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Kosmologie: Boomerang erforscht Big Bang

Die seit 1992 bekannten Temperaturschwankungen der kosmischen Hintergrundstrahlung ließen sich in Ballonexperimenten jetzt erstmals mit sehr hoher Auflösung messen. Die Ergebnisse liefern neue Erkenntnisse darüber, wie Galaxien und Galaxienhaufen entstanden sind.


Nach dem gängigen Urknall-Modell war das expandierende Universum anfangs von einem dichten Plasma aus isolierten Elementarteilchen – Elektronen, Positronen, Neutrinos, Photonen, Quarks und Gluonen – erfüllt. In einem solchen Medium konnte Licht nur ganz kurze Strecken zurücklegen, weil es immer wieder sofort gestreut wurde. Die Folge: Im All herrschte tiefste Finsternis. Doch bei zunehmender Expansion sank die Temperatur des Plasmas von einigen hundert Milliarden Grad allmählich ab, sodass sich aus Quarks und Gluonen zunächst leichte Kerne bildeten. Erst als diese sich ab etwa 3000 Kelvin dann mit Elektronen zu Atomen vereinigten, wurde es plötzlich Licht.

Ein Abglanz dieses ersten Aufleuchtens durchdringt bis heute das All. Allerdings hat sich die Wellenlänge des damals ausgesandten Lichts durch die weitere Ausdehnung des Kosmos und die damit einhergehende Dehnung von Wellen um mehr als das Tausendfache verschoben, sodass sie nun im Mikrowellenbereich des elektromagnetischen Spektrums liegt. Arno Penzias und Robert Wilson haben diese so genannte kosmische Hintergrundstrahlung 1965 mit einer 20-Fuß-Hornantenne bei einer Wellenlänge von 7,35 Zentimetern zufällig entdeckt – der bedeutendste Fortschritt in der Kosmologie seit dem Nachweis der Rotverschiebungen. Das Spektrum der Strahlung stimmt mit demjenigen überein, das ein so genannter Schwarzer Körper der Temperatur von 2,73 Kelvin aussendet. Wie insbesondere der Satellit Cobe (Cosmic Background Explorer) 1992 nachwies, ist die Übereinstimmung mit der Theorie so gut, dass nur wenige Labors auf der Erde in der Lage wären, ein derart akkurates Schwarzkörper-Spektrum künstlich zu erzeugen.

Darüber hinaus fand Cobe jedoch auch winzige räumliche Schwankungen in der Hintergrundstrahlung (Spektrum der Wissenschaft 6/92, S. 18): In einem Himmelsbereich entsprach das Schwarzkörperspektrum beispielsweise einer Temperatur von 2,7281, in einem anderen von 2,7280 Kelvin. Solche Fluktuationen, deren genaue Messung auch wegen Stör-Einflüssen aus unserer Galaxis extrem schwierig ist, zeugen davon, dass Energie und Materie im Feuerball des frühen Universums nicht völlig gleichmäßig verteilt waren, sondern geringfügige Inhomogenitäten aufwiesen.

Diese Inhomogenitäten sind von großem kosmologischen Interesse, weil sie gewissermaßen die Keime der heutigen Galaxien und Galaxienhaufen bilden; nur sie können die Entstehung der großräumigen Strukturen im Universum überhaupt erklären. Nach den gängigen Vorstellungen unterliegt die Materie in den etwas dichteren Bereichen einer etwas stärkeren Gravitationsanziehung und expandiert deshalb nicht ganz so schnell. Dies verstärkt die Fluktuationen, gemessen am Hintergrund. Schließlich werden sie zu Materiekonzentrationen, die unter der eigenen Schwerkraft zu Sternsystemen kollabieren können.

