Mikrosysteme: Boxenstopp im Zwergenland
Der Karlsruher MicroCar ist ein Schlüsselprojekt für die Mikrofabrik von morgen.
Eigentlich sollte man denken, dass die Niederungen des Mikrokosmos längst hinter der Wissenschaft liegen, künden selbst Tageszeitungen doch mittlerweile von ihren Erfolgen in der noch kleineren Nanowelt (Spektrum der Wissenschaft, Spezial 2/2001). Wer in der Lage ist, einzelne Atome zu bewegen, vermag aber nicht unbedingt auch Berge davon zu versetzen, und das noch dazu kostengünstig und in Serie.
Tatsächlich lässt der in den 1990er Jahren angekündigte Vormarsch der Mikrosystemtechnik auf sich warten. Ausnahmen gibt es durchaus, etwa Crash-Sensoren für Automobile oder Druckköpfe von Tintenstrahldruckern. Sie vereinen auf einem Silizium-Chip sowohl eine mechanische Komponente als auch die zu ihrer Steuerung erforderliche Elektronik. Vieles mehr sollte längst auf dem Markt sein, das das Label "Mikromechatronik" verdient, doch leider passen die Welten der Mechanik und der Elektronik nicht immer gut zusammen, zumal nicht jede mechanische Komponente in Silizium herzustellen ist. Wer es – zumindest für ein spezielles Produkt – geschafft hat, beide wirtschaftlich zu vereinen, behält dieses Wissen gern als Betriebsgeheimnis für sich. Das betrifft auch die erforderlichen Fertigungsmethoden und -maschinen. Von der Stange gibt es sie nicht zu kaufen. Unternehmen, die nicht die Mittel haben, eine produktspezifische Fabrikationstechnik aufzubauen, haben das Nachsehen. Ergebnis: Die Nachfrage stagniert, der Markt kann sich nicht entwickeln.
Forscher der Universität Karlsruhe und des Forschungszentrums Karlsruhe suchen nun gemeinsam die Wissenslücken zu schließen. Dazu dient ein praxisnahes Musterprodukt, das möglichst viele Kernthemen der Mikromechatronik berührt: Sensoren und Aktoren, Regelungs- und Leistungselektronik, Informationsübertragung und Energiespeicher. Wie im Großen, so im Kleinen: Das universelle Testbett ist ein Automobil.
Der MicroCar Karlsruhe (MiCK) ist ein originalgetreues und voll funktionsfähiges Fahrzeug im Maßstab 1:87. Ein mikrotechnischer Stellantrieb bewegt darin die Lenkung, ein miniaturisierter Gleichstrommotor treibt über ein Präzisionsgetriebe aus Stahl und Messing die winzigen Kunststoffräder an. Das Herz der Elektronik ist der ferngesteuerte Microcontroller. Er berechnet die Steuersignale für die Leistungselektronik der Antriebe, schaltet gegebenenfalls Bremslichter ein und überprüft die Batteriespannung. Ein Mini-Empfänger leitet die Steuerungssignale der Handfernbedienung an den Controller weiter. Ist das empfangene Signal so gestört, dass die Empfangsdaten nicht mehr rekonstruiert werden können, lässt der Controller den MiCK abbremsen.
Das winzige Auto ist für uns im wahrsten Sinne des Wortes ein Vehikel – ein Mittel zum Zweck. Viel wichtiger ist der Ablauf von der Konstruktion über die Fertigung bis hin zur Montage. Wie lassen sich komplexe Mikro-Bauelemente montieren und passgenau ineinander fügen? Und vor allem: Wie kann man sie präzise in Serie fertigen?
Anfangs versuchten wir wie andere Kollegen weltweit, die so erfolgreichen Verfahren der Mikroelektronik zu übernehmen: Auf einer Siliziumscheibe werden durch Belichtungs- und Ätzschritte die Strukturen hunderter Einzelchips gleichzeitig erzeugt; die Scheibe muss dann nur noch zersägt werden. Dieses Lithografie genannte Verfahren macht Strukturgrößen von wenigen Mikrometern möglich, die Oberflächen sind auf Nanometer genau gearbeitet. Und da viele Chips gleichzeitig entstehen, sind sie entsprechend billig.
