (13S1 – 11S0)exp = 2,033 98(11) · 1011 Hz verglichen werden muß. Die Übereinstimmung beider Werte zeigt die Zuverlässigkeit, mit der Rechnungen in der QED durchgeführt werden können.
Die Annihilationsrate für Positronium in 2γ- oder 3γ-Zerfällen ist in der QED ebenfalls genau berechenbar. Die entsprechenden Ergebnisse lauten für den 11S0-Zustand: τexp = 0,799(11) · 1010 s-1 und τtheor = 0,79854(36) · 1010 s-1, für den 13S1 Zustand: τexp = 0,7262(15) · 107 s-1 und τexp = 0,72119(39) · 107 s-1.
Positronium spielt nicht nur als freies Atom zum Test der QED eine bedeutende Rolle, sondern auch als System zur Suche nach seltenen Zerfällen oder nach exotsichen Teilchen wie dem Axion. Schließlich dient es als Sonde im Festkörper, beispielsweise, um lokale Elektronendichten oder Diffusionsprozesse zu untersuchen.
b) Myonium
Ebenso wie Positronium ist auch Myonium (M = μ+e-) ein rein leptonisches Atom, in dem die elektromagnetische Wechselwirkung dominiert. Da zwischen zwei ungleichen Leptonen aber keine Paarvernichtung stattfinden kann, wird die Lebensdauer von M durch die Lebensdauer des μ+ von τμ+ = 2,197 03(4) · 10-6 s bestimmt. Diese relativ lange Lebensdauer des M-Atoms macht es für hochpräzise Experimente zur Messung seiner Energieaufspaltung besonders geeignet. Das Spektrum von Myonium ( Abb. 5 ) im Grund- und ersten angeregten Zustand zeigt, welche Messungen möglich sind. Aus der Hyperfeinstrukturaufspaltung des Grundzustandes
(μμ magnet. Moment des Myons, μ0 Bohrsches Magneton, m Massen der Leptonen) lassen sich bei Messungen im Nullfeld sowie im schwachen und starken Magnetfeld das magnetische Moment des Myons bzw. dessen Masse und die Feinstrukturkonstante α extrahieren. Eine Messung der Übergangsfrequenz zwischen dem 12S1/2- und 22S1/2-Zustand ergibt einen präzisen Wert für die Masse mμ des Myons. Die genaue Kenntnis dieser Werte ist unabdingbar, wenn aus einer gegenwärtig laufenden, neuen Messung des g-Faktors des Myons kleine Beiträge der starken und schwachen Wechselwirkung neben der dominierenden elektromagnetischen isoliert werden sollen, um mögliche Beiträge von bislang unbekannten exotischen Wechselwirkungen zu erkennen.
Experimentell wird Myonium durch Einfang von Elektronen in einem Gastarget oder in einer Festkörperoberfläche aus SiO2-Pulver feinster Körnung hergestellt. Abb. 6 zeigt ein Experiment zur Beobachtung von Hochfrequenzübergängen in M. Da Myonen wegen der Nichterhaltung der Parität im schwachen Zerfall π+
μ+ + νμ polarisiert erzeugt werden und diese Ausrichtung des Myonspins auch bei der Myonium-Bildung erhalten bleibt, lassen sich spindepolarisierende Hochfrequenzübergänge an der Änderung der Winkelverteilung der Zerfallspositronen im Zerfall π+
e+ + νe + νμ nachweisen. Ein so gewonnenes Resonanzsignal zeigt Abb. 7 . Nach 38 Jahren der Forschung am Myoniumatom konnte der Wert von Δνhfs,1s(Myonium) von 4 461,3 ± 2,2 MHz zu 4 463,302 764 (54) MHz verbessert werden. Dies wurde auch dadurch möglich, daß eine Verengung der Resonanzlinie unter die natürliche Linienbreite von δν ≈ 1/(πτμ) ≈ 145 kHz gelang, indem nur solche Zerfälle registriert wurden, die von Myonium-Atomen stammten, die sehr viel länger als τμ kohärent, d.h. in fester Phasenbeziehung mit dem Hochfrequenzfeld in Wechselwirkung getreten waren. Die Registrierung jedes einzelnen Erzeugungs- und Zerfallszeitpunktes des Myonium-Atoms läßt eine solche Auswahl zu.
