Bumerangflüge
Mit den bescheidensten Mitteln kann man einen Rotationsflugkörper herstellen, der nach einer eleganten Schleife wieder in den Händen des Werfers landet.
War einmal ein Bumerang;
war ein weniges zu lang.
Bumerang flog ein Stück,
aber kam nicht mehr zurück.
Publikum – noch stundenlang –
wartete auf Bumerang.
Joachim Ringelnatz
Traditionelle Bumerangs sind Flughölzer mit zwei Tragflächen, die einen mehr oder weniger stumpfen Winkel einschließen. Sie sind den weißen Besiedlern Australiens vor etwa vierhundert Jahren von der Urbevölkerung (den Aborigines) als technische Errungenschaft einer steinzeitlichen Gesellschaft überliefert worden. Die meisten sind schwere Jagdbumerangs ("Kylies"); sie lassen sich mit aller Übung nicht so werfen, dass sie zum Startplatz zurückkommen. Dafür fliegen sie mehr als 100 Meter weit, falls sie nicht unterwegs ein Tier erlegen oder an einem anderen Hindernis stranden.
Sport- und Spielbumerangs haben etwas stärker abgewinkelte Tragflächen. Je nach Flächengewicht (das ist die Masse pro Flügelfläche) und aerodynamischer Qualität ihrer Tragflächen kehren sie in Rundflügen von etwa 10 bis 40 Metern Weite zuverlässig zum Werfer zurück, wenn sie nur mit etwas Geschick geworfen werden. Es gibt sie in unterschiedlichster Form und Größe.
Ein zweiflügeliger Bumerang ist zwar leicht aus einem Stück Holz zu schnitzen, aber seine Bewegung ist im Wortsinn verwickelt: Da sein Schwerpunkt in der Regel außerhalb des Holzes in der Kehle des Winkels liegt, umkreist er beim rotierenden Flug den Bumerang, und umgekehrt. Schwerpunktsbewegung und Rotation überlagern sich derart, dass die einzelnen Punkte des Holzes zykloidenartige wellen- oder schleifenförmige Kurven beschreiben. Felix Hess, der 1968 einen Aufsatz im "Scientific American" und 1975 eine eindrucksvolle Dissertation über Bumerangs schrieb, machte die Flugbahnen vor dem Nachthimmel durch die Lichtspur einer kleinen batteriegespeisten Lampe sichtbar, die er in der Nähe einer Flügelspitze eingebaut hatte.
Der Einfachheit zuliebe ziehen wir es vor, ruhiger fliegende symmetrische Kreuz-Bumerangs mit dem Schwerpunkt im Zentrum zu studieren. Bei Aborigines findet man sie selten, was einleuchtet, da sie mit steinzeitlicher Technik schwer herzustellen sind. Im Science Museum von St. Paul (Minnesota) konnte ich Kreuzbumerangs aus Nordost-Australien bewundern, deren gekreuzte Flügel kunstvoll mit Lederschnüren zusammengeflochten waren.
Büro-Bumerangs: Zum Spielen und als Anschauungsobjekt stelle ich Ihnen einen kleinen Bumerang vor, der an Einfachheit nicht zu übertreffen ist, sicher zurückkehrt und für einen vollen Rundflug nicht mehr benötigt als einen Büroraum. Michael Siems, ein Deutscher Bumerangmeister, hat mir gezeigt, wie man ihn mit wenigen Handgriffen aus einem Paar Kartonstreifen herstellen kann. Bürokraten alter Schule führen so die Streifen, die beim Zurechtschneiden der Trennblätter für Aktenordner abfallen, einer nützlichen Verwendung zu. Nehmen Sie zwei Streifen Karton mit der Stärke 300 Gramm pro Quadratmeter, etwa von der Größe 21 cm ¥ 2 cm. Verbinden Sie sie mit einem Haushalts-Gummiring (Durchmesser 1,5 cm) zu einem symmetrischen Kreuz. Da sich der Gummi nicht beliebig weit dehnen lässt, spannt man die Mitte des einen mit dem Ende des anderen Streifens zusammen und schiebt den zweiten Streifen erst dann in die Mitte durch. Eine sorgfältig gesetzte Heftklammer kann den Gummiring ersetzen. Damit der Bumerang später weiß, welche Kurve er fliegen soll, biegt man seine vier Flügel vor dem Abwurf leicht (kaum sichtbar) in die gewünschte Richtung.
Zum Start hält ein Rechtshänder das Flügelkreuz mit der rechten Hand vertikal oder ganz leicht nach rechts geneigt, die "hohle" Seite nach links, und wirft den Bumerang nach vorne ab – oder leicht aufwärts. (Linkshänder müssen hier und im Folgenden rechts und links vertauschen.) Indem man die Bewegung der Hand kurz vor dem Loslassen abstoppt, erteilt man dem Bumerang viel Drehimpuls bei vergleichsweise wenig Vorwärtsimpuls. Schwere Bumerangs brauchen eine geringe Rechtsneigung, um von Anfang an von den Auftriebskräften ausreichend gehoben zu werden; für die leichten Karton-Vierflügler ist sie entbehrlich.