Doch leider eignet sich Silizium nicht für alle mechanischen Komponenten. Zudem gelingen mit der schattenwurfartigen Übertragung der Bauteilkonturen von einer Maske auf den Halbleiter nur Strukturen mit einem in der Höhe stets gleich bleibenden Grundriss. Um komplexe dreidimensionale Bauteile zu fertigen, müssten diese sukzessive aus dünnen Einzelschichten aufgebaut werden, deren Kontur sich langsam ändert. Zudem: Die Fertigungsstraßen der Mik-roelektronik rechnen sich erst bei Stückzahlen von einigen Millionen; in der Mikromechatronik dürften dafür schon einige tausend bis zehntausend genügen.
Wir haben uns deshalb auf die althergebrachten Fertigungstechniken des Maschinenbaus wie Kunststoffspritzguss, Fräsen oder Drehen besonnen. Sie erlauben durchaus Strukturgrößen von wenigen hundertstel Millimetern und komplexe dreidimensionale Geometrien, sind dazu noch vergleichsweise kostengünstig und flexibel auf unterschiedliche Geometrien, Werkstoffe und Stückzahlen einzurichten. Freilich lassen sich diese Verfahren nicht einfach durch kleinere Maschinen und Werkzeuge auf die Mik-rowelt übertragen. Dazu ein Beispiel.
Die Felgen des MicroCar bestehen aus Kunststoff, für ihre Fertigung bietet sich der Spritzguss an, bei dem ein Kunststoffgranulat aufgeschmolzen, mit Zusätzen durchmischt und dann in eine Form gespritzt wird. Die Schmelze kühlt rasch und härtet dabei aus, die Form (fachlich "Formwerkzeug") öffnet sich, das fertige Teil wird entnommen. Weil die einzelnen Schritte nacheinander ablaufen, kann schon der nächste Guss vorbereitet werden, während das Produkt noch abkühlt. Dementsprechend erreichen solche Maschinen hohe Taktraten.
Eine Variante davon ist der Pulverspritzguss, bei dem Stahl- oder Keramikpulver mit einem Bindemittel gemischt, gespritzt und anschließend aufgeheizt werden; dabei entweichen flüchtige Anteile des Kunststoffbinders und die Partikel verbacken (Spektrum der Wissenschaft 4/1999, S. 95). So lassen sich Bauteile herstellen, die genauso komplex gestaltet sein können wie Spritzgussteile aus Kunststoff, sie bestehen aber aus hoch belastbarem Metall oder Keramik.
So weit die Theorie. Doch wie stellt man eine Spritzgussform her, die auf Mikrometer genau gearbeitet sein muss? Die obendrein in der Serienfertigung mehrere hundert Bar Druck und Temperaturen von einigen hundert Grad aushält? Stahl bietet sich als Werkstoff an, und das Fräsen als Technik, ihn in die gewünschte Form zu bringen. Dabei wird ein rotierendes Messer am Rohling entlanggeführt, das kaum dicker als ein menschliches Haar ist.
Doch normaler Stahl lässt sich nicht verwenden, denn dessen Gefüge besteht aus Kristallkörnern, die bereits so groß sind wie die gewünschten Bauteilstrukturen. Die Lösung stammt aus der Trickkiste der Metallurgen: Das Fräswerkzeug wird so erwärmt, dass die vorhandenen Körner sich wieder auflösen, und dann so abgekühlt, dass sich viel kleinere mit homogeneren Eigenschaften bilden. Möglich wäre es auch, nicht eine Schmelze, sondern metallische Pulver aus von vornherein sehr feinen Partikeln zu verwenden, die dann beim Erwärmen zusammenbacken.
Werden die Abmessungen von Bauteilen und Werkzeugen kleiner, gilt dies natürlich auch für die erlaubten Toleranzen. So darf ein Lenkgetriebe bei mak-roskopischen Automobilen ein paar zehntel Millimeter Spiel haben, beim MiCK nur einige Mikrometer. Bei der herkömmlichen Fräsmaschine gibt es zwar durchaus Messsysteme, die auf weniger als einen Mikrometer genau arbeiten, dennoch ermitteln sie die Position des Fräsers relativ zum Werkstück nur auf einige hundertstel Millimeter präzise – es gibt einfach zu viele, nicht vermeidbare Fehlerquellen. So wächst ein Stahlständer von einem Meter Höhe bei einem Grad Temperaturerhöhung – und das ist im Betrieb nicht selten – um elf Mikrometer. Er kippt demzufolge etwas aus der Senkrechten und verlagert dabei das Fräswerkzeug. Hochgenaue Messsysteme sind in den Achsen integriert, stellen also nur die Längenänderung, nicht aber die Verkippung fest und können den Fehler nicht korrigieren lassen.