Wann und wie das passiert, sollte sich am Spektrum der Fluktuationen erkennen lassen: insbesondere an ihrer Stärke (der Amplitude) und daran, wie ausgeprägt sie in verschiedenen räumlichen Größenordnungen sind. Der Cobe-Satellit hatte allerdings nur eine Winkelauflösung von etwa 7 Grad – das ist 14-mal mehr als die Größe des Mondes und damit zu grob für eine genauere Analyse der Fluktuationen, die erst bei Winkeln unter 2 Grad die gesuchten anfänglichen Dichteschwankungen im Kosmos widerspiegeln.

Doch nun konnten Wissenschaftler in zwei voneinander unabhängigen Ballonexperimenten – Boomerang (Ballon Observations of Millimetric Extragalactic Radiation and Geomagnetics) und Maxima (Millimeter Anisotropy eXperiment IMaging Array) – das Fluktuationsspektrum überraschend genau messen. Die europäisch-amerikanische Boomerang-Gruppe ließ ein Mikrowellen-Teleskop für die relativ lange Zeitspanne von 259 Stunden von einer Station in der Antarktis bis in 38 Kilometer Höhe aufsteigen (wegen der störenden irdischen Mikrowellenstrahlen ist eine Messung am Erdboden nicht möglich). Der Ballon umrundete mit dem Luftstrom im antarktischen Zirkumpolarwirbel einmal den Südpol und kehrte quasi als Bumerang zum Ausgangspunkt zurück. Auf diese Weise konnte das Team einen quadratischen Ausschnitt der Himmelskugel mit elf Grad Seitenlänge untersuchen, der etwa drei Prozent des gesamten Firmaments entspricht. Die maximale Winkelauflösung betrug 0,3 Grad.

Beim Maxima-Experiment, an dem sich 13 Institute aus fünf Ländern unter Führung der Universität von Kalifornien in Berkeley beteiligten, sammelte ein Ballon über Texas zweimal für je eine Nacht Daten. Die erfasste Himmelsregion war zwar nur ein Zehntel so groß wie bei Boomerang (entsprechend dem 22fachen der Fläche des Mondes), dafür erreichte die Auflösung aber zehn Bogenminuten (1/6 Grad).

Obwohl die Experimente technisch höchst anspruchsvoll waren und völlig unabhängig voneinander ausgewertet wurden, stimmen die Ergebnisse ausgesprochen gut überein. Das wird besonders deutlich, wenn man die Temperaturschwankungen der Hintergrundstrahlung nach Winkelgraden aufträgt (Bild auf der nächsten Seite). In beiden Fällen ergibt sich ein deutliches Maximum bei etwa 0,9 Grad – in einem Bereich also, der Cobe unzugänglich war und der bei früheren Ballonexperimenten noch nicht mit hinreichender Empfindlichkeit untersucht werden konnte.

Das Spektrum spiegelt gewissermaßen ein Summen im frühen Universum wieder: Die Gravitationskraft komprimiert das ursprüngliche Plasma, bis der Lichtdruck der Photonen die Bewegung umkehrt. Es kommt so zu Dichteschwingungen ähnlich denjenigen der Luft im Telefonhörer: akustischen Oszillationen. Da durch Kompression die Temperatur steigt und durch Expansion sinkt, entspricht dies den "heißen" und "kalten" Flecken im Mikrowellenhintergrund. Die Lage des Maximums – gleichsam die Tonhöhe – hängt wesentlich von der Massendichte des Universums ab.

Hinweise auf ein flaches Universum


Der gemessene Wert von 0,9 Grad stimmt sehr gut mit den Voraussagen für ein flaches Universum überein. In ihm entspricht die Summe aus der Massen- und Energiedichte genau dem kritischen Wert, bei dem die Expansion des Alls gerade nicht mehr aufhört. Bei einem höheren Wert hätte der Raum eine konvexe Geometrie und würde irgendwann wieder in sich zusammenstürzen; bei einer niedrigeren Summe aus Masse- und Energiedichte wäre seine Geometrie dagegen konkav wie die eines Sattels, und das All würde sich endlos mit hoher Geschwindigkeit ausdehnen.