Die Messung der 1s-2s-Energiedifferenz in Myonium erfolgte über den induzierten Zweiphotonenübergang 12S1/2-22S1/2. Hierzu war ein sehr leistungsfähiges Lasersystem bei einer Wellenlänge von λ = 244 nm notwendig, welches im Takt der durch einen Beschleuniger gepulsten Erzeugung der Myonen arbeitete. Der Nachweis für die induzierte Besetzung des angeregten 22S1/2-Zustands durch Zweiphotonenabsorption wurde über die Photoionisation dieses angeregten Myonium-Atoms durch ein weiteres Quant von 244 nm aus dem gleichen Lichtfeld bewerkstelligt, so daß als Signal ein energie- und massenselektiertes μ nachgewiesen werden konnte. Als bester Meßwert ergab sich bisher Δν(12S1/2-22S1/2) = 2 455,529 002 (57) ΜHz. Weitere Untersuchungen im Myonium zielten auf die Lamb-Verschiebung in den n = 1- und n = 1-Zuständen und die Feinstrukturaufspaltung 22P1/2-22P3/2.
Für alle Elementarteilchen stellt sich die Frage der Erhaltung ihrer Quantenzahlen. Myonium bietet hier die Möglichkeit, den Übergang des gebundenen Systems M = (μ+e-) in sein Antisystem
zu untersuchen, bei dem Energie und Ladungserhalt gegeben sind und nur die separate Leptonenzahlerhaltung für e und μ verletzt wird. In vielen zum Teil spekulativen Modellen wird aber eine Verletzung dieser Variante der Leptonenzahlerhaltung vorausgesagt, allerdings mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit. Die Suche nach dieser Konversion läuft seit dreißig Jahren, im letzten Experiment wurde M im Vakuum erzeugt und die Zerfallsprodukte nach einem hochenergetischen e- (aus dem μ--Zerfall) und einem langsamen e+ (aus der Hülle von
) analysiert. Die neuesten Messungen ergeben für die Konversionsrate
(90 % C.L.) und für die Kopplungskonstante
(90 % C.L.) in Einheiten der Fermi-Kopplungskonstanten GF. Durch diese Messungen konnten verschiedene Modelle, die eine M-
-Konversion mit einer bestimmten Intensität postulieren, ausgeschlossen werden. Außerdem konnte eine untere Grenze für die Masse eines bileptonischen Eichbosons von m > 2,7 TeV angegeben werden.
Schließlich muß noch die Synthese des Pioniumatoms Π = (π+e-) erwähnt werden, welches aber wegen der gegenwärtig verfügbaren Pionenquellen noch nicht näher untersucht werden konnte. Da das Pion keinen Spin hat, lassen sich hier vor allem die n = 1- nach n = 2-Übergänge untersuchen, um Informationen über die endliche Ausdehnung der π-Ladung (Pion-Formfaktor) zu erhalten. Die kurze Lebensdauer des π+ macht solche Experimente aber erst mit der nächsten Generation von Beschleunigern mit wesentlich größeren Intensitäten erfolgversprechend.
Neue Beschleuniger mit hohen Intensitäten lassen auch auf die Erzeugung von solchen exotischen Atomen hoffen, die aus zwei instabilen Teilchen bestehen, beispielsweise
und K+K- sowie viele andere Kombinationen. Immerhin gelang es schon vor mehr als 20 Jahren, aus dem Zerfall
einige Fälle zu isolieren, bei denen π und μ mit gleicher Geschwindigkeit in einen so engen Raumwinkel emittiert wurden, daß sie als gebundenes System nachgewiesen werden konnten.
Zusammenfassend läßt sich festellen, daß die exotischen Atome viel zum Wissen über die exotischen Teilchen und deren Bindung im Atom sowie zur Ausdehung und Gestalt der Atomkerne beigetragen haben. Die einfachen, rein leptonischen und wasserstoffähnlichen exotischen Atome dienten mit zu den genauesten Tests der Quantenelektrodynamik, die in gebundenen atomaren Systemen vorgenommen wurden. Außerdem lassen sich in so einfachen Systemen von gebundenen Elementarteilchen fundamentale Symmetrien in der Physik sauber testen.
Exotische Atome 6: Aufbau des Myoniumexperiments in Los Alamos zur Messung der Hyperfeinstruktur. In einem supraleitenden Magneten, der ein sehr homogenes Magnetfeld von 1,7 Tesla erzeugt, werden positive Myonen aus einem Beschleuniger in ein Edelgastarget geschossen. Dort bilden sie Myonium und können hochfrequenzspektroskopisch untersucht werden. Da das Myonium polarisiert hergestellt wird, läßt sich aus der Asymmetrie der Zerfallpositronen des Myons nachweisen, ob durch die Mikrowellenresonanz das Myonium depolarisiert wurde.
Exotische Atome 7: Mikrowellenresonanzlinien der beiden Zeeman-Übergänge (a) ν12 und (b) ν34 in Myonium. Die Breite der mit der Technik der Beobachtung alter Myoniumatome gewonnenen Signale (8-10 μs entsprechend 4-5 Lebensdauern) liegt etwa bei der Hälfte der Breite der mit konventioneller Technik spektroskopierten Resonanzen. Gleichzeitig sind die verschmälerten Signale vierfach höher.
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