Konventionell begegnet man diesem Problem heutzutage durch Kühlsysteme, spezielle Werkstoffe oder Fehlerkompensationssoftware. Unser Projekt nutzt hier eine gemeinsame Entwicklung des Instituts für Werkzeugmaschinen und Betriebstechnik der Universität Karlsruhe und der Firma Carl Zeiss. Angelehnt an die Satellitennavigation mittels GPS (Global Positioning System), bestimmt ein lokales Positionierungssystem (LPS) die relative Position vom Werkzeug zum Werkstück. Es basiert auf der Laserinterferometrie und misst auf zehn Mikrometer genau, arbeitet also direkt und berührungslos.
Die so hergestellten mechanischen Teile erweckten mit Hilfe einer von Hand aufgebauten Elektronik Ende letzten Jahres den ersten voll funktionsfähigen Prototypen zum Leben. Allein bei diesem manuellen Aufbau traten die erhofften Schwierigkeiten einer guten Ehe zwischen Elektronik und Mechanik nur zu deutlich zu Tage. Für eine einfache flache Platine, wie sie etwa in Computern oder der Unterhaltungselektronik üblich wäre, sind die mechanischen Komponenten viel zu verwinkelt. Die Elektronik musste deshalb Bauteil für Bauteil in den Lücken verstaut werden, die die Mechanik übrig ließ, verbunden durch einzelne feine Drähte. Für diejenigen Mitglieder unseres Teams, die sich mit Aufbautechnik und Montage beschäftigen, beginnt damit das Projekt erst jetzt so richtig. Denn die automatisierte Serienproduktion soll Ende 2002 anlaufen. Dann wird der Karlsruher MicroCar zwar auch ein nettes Spielzeug sein, vor allem aber ein einmaliges Vehikel auf dem Weg zur Mikrofabrik.
Navigation in der Mikrowelt
Das lokale Positionssystem (LPS) ermittelt ebenso wie die vom GPS her bekannte Satellitennavigation den Abstand zwischen Sender und Empfänger aus der Laufzeit eines Signals, das zwischen beiden hin- und herläuft (Spektrum der Wissenschaft 1/1996, S. 102). Hier ist das Signal ein scharfer, infraroter Laserpuls. Ein wichtiges Merkmal ist seine so genannte Kohärenzlänge von etwa 0,1 Millimetern: Überlagert man zwei solche Pulse, darf ihr Lichtweg sich um maximal diesen Betrag unterscheiden, um Interferenz zu ermöglichen. Andernfalls gibt es im Zusammenkommen von beispielsweise Wellentälern und -bergen zu wenig Regelmäßigkeit und es bildet sich kein festes Muster aus Verstärkung und Löschung aus.
Ein Strahlteiler spaltet das Licht in eine Mess- und eine Referenzwelle auf. Erstere gelangt über eine optische Faser zu einer Sendereinheit und wird über eine spezielle Optik in alle Richtungen ausgestrahlt. Sie wird von Reflektoren zurückgeworfen und schließlich von dem Referenzstrahl überlagert. Der legt im Gerät gleichfalls eine Strecke zurück, deren Länge sich über einen speziellen Spiegel verstellen lässt. Findet ein Fotodetektor kein Interferenzsignal, müssen sich die optischen Wege beider Strahlen um mehr als die Kohärenzlänge unterscheiden. Der Referenzspiegel wird dann so lange automatisch verstellt, bis die Wege innerhalb der Toleranz übereinstimmen.
Bei drei gemessenen Abständen und bekannten Koordinaten der Reflektoren ergibt sich – wie beim GPS – die Position der Sendereinheit im Raum. Die Reflektoren entsprechen dabei den Satelliten; jeder Abstand definiert eine Kugel im Raum, auf der die fragliche Koordinate liegen muss. Alle drei Kugeln schneiden sich in zwei Punkten, von denen einer ausgeschlossen werden kann, da er unter dem Tischniveau liegen würde.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2001, Seite 78
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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