Die Gestalt des Spektrums deutet überdies darauf hin, dass die akustischen Oszillationen bereits sehr früh Wellenlängen in kosmischen Dimensionen hatten. Das lässt sich nach heutigem Kenntnisstand nur erklären, wenn das Universum kurz nach dem Urknall eine "Inflationsphase" durchmachte, wie sie Alan Guth und andere Ende der siebziger Jahre schon postulierten (Spektrum der Wissenschaft 7/84, S. 80). Demnach blähte sich das Universum Sekundenbruchteile nach dem Urknall für eine begrenzte Zeit exponentiell auf. Dabei erreichten winzige Quantenfluktuationen rasch kosmische Größenordnungen, während die Materie- und Energiedichte insgesamt jedoch "geglättet" wurde, sodass das Universum im Wesentlichen homogen und isotrop (in allen Richtungen gleichförmig) erscheint.

Das Inflationsmodell sagt neben dem jetzt bestätigten ersten Maximum allerdings zwei weitere schwächere Maxima – Oberschwingungen – bei kleineren Winkeln (kosmischen Distanzen) voraus. Sie sind in den Daten von Boomerang und Maxima aber höchstens zu erahnen. Der Grund für diese Diskrepanz ist unbekannt; zu ihrer Aufklärung bedarf es neuer, noch präziserer Messungen mit höherer Winkelauflösung. Tatsächlich planen die amerikanischen und europäischen Raumfahrtbehörden bereits verbesserte Experimente – die Nasa mit dem Satelliten "Map" (Microwave Anisotropy Probe), dessen Start für Anfang nächsten Jahres vorgesehen ist, und die Esa mit dem Satelliten "Planck" (siehe Spektrum 6/2000 S. 9), der im Jahre 2007 in eine Umlaufbahn gehen soll. Bis zu diesen hochpräzisen Resultaten, die auch Angaben über die Polarisation der Hintergrundstrahlung einschließen, bleibt Raum für theoretische Spekulationen im Rahmen der diversen kosmologischen Modelle.

Auch heute noch sind nämlich keineswegs alle Fragen zum Ursprung und Anwachsen der Fluktuationen geklärt. Nach den Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie verstärken sie sich in einem flachen, materiedominierten Universum linear mit der Expansion; das ist aber viel zu wenig, um die heutigen großräumigen Strukturen zu erklären. Einen möglichen Ausweg bietet die so genannte dunkle Materie, die aus bisher unbekannten Teilchen bestehen könnte. Die derzeit beste Übereinstimmung mit den neuen Daten zeigt ein Modell, demzufolge nur 4 bis 5 Prozent des Universums aus normaler ("baryonischer") Materie bestehen, während die dunkle Materie etwa 30 Prozent ausmacht. Den fehlenden, weitaus größten Teil der kritischen Dichte liefert danach die kosmologische Konstante in Form purer Energie. Von Einstein eingeführt und dann wieder verworfen, war diese Größe lange Zeit für entbehrlich gehalten worden. Doch insbesondere Untersuchungen an Supernova-Explosionen vom Typ Ia, aus denen sich Informationen über kosmische Entfernungen und damit die Expansionsgeschichte des Universums ableiten lassen, hatten vor zwei Jahren bereits die Existenz einer solchen "Anti-Gravitation" nahe gelegt (Spektrum der Wissenschaft 3/99, S. 38).

Man darf gespannt sein, ob dieses Modell den Ergebnissen der geplanten Experimente standhält. Wenn ja, ist als Nächstes die Frage zu klären, woraus denn nun die mysteriöse dunkle Materie besteht, die entscheidend dazu beiträgt, dass das Universum offenbar flach ist. So viel ist klar: Der Kosmologie stehen auf-regende Zeiten bevor.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2000, Seite 13
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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