Felix Hess hat in seiner Dissertation treffend beschrieben, was dann geschieht: "Zuerst scheint der Bumerang geradewegs wegzufliegen, aber bald wendet er sich nach links und auch aufwärts und kehrt in weitem Bogen zum Werfer zurück. Irgendwo nahe beim Werfer kommt er zur Ruhe oder beschreibt noch eine zweite, kleinere Schleife, bevor er zu Boden sinkt. Stets legt sich die Flügelebene allmählich flach und liegt am Ende des Fluges fast horizontal." Die Flugbahn ist so gut reproduzierbar, dass zwei oder drei gleiche Bumerangs, die man aufeinander legt und gemeinsam startet, mit ihren fast identischen Abflugdaten die Runde fliegen wie eine Staffel Mini-Hubschrauber.
Rückkehr–Bumerangs: Eine physikalische Theorie des Bumerangfluges muss wenigstens drei Fragen beantworten: (1) Warum kommt der Bumerang zurück, und wie groß ist der Durchmesser seiner Rückkehrbahn? (2) Welcher Mechanismus bremst seinen Flug und bringt ihn sogar zur Ruhe? (3) Warum legt er sich stets flach?
(1) Ein Bumerang ist sowohl ein Segelflieger als auch ein Kreisel. Seine Arme sind Flügel, die bei der Vorwärtsbewegung und der Drehung durch die Luft eine Kraft erfahren. Deren Komponente senkrecht zum Fahrtwind heißt "Auftrieb", auch wenn sie in unserem Falle nicht nach oben gerichtet ist. Einen rechtshändig geworfenen Bumerang drängt der Auftrieb in die Linkskurve. Zugleich wirkt ein Drehmoment, das den Bumerang um die Achse seiner Flugrichtung kippen möchte; denn der vorauseilende Flügel erfährt einen stärkeren Fahrtwind und dementsprechend stärkeren Auftrieb als der rückläufige.
Diesem Drehmoment weicht er als Kreisel durch Drehung ("Präzession") seiner Flügelebene aus. Im Zusammenspiel von Bahnbewegung und Kreiselpräzession kehren Bumerangs zurück. Die Erfahrung lehrt, dass die Weite des Fluges kaum oder gar nicht von der Abwurfgeschwindigkeit abhängt, wohl aber die Geschwindigkeit des Fluges und die Winkelgeschwindigkeit, mit der sich der Bumerang im Flug dreht.
(2) Segelflugzeuge und Papierflieger leisten ebenfalls Arbeit gegen den Luftwiderstand. Sie können aber im Gleitflug die potenzielle Energie der Schwerkraft in Bewegungsenergie umsetzen und daher so lange abwärts segeln, bis der Flug an einem Hindernis oder am Boden endet. Bumerangs verlieren dagegen einen Teil ihrer Bewegungsenergie unwiederbringlich durch Arbeit gegen den Luftwiderstand. Ihre Flüge enden daher nach begrenzter Dauer.
(3) Auf die Frage nach dem Grund des Flachlegens hat Hess trotz ernsthafter Bemühung keine schlüssige Antwort gefunden. Alle Bumerang-Amateure und die großen Bumerangmeister, die ihre Bumerangs bei der Rückkehr in horizontaler Lage, fast auf der Stelle drehend, zwischen den bloßen Händen auffangen, sind sich aber darin einig, dass die Flügelebene eines gut geworfenen Bumerangs sich stets auf die Horizontalebene einpendelt. Also muss die Schwerkraft die Ursache des Flachlegens sein. Anstatt in den Sinkflug überzugehen, legt sich der Bumerang flach und vergrößert damit den aufwärts gerichteten Anteil des Auftriebs seiner Flügel.
Kein Bumerang im "Spacelab": Leider können wir die Schwerkraft auf der Erde nicht vorübergehend abschalten (oder zu unserem Glück? Beim schwerelosen Springen im Freien könnten wir leicht auf Nimmerwiedersehen im Weltraum verschwinden!). Aber wo die Schwerkraft unwirksam ist – in einem Raumschiff auf ballistischer Bahn – sollten sich Bumerangs nicht flachlegen. Beim Programm "Toys in Space" während des Discovery-Flugs 1984 hätten es die Astronauten im Orbit prüfen können. Sie führten in der Raumkapsel der staunenden Weltöffentlichkeit vor den Fernsehern zahlreiche physikalische Effektspielzeuge vor, darunter auch ein Papierflugzeug, das nicht recht wusste, was es im Weltraum sollte. Ein Büro-Bumerang, dessen Bahnkreis bequem in ihrem Raumschiff Platz gefunden hätte – das hätte der Hit werden können!
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2001, Seite 96
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