August 2001: Das Geheimnis der Mumien
Zu Beginn der Neuzeit war in Europa ein besonders abstruser Kannibalismus populär. Ausgerechnet Paracelsus (1493–1541), ein Wegbereiter der modernen Medizin, hatte dazu angestiftet: Als Arznei gegen allerlei Gebresten wie Epilepsie, Herzattacken, Übelkeit, Vergiftungen, Paralyse, Tuberkulose oder Blutergüsse empfahlen er und dann auch andere Doktoren staubfein zermahlene altägyptische Mumien.
Prominentester Gegner der makabren Praxis wurde der französische Hofchirurg Ambroise Paré (1510–1590) – allerdings nicht aus ethischen Gründen, sondern der Nebenwirkungen wegen. Sie verursache, schrieb er, »Herz- und Magenschmerzen, Erbrechen sowie Gestank aus dem Munde«. Trotzdem war die Nachfrage so rege, dass geschäftstüchtige Gauner sogar frische Leichen raubten, trockneten und pulverisierten. In der deutschen Apothekersprache blieb der Begriff Mumie bis ins 19. Jahrhundert gebräuchlich, wenngleich damit meist nur mehr eine Art Erdpech oder eine harzige Masse bezeichnet wurde, die angeblich aus Mumien geflossen war, nachdem man sie der Sonne ausgesetzt hatte.
Schmählicher konnte die Würde von Toten schwerlich verletzt werden. Denn nach den Jenseitsvorstellungen im Ägypten des Altertums war die spirituelle Existenz von Gestorbenen unbedingt auf ihren Körper angewiesen: Eine Seele – der Ka – verharrte nach dem Hinscheiden in dem Leichnam, während eine dynamische zweite – der als Vogel dargestellte Ba – die lebenden Angehörigen zu besuchen vermochte und die Sonne auf der nächtlichen Reise durch die Unterwelt begleitete; danach aber musste sie ihren Leib wieder auffinden und erkennen können.
Deshalb hatten Priester schon früh im Alten Reich (2660–2160 vor Christus), als Cheops, Chephren und Mykerinos sich die Pyramiden von Giseh als Ruhestätten für die Ewigkeit errichten ließen, raffinierte Konservierungstechniken entwickelt. Wie in keiner anderen frühen Hochkultur zielte in Ägypten das Bestattungsritual darauf ab, die Verwesung zu verhindern – zunächst wohl nur bei den als gottgleich angesehenen Pharaonen und ihren Familienmitgliedern sowie bei den höchsten Beamten, deren Sippen sich den Aufwand leisten konnten, dann aber auch bei den gemeinen Sterblichen: Es entwickelte sich ein florierendes Gewerbe, das in speziellen Werkstätten – genannt »Pernefer«, Haus der Mumifizierung, oder »Wabet«, Haus der Reinigung – ausgeübt wurde.
Eine rätselhafte Kunst
Der griechische Geschichtsschreiber Herodot (um 490 bis um 425 vor Christus) hat das Land am Nil bis zum ersten Katarakt (beim heutigen Assuan) bereist und, vielleicht aus eigener Anschauung, die damals angewandten Methoden zur Mumifizierung geschildert. Seine Beschreibung kann als zuverlässig gelten, weil sie mit der des gleichfalls griechischen Historikers Diodorus Siculus weitgehend übereinstimmt, der in den Jahren 60 bis 57 vor Christus Ägypten durchstreifte, kurz bevor es römische Provinz wurde.
Allerdings sind diese antiken Dokumente zu knapp gehalten, als dass sie das heutige wissenschaftliche Interesse befriedigen könnten. Wie gingen die Priester bei der Balsamierung im Einzelnen vor? Mit welchen Substanzen erreichten sie, dass sich die Mumien über Jahrtausende erhielten? Wie schafften sie es, oft ein lebensnahes Aussehen zu bewahren?
Weil die künstliche Mumifizierung im Laufe der Zeit offenbar teils verfeinert, teils vereinfacht wurde, ist es nicht leicht, sie zu rekonstruieren. Autopsien von ägyptischen Mumien, die gelegentlich im 19. Jahrhundert vorgenommen wurden, zielten vor allem auf medizinische Befunde. Späteren umfassenderen Forschungen stand der wachsende Respekt vor diesen Artefakten entgegen. So durften der französische Ägyptologe Gaston Maspero 1889 und der englische Anatom Graftin Elliot Smith 1912 die mittlerweile im Kairoer Ägyptischen Museum angelegte große Mumiensammlung zwar oberflächlich studieren, aber nicht die manche Leiber noch ganz umhüllende Bandagierung lösen und keinerlei Probenmaterial entnehmen.
Erst von 1966 an gab es im Wortsinne erhellende Aufschlüsse über diese Kollektion: Experten aus den USA und Kanada war es gestattet worden, zusammen mit Kollegen von der Universität Alexandria und der Ägyptischen Antikenverwaltung Röntgenaufnahmen zunächst der Schädel und nach den guten Ergebnissen auch der ganzen Körper anzufertigen. Unter anderem erwies sich dabei, dass in einem Bindenbündel aus dem Sarkophag der hochrangigen Priesterin Makare nicht eine im Kindesalter gestorbene Prinzessin steckte, wie Archäologen vermutet hatten, sondern ein mumifizierter Pavian, Inkarnation des Götterboten Thot.
Inzwischen sind die analytischen Verfahren so subtil, dass wir jetzt durch die systematische Untersuchung einer großen Zahl von Mumien aus verschiedenen Epochen einige der offenen Fragen zu klären vermochten. Insbesondere standen uns dafür 341 vollständig oder teilweise erhaltene Mumien aus der Nekropole im Tal der Königinnen zur Verfügung. In dieser ausgedehnten Begräbnisstätte westlich des Nils gegenüber der zeitweiligen Reichshauptstadt Theben, beim heutigen Luxor, waren Königinnen und Prinzen der 19. und 20. Dynastie, später auch andere Personen beigesetzt worden. Bislang sind dort die Überreste von 1100 Menschen entdeckt worden; die Ausgrabungen leitete Christian Leblanc, ein Mitglied der französischen Archäologengruppe in West-Theben.
Untersuchen konnten wir vier fragmentarische Mumien von Mitgliedern des Königshauses aus dem Neuen Reich (1552–1070 vor Christus), 30 Mumien von Tempelbediensteten und Angehörigen des Hofstaats wie Priestern, Gärtnern, Parfümeuren und Sängerinnen aus der Dritten Zwischenzeit und aus der Spätzeit (1070 – 332 vor Christus) sowie 307 Mumien aus der römischen Zeit (30 vor bis 395 nach Christus), als in der Gegend mehrere Dörfer öffentliche Friedhöfe anlegten. Für chemische Analysen haben wir überdies Proben von Mumien aus Museumssammlungen entnommen.
Betrachten wir nun die einzelnen Schritte der Mumifizierung in der Reihenfolge, wie Herodot sie aufgeführt hat. Demnach begann die Prozedur mit der Entfernung des Gehirns. Sie wurde allerdings nicht immer ausgeführt, da der Kopf ohne diesen Eingriff ebenso gut erhalten blieb. Soweit sich das Nervengewebe bald nach dem Tode zersetzte, sickerte die Flüssigkeit offenbar durch das Hinterhauptsloch aus; jedenfalls haben wir auch in den meisten Schädeln ohne künstliche Öffnung nichts mehr davon gefunden. Nur in einigen wenigen Fällen war das Gehirn eingetrocknet und bildete eine verschrumpelte Masse in der hinteren Schädelgrube. Wahrscheinlich entwickelte sich die Hirnextraktion jedoch allmählich zum Ritual, denn sie wurde immer öfter vorgenommen: Ihre Häufigkeit stieg von 7 Prozent der Mumien im Mittleren Reich auf 40 Prozent im Neuen Reich und schließlich 70 Prozent in der römischen Zeit.
Die Extraktion des Gehirns
Die an den Schädelknochen festgestellten Zerstörungen lassen erkennen, wie die Balsamierer vorgingen: Im Allgemeinen führten sie ein Messer oder eine scharfe Sonde in ein Nasenloch ein, erweiterten es durch Schaben und Drehen des Instruments und durchbohrten schließlich das Siebbein zwischen dem Dach der Nasenhöhle und den Augenhöhlen. Die so geschaffene Öffnung war allerdings zu klein, um das gesamte Gehirn mit einem Haken zerteilen und stückweise herausziehen zu können. Wie schon Herodot angab, wurden die Reste mit einer womöglich Gewebe lösenden Infusion herausgespült. In Ausnahmefällen verschafften sich Balsamierer auch einen Zugang durch die linke Augenhöhle oder das Hinterhauptsloch.
Etliche Schädel enthalten eine dicke Schicht verfestigter Balsamierungsmasse, die sich bis in Hals und Brustkorb ausdehnt. Früher meinte man, dass sie Kopf und Körper dauerhafter verbinden sollte. Aber nach unseren Befunden dürfte das kaum je der Fall gewesen sein: Bei 289 Schädeln in so gutem Zustand, dass sie eine Auswertung erlaubten, fand sich lediglich in 13 eine solche Masse; und nur zwei wiesen Spuren davon um das ins Siebbein gebohrte Loch auf, was darauf hinweisen könnte, dass man die Substanz absichtlich – etwa mit einem Trichter – in den Schädel eingefüllt hatte. Bei den elf übrigen war offenbar Balsamierungsflüssigkeit aus dem Brustkorb, in den sie nach dem Entfernen der inneren Organe gegossen wurde, über Rückenmarkskanal und Hinterhauptsloch in den Schädel eingedrungen; denn die Schicht in der hinteren Schädelgrube bildete mit der im rückwärtigen Brustraum eine ebene Fläche, musste sich also abgesetzt und verfestigt haben, als der Körper ausgestreckt auf dem Rücken lag. Bei zweien dieser elf Schädel war zudem das Siebbein intakt, sodass nichts durch die Nase in die Hirnkapsel eingeflößt werden konnte. Für einen zufälligen Effekt spricht ferner, dass bei anderen Mumien das Balsamierungspräparat aus der Brusthöhle bis in das Unterhautgewebe des Nackens gesickert war.
Auch die strahlenundurchlässigen Fremdstoffe in der hinteren Schädelgrube, die mitunter auf Röntgenaufnahmen zu erkennen sind, wurden oft als zusätzliche Befestigung von Kopf und Rumpf interpretiert. Nach unseren Untersuchungen dürfte es sich dabei aber gleichfalls entweder um erstarrte Balsamierungssubstanzen handeln, die aus dem Brustraum eingedrungen waren, oder um vertrocknetes Hirngewebe.
Das Ausräumen von Bauch- und Brusthöhle
Der zweite Schritt der Mumifizierung bestand darin, Bauch- und Brusthöhle zu leeren. Von den 341 Mumien, die uns zur Verfügung standen, konnten wir 224 daraufhin untersuchen. In mehr als drei Vierteln der Fälle waren die inneren Organe entnommen worden.
Der dafür erforderliche Schnitt war jeweils auf der linken Körperseite angebracht, und zwar so, dass er nur sichtbar wurde, wenn man den linken Arm des Leichnams anhob: entweder schräg in der linken Darmbeingrube, senkrecht oberhalb dieser Stelle oder noch etwas höher. In den ersten beiden Fällen musste der Balsamierer die Bauchdecke mit einem Spreizinstrument anheben, um mit einer Hand auch das Zwerchfell durchtrennen und in den Brustraum gelangen zu können. Bei einem Schnitt bis in Höhe des Nabels dürfte der Eingriff einfacher gewesen sein; lag die Leiche auf einem hohen Tisch, konnte der Operateur nach dem Ausräumen des Gedärms leichter an Magen und Leber sowie weiter an die Lungen herankommen. Die Schnittführung hing offenbar nur von der Höhe des Präparationstisches und den Gewohnheiten des Balsamierers ab, da sich die drei unterschiedlich lokalisierten Öffnungen bei Mumien aus jeder Epoche finden.
Herodot berichtete, dass je nach dem vereinbarten Preis drei mehr oder minder sorgfältige Verfahren angewandt wurden: die radikale operative Entfernung aller inneren Organe, die rektale Infusion einer zumindest den Verdauungstrakt zersetzenden Flüssigkeit, wozu wohl eine Art Klistierspritze diente, und die Behandlung der im Leib belassenen Eingeweide mit einem anscheinend konservierenden Öl. Unsere Befunde bestätigen diese Unterscheidung weitgehend. Bei rund achtzig Prozent der untersuchten Mumien waren die Organe des Bauch- und Brustraumes entnommen worden, wenn auch in einigen Fällen nur zum Teil. Noch im Neuen Reich hatten die Balsamierer allerdings das Herz an seinem Platz gelassen, denn die Ägypter betrachteten es – und nicht das Gehirn – als Sitz des Geistes und der Emotionen, an dem zugleich alle guten und bösen Taten während des Lebens für das göttliche Totengericht registriert wurden; erst in der Spätzeit und während der römischen Herrschaft entfernte man häufig auch dieses Organ.
Die Eingeweide wurden gewaschen und entwässert, dann mit wohlriechenden und harzigen Substanzen behandelt und schließlich separat eingewickelt. Zur Beisetzung mit der Mumie legte man sie in vier Krüge. Diese Kanopen waren im Neuen Reich jeweils einer Gottheit, den Söhnen des Horus, zugeordnet; entsprechend wurden die Deckel gekennzeichnet: Der menschenköpfige Amset schützte Magen und Gedärm, der schakalköpfige Duatmutef die Lunge und – falls es entnommen war – das Herz, der falkenköpfige Kebehsenuf Leber und Galle und der affenköpfige Hapi die übrigen kleineren Organe. In der 21. Dynastie, also zu Beginn der Dritten Zwischenzeit, wurden die Organpakete nicht mehr separat in Kanopen beigesetzt, sondern wieder in den Körper getan, jedes zusammen mit einer Wachsfigur des zuständigen Horus-Sohns; noch später, von der 26. Dynastie an, legte man sie einfach der Mumie zwischen die Beine.
Die Körperhöhlen des präparierten Leichnams füllten die Balsamierer sodann mit Säckchen, die ein Mineraliengemisch enthielten. Zwar wurden diese Säckchen normalerweise vor der nächsten Prozedur wieder entfernt; aber es fanden sich noch einige an schwer zugänglichen Stellen einer Mumie der Spätzeit und zweier der römischen Periode, die wahrscheinlich vergessen worden waren. So konnten wir den Inhalt analysieren. Er bestand zu über dreißig Prozent aus Sand; die wirksamen Substanzen waren Calciumsulfat in Form von Alabaster, der durchscheinenden Gipsart, sowie natürliches Natron, ein Gemenge von Natriumchlorid (Kochsalz), Natriumcarbonat (Soda), Natriumhydrogencarbonat – das eigentliche Natron – und Natriumsulfat (Glaubersalz).
Die Zusammensetzung des zur Mumifizierung verwendeten Natrons war je nach Herkunft verschieden; aber es entwässerte auf jeden Fall den Leichnam gründlich – mitunter dermaßen, dass empfindliche Gewebe versprödeten und zerfielen. Dazu trug bei, dass sich aus dem Körperfett mit der Natron- und der Sodalauge Seife bildete, die dann ausgespült wurde.
Wenn die Balsamierer die inneren Organe nicht entnommen hatten, sorgten sie dafür, dass die sich durch Zersetzung bildende Flüssigkeit aussickerte, indem sie eine mehrere Kilogramm schwere Masse aus Harzen, Teeren und Wachs auf den Unterbauch legten. Wir haben ein solches Präparat direkt auf der Haut unter den Leichentüchern entdeckt. Allerdings fanden wir bei den von uns untersuchten Mumien keine Anzeichen der von Herodot erwähnten Methode, die Bauchorgane mit ätzenden Substanzen aufzulösen.
Die Dauer der Mumifizierung
Über die Frist, die ein Leichnam den entwässernden Salzen und weiteren Substanzen ausgesetzt war, enthalten die antiken Texte widersprüchliche Angaben. Herodot zufolge bedeckten die Balsamierer ihn »siebzig Tage lang mit Natron«; diese Zeitspanne hätte nicht überschritten werden dürfen. Diodorus schrieb: »Schließlich behandeln sie den ganzen Körper, nachdem sie ihn gewaschen haben, zunächst sorgfältig mit Zedernöl und anderen Dingen mehr als dreißig Tage und dann mit Myrrhe und Zimt und Gewürzen.« In der Bibel wiederum (1. Mose 50, Verse 2 und 3) heißt es: »Und Joseph befahl seinen Knechten, den Ärzten, dass sie seinen Vater salbten. Und die Ärzte salbten Israel« (also Jakob), »bis dass vierzig Tage um waren; denn so lange währen die Salbetage. Und die Ägypter beweinten ihn siebzig Tage.«
Bei unseren Untersuchungen an den Mumien stützten wir uns auf Erkenntnisse aus der Gerichtsmedizin. Demnach werden Leichen von verschiedenen Insekten in acht aufeinander folgenden Phasen befallen. Tatsächlich entdeckten wir Relikte von zwei Arten, die in Balsamierungsharzen klebten: Puppenhäute, aus denen Zweiflügler der Gattung Calliphora (Blaue Schmeißfliege) geschlüpft waren, und kleine Speckkäfer der Gattung Dermestes, deren Larven vor allem organische fetthaltige Stoffe fressen.
Die Schmeißfliegen sind typische Insekten der ersten Phase. Sie kommen innerhalb von 24 Stunden nach dem Tode zu der Leiche. Aufschlussreich ist der Befund, dass alle gefundenen Puppenhüllen leer waren: Die Zweiflügler hatten demnach genügend Zeit für die komplette Entwicklung vom abgelegten Ei über die Larve und das Puppenstadium bis zum ausgewachsenen Tier der Folgegeneration – im Schnitt sind das vierzig Tage.
Spuren von Insekten der zweiten Phase, die erst durch Verwesung der inneren Organe angelockt werden, fehlten bei den von uns untersuchten Mumien, da die Eingeweide bald nach dem Tode entfernt wurden oder schon entwässert waren. Dafür fanden wir aasfressende Speckkäfer der Art Dermestes frischi, Vertreter der dritten Phase, die von der Haut und den eintrocknenden Muskeln der Toten angezogen wurden. Wenn sie erschienen, wusste der Balsamierer, dass er zur nächsten Stufe der Mumifizierung übergehen musste: Er entfernte das Natron, wusch den Leichnam, wodurch er auch die meisten Insekten beseitigte, und ging zur eigentlichen Balsamierung über.
Unseren Befunden zufolge blieb also der Körper während der gesamten Metamorphose von Blauen Schmeißfliegen unter Einwirkung des Natrons, das heißt im Durchschnitt vierzig Tage lang. Das Vorhandensein der Speckkäfer weist dagegen nur darauf hin, dass der Leichnam vor der obligaten Waschung ausgetrocknet war, aber nicht, wie lange es dauerte, diesen Zustand herbeizuführen. Die von Herodot erwähnten siebzig Tage wurden wahrscheinlich für alle Arbeitsgänge bis zur Bestattung benötigt. Diese Spanne hatte auch wohl religiöse Bedeutung, denn sie entspricht den sieben Dekaden des ägyptischen Kalenders, die mit Tod und Wiedergeburt des Gottes Osiris in Zusammenhang standen.
Die Mumifizierung nach Herdot
Es gibt eine Gruppe von Menschen, die diese Kunst [das Einbalsamieren] ausüben und zu ihrem Beruf machen. Wenn man einen Toten zu ihnen bringt, zeigen sie den Kunden kleine Holzmodelle von Leichen, die sorgfältig und naturgetreu bemalt sind. Sie sagen, das vollkommenste Modell stelle denjenigen dar, dessen Namen in diesem Zusammenhang auszusprechen eine Entweihung wäre [Osiris]. Als Nächstes zeigen sie das zweite Modell, das weniger teuer und weniger sorgfältig ausgeführt ist, und zuletzt das dritte, das preiswerteste. Dann bitten sie, das Verfahren zu wählen, das für den Verstorbenen angewandt werden soll. Die Familie vereinbart einen Preis und geht heim.Die Balsamierer bleiben in ihrer Werkstatt. Bei der sorgfältigsten Art der Balsamierung gehen sie folgendermaßen vor: Zuerst holen sie einen Teil des Gehirns mit einem eisernen Haken durch die Nasenlöcher heraus; den Rest entfernen sie durch Infusion bestimmter Arzneien. Dann machen sie mit einer scharfen Klinge aus äthiopischem Stein [Obsidian] einen Einschnitt an der Seite, entfernen alle inneren Organe, reinigen den Bauchraum und waschen ihn erst mit Palmwein aus und dann mit zerriebenen wohlriechenden pflanzlichen Substanzen. Anschließend füllen sie den Bauch mit reiner zermahlener Myrrhe, mit Zimt und allen aromatischen Substanzen, die sie kennen, abgesehen vom Weihrauch. Danach nähen sie den Bauch wieder zu und salzen den Körper ein, indem sie ihn siebzig Tage lang mit Natron bedecken. Diese Zeitspanne darf nicht überschritten werden. Wenn die siebzig Tage vergangen sind, waschen sie den Körper und wickeln ihn vollständig mit Binden ein, die aus sehr feinem Leinenstoff geschnitten und mit Gummi bestrichen wurden, das die Ägypter normalerweise anstelle von Klebstoff verwenden. ...
Wenn eine Balsamierung zu einem mäßigen Preis gewünscht wird und man nicht zu viel ausgeben möchte, wird folgende Methode angewandt: Die Balsamierer füllen eine Klistierspritze mit Zedernöl und füllen den Bauch des Verstorbenen mit dieser Flüssigkeit, ohne ihn aufzuschneiden und ohne die inneren Organe zu entfernen. Nachdem sie das Öl durch den After eingespritzt und dafür gesorgt haben, dass es nicht wieder herausfließt, legen sie den Körper für die vorgeschriebene Anzahl von Tagen in Natron ein. Am letzten Tag lassen sie das Öl, das sie eingeflößt hatten, wieder aus dem Bauch herausfließen; diese Flüssigkeit ist so wirkungsvoll, dass sie die Gedärme und Eingeweide auflöst und mit herausspült. Das Natron löst seinerseits das Fleisch auf, und es verbleiben nur die Haut und die Knochen des Leichnams. Danach geben die Balsamierer den Körper zurück, ohne ihn weiter zu behandeln.
Die dritte Methode der Einbalsamierung, die für die Ärmsten angewandt wird, ist folgende: Man säubert die Eingeweide mit Rettichöl und salzt den Körper während der vorgeschriebenen siebzig Tage ein. Danach übergibt man ihn der Familie, die ihn mitnimmt.
Die Einbalsamierung
Das weitgehend entwässerte Gewebe ähnelte zunächst dem einer natürlichen Mumie. Auch in heißem Wüstensand flach verscharrte Leichen können unter günstigen Umständen ausdorren und eine Weile erhalten bleiben. Diese Beobachtung hatte in Ägypten wahrscheinlich schon in vorgeschichtlicher Zeit Vorstellungen von einem Leben nach dem Tode begünstigt. Umso erschreckender dürfte darum gewesen sein, dass gerade die Herrscher und Vornehmen, die nach der Reichseinigung Mitte des dritten vorchristlichen Jahrtausends erstmals in tief ausgehobenen Kammergräbern beigesetzt wurden, rasch verwesten. Das war wohl überhaupt der Anlass für die Entwicklung der künstlichen Mumifizierung.
Um den durch das Natron spröden Weichteilen eine lederartige Konsistenz und damit wirklich Dauerhaftigkeit zu verleihen, behandelten die Balsamierer den Körper schließlich innen und außen mit einer schützenden, tief einwirkenden Substanz. Deren Zusammensetzung wandelte sich im Laufe der Zeit. Im Neuen Reich benutzte man eine Mischung, die der Haut ein rötliches Aussehen gab. Bei Mumien aus der Spätzeit findet man Färbungen von einem orangegetönten Weiß bis zu einem sehr dunklen Rot. Bei den meisten Mumien aus der römischen Zeit ist die Haut hingegen fast schwarz.
Unseren Untersuchungen zufolge ist jede Hautfalte mit der Masse bedeckt. Wir halten es darum für wahrscheinlich, dass der Körper gänzlich in heißen, flüssigen Balsam getaucht und nicht nur damit bestrichen oder übergossen wurde. Zwei antike Illustrationen stützen diese Hypothese: Auf einer Zeichnung im 126. Kapitel des Totenbuches – der Spruchsammlung, die Verstorbenen seit der 18. Dynastie in Form einer Papyrusrolle mit ins Grab gegeben wurde – sieht der Flammensee, der Strafort in der Unterwelt, wie ein von unten beheiztes Becken aus; und in einer Szene im Papyrus des Bakenmut schwimmen vier schwarze Leichen in einer flachen Wanne auf Ständern.
Überschüssigen Balsam ließ man auf einem Holzbett abtropfen; dessen Spuren sind noch auf dem Rücken mancher Mumien zu erkennen. Dann wurde der Körper auf die rechte Seite gedreht, weil der Schnitt im Leib links angebracht war, und Konservierungsflüssigkeit in die Bauchhöhle gegossen. Die Temperatur des Balsams musste sorgsam kontrolliert werden: War er zu kühl, war er nicht flüssig genug, um in alle Hohlräume einzudringen; war er zu heiß, bestand die Gefahr, dass das Gewebe verkohlte. Wir haben Anzeichen für verschiedene Temperaturen zwischen diesen beiden Extremen gefunden: Eine dicke Balsamschicht war porös wie Bimsstein erstarrt und muss demnach so erhitzt gewesen sein, dass sie noch im Körper ausgaste; eine glasartige Masse deutet dagegen auf kühleren Balsam hin und eine teigige auf eine ziemlich niedrige Temperatur.
Sodann wurden die Brust- und die Bauchhöhle locker mit Stoffstücken und Sägespänen ausgestopft, damit der Körper seine menschliche Gestalt behielt. Bei den von uns untersuchten Mumien aus relativ später Zeit steckten in dieser Füllung auch Teile der Eingeweide, die in Balsam getränkt und zu etwa zehn Zentimeter langen Zylindern geformt waren. Mitunter fand sich nur eine solche Rolle, in anderen Fällen waren es mehrere – bis zu sechs. Lediglich ein knappes Drittel der Mumien enthielt vier; die im Neuen Reich beim Totenritual religiös bedeutsame Zahl der Organpakete – den vier Söhnen des Horus entsprechend – wurde also nicht mehr recht beachtet.
Den Schnitt in der Bauchdecke, früher grob vernäht und manchmal mit einem Siegel aus Wachs oder gar aus Gold geschützt, fanden wir in der Regel mit einem zusammengerollten Stück Leinen verschlossen. Bei hochrangigen Toten waren zudem die Backen gepolstert, und auf Röntgenaufnahmen sind unter den Lidern mitunter künstliche Augen zu erkennen. Schließlich wurde die Mumie bandagiert, wobei man erst die einzelnen Finger und Zehen, dann Hände und Arme, Füße und Beine sowie den Leib umwickelte; bei Männern sind gelegentlich die Geschlechtsorgane deutlich mit Binden modelliert.
Woraus bestanden nun die Balsamierungsstoffe? Noch heute herrscht ziemliche Unsicherheit darüber, und entsprechend ungenau sind oft die Angaben. Zum Beispiel schrieben Françoise Dunand und Roger Lichtenberg in ihrem 1998 erschienenen Buch »Les momies et la mort en Égypte«: »Man pflegte den Körper mit einer schwärzlichen Substanz zu bestreichen, die wie Pech glänzte ... und als ‚Bitumen‘ bezeichnet wird, wenngleich sie unterschiedliche chemische Zusammensetzungen haben kann.« »Manche Sarkophage sind ebenfalls schwarz bemalt, aber es ist nicht sicher, ob mit der gleichen Substanz. ... Vielleicht handelt es sich um einen Anstrich, der erst im Laufe der Zeit schwarz wird.« »Manche halten die Substanz für Bitumen vom Toten Meer, andere für pflanzliche Produkte, deren schwarze Farbe auf chemische Umwandlungsprozesse zurückzuführen sei.« Und in einem Sonderheft der Zeitschrift »Historia« vom April 1999 steht: »Die Körperhöhlen werden mit Leinentüchern balsamiert, die mit stark duftenden Harzen wie Myrrhe und Zimtöl getränkt sind.«
Viele Ägyptologen berufen sich noch immer auf das Buch »Ancient Egyptian Materials and Industries« von John Harris und Alfred Lucas, das 1926 veröffentlicht, 1962 zuletzt aktualisiert und 1989 neu aufgelegt wurde. Aber den Autoren standen noch keine differenzierten Analyseverfahren zur Verfügung. Wir beschäftigen uns mit der chemischen Zusammensetzung von Balsamierungssubstanzen seit mehr als zehn Jahren. In dieser Zeit gelang es uns mit modernen Untersuchungsmethoden, die wichtigsten Zutaten der Konservierungsflüssigkeit zu ermitteln und so endlich von Spekulationen zu fundierten Einsichten zu gelangen.
Proben für unsere Analysen entnahmen wir zahlreichen Mumien aus dem Museum Guimet in Lyon, dem Roemer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim, dem Museum für Anthropologie und Völkerkunde in Turin und dem Polnischen Nationalmuseum in Warschau; Proben des Inhalts von Kanopen bekamen wir vom Kestner-Museum in Hannover. Zum Schluss untersuchten wir auch zwölf der schon erwähnten Mumien aus dem Tal der Königinnen. Die Ergebnisse sind für die Phase von der Dritten Zwischenzeit bis zur römischen Epoche repräsentativ; davor waren die Rezepturen der Balsamierungsstoffe wahrscheinlich anders.
Bienenwachs zur Balsamierung
Die von uns angewandten modernen Analysetechniken wurden für die organische Geochemie und die Petrochemie – unser Spezialgebiet – entwickelt. Die komplexen Stoffgemische trennten wir zunächst mit Methoden wie Extraktion und Ausfällung mit Hilfe von Lösungsmitteln sowie durch Flüssig- und Gas-Chromatographie; die verschiedenen Fraktionen klassifizierten wir dann mittels Massenspektrometrie. Außerdem untersuchten wir auf dieselbe Weise eine ziemlich große Gruppe von Naturstoffen, die uns zur Balsamherstellung geeignet schienen: vor allem Harze von Nadelbäumen wie Zeder, Pinie, Strandkiefer, Seekiefer, Tanne und Lärche, von der Terpentinpistazie (Terebinthe), vom Myrrhen- und vom Weihrauchstrauch, ferner Teere von Kiefern und Birken, die durch Pyrolyse des Holzes oder der Rinde gewonnen werden, sowie Bienenwachs und Erdpech (Bitumen) verschiedener Herkunft.
Indem wir die Spektren der Fraktionen unserer Mumien-Proben mit denen der natürlichen Substanzen verglichen, konnten wir nachweisen, dass die antiken Balsamierungsstoffe ebenso wie Harze und Teere von Nadelbäumen die Verbindungen Abietinsäure, Reten und Longifolen enthalten. Demnach waren diese Harze und Teere die Hauptbestandteile der meisten Balsame. Hingegen fanden wir keine Spur des häufig in Übersetzungen ägyptischer Texte erwähnten Terebinthenharzes von der griechischen Insel Chios. Die vermeintlichen Hinweise darauf sind wohl falsch interpretiert oder übersetzt worden; denn aus der rötlichen Rinde der Terebinthe (Pistacia terebinthus) wird das wohlriechende Chios-Terpentin gewonnen und kein Harz; dieses – der Mastix – stammt vielmehr aus dem zur selben Gattung der Sumachgewächse gehörenden Mastixstrauch (Pistacia lentiscus). Womöglich bezeichnete man im Altertum mit dem lateinischen Begriff terebinthus, einem Fremdwort aus dem Griechischen, auch Nadelbaumharze. Diese hatten jedenfalls zwei Vorteile für die Balsamierer: Mit ihnen ließ sich der tote Körper gut erhalten, weswegen sie seit dem Alten Reich verwendet wurden, und sie waren preiswerter als andere Harze – zum Beispiel kosteten Myrrhe und Weihrauch etwa zehnmal so viel.
Außer den für Koniferen charakteristischen Verbindungen enthielten die von uns analysierten Balsamgemische Sterane, Pristan, Phytan und Hopane. Das sind gewissermaßen fossilisierte Moleküle, nämlich Produkte der langsamen Umwandlung abgelagerter Überreste von Lebewesen. Beispielsweise entstehen Hopane aus den Hopanoiden der Mikroorganismen, die dem Cholesterin im Gewebe der Tiere entsprechen. Die Anteile dieser Verbindungen gleichen denen der Ausgangsstoffe im Bitumen vom Toten Meer. Dieses Kohlenwasserstoffgemisch hatten wir – wie auch Jürgen Rullkötter von der Universität Oldenburg und Arie Nissenbaum vom Weizmann-Institut in Rehovot (Israel) – schon 1989 in Proben aus Mumien chemisch nachgewiesen. Damit war zugleich ein Expertenstreit entschieden: Noch in der letzten Auflage von »Ancient Egyptian Materials and Industries« hatten die Autoren versucht, alle Beweise für die Verwendung von Bitumen zur Balsamherstellung zu widerlegen. Dabei müssen sie freilich einschlägige antike Texte übersehen haben, in denen beispielsweise steht, dass Kleopatra VII. (69–30 vor Christus) auf die Dienste der Nabatäer verzichten wollte, die Bitumen vom Toten Meer exportierten, und dass diese sich rächten, indem sie die ägyptische Flotte im Hafen von Alexandria in Brand steckten.
Bitumen war mithin der zweite Hauptbestandteil der Balsamierungsstoffe. Sein Anteil betrug meist fünf bis zehn und in seltenen Fällen bis zu dreißig Prozent. Gewöhnlich stammte es vom Toten Meer, doch haben wir auch Anzeichen für andere Vorkommen gefunden: Hit im Irak, den Berg Zeit nahe der ägyptischen Küste des Roten Meeres, die Halbinsel Sinai und den Jemen. Verwendet wurde das teure, zumeist importierte Erdpech nicht nur seiner konservierenden Eigenschaften wegen, sondern weil Schwarz auch die Farbe des Osiris war, der nach seiner Ermordung wiederbelebt wurde und das Totenreich regierte. Die mythologischen Vorstellungen wurden mit der Zeit demokratischer: Erst gingen nur die verstorbenen Könige in die Gestalt des Gottes über, später alle, die das Totengericht bestanden. Eine schwarze Färbung der Mumien unterstützte diese symbolische Verwandlung, durch die die Verstorbenen wie Osiris ewig lebten.
Als dritte Gruppe von Verbindungen haben wir Ceride in den Mumien nachgewiesen. Sie basieren auf Fettsäuren im Bienenwachs. Dieses wurde vielleicht häufig benutzt, um die Balsammischung bei relativ geringer Temperatur flüssig zu halten und so ihr Vordringen in schwer zugängliche Hohlräume zu erleichtern. Außerdem schrieben die Ägypter dem Bienenwachs magische Kräfte zu.
Des Weiteren fanden wir Furan-Abkömmlinge, die in vielen Parfümen vorkommen und heute auch in Aromastoffen verwendet werden, sowie Sesquiterpene. Diese Kohlenwasserstoffe finden sich in Pflanzen; wir wissen aber noch nicht, von welchen Arten die in unseren Proben entdeckten Verbindungen stammen.
Schließlich galt es, die Herkunft geringer Beimengungen von Fetten zu klären. Manche Ägyptologen hatten vermutet, das seien Verunreinigungen durch das Körperfett der Leichen. Dagegen sprach unser Befund, dass Fettsäuren in Binden vorhanden sind, die nicht mit den Mumien in Berührung gekommen waren; zudem verwandelte die Behandlung mit Natron vor der Einbalsamierung das körpereigene Fett in Seife.
Die Mumie von Ramses II.
Medizinischen Papyri zufolge wurden im alten Ägypten zwar tierische Fette zur Herstellung vieler Heilmittel verwendet. In den Balsamproben waren jedoch hauptsächlich kurzkettige Fettsäuren mit sechs bis zehn Kohlenstoffatomen nachzuweisen, wie man sie in Pflanzen findet; und die längerkettigen mit 14 bis 18 Kohlenstoffatomen – vor allem Stearin- und Palmitinsäure – kommen sowohl in tierischen als auch in pflanzlichen Organismen vor. Ferner deuten die Ergebnisse einer Analyse der Kohlenstoffisotope C-12 und C-13, die sich in den Geweben von Pflanzen und Tieren in unterschiedlichem Maße anreichern, eher auf einen pflanzlichen Ursprung hin.
Andererseits haben wir keinen Hinweis auf die Verwendung tierischer Fette gefunden; womöglich widerstrebte es den Ägyptern, damit Mumien zu behandeln, weil sie viele Tiere als heilig betrachteten.
Alles in allem ergaben unsere Untersuchungen, dass die Anteile der vier vorwiegenden Balsamzutaten – Harze und Teere von Nadelbäumen, Bitumen, Bienenwachs und pflanzliche Substanzen – beträchtlich variierten. Nicht jeder Bestandteil wurde stets in gleicher Menge verwendet. Weil die Rezepte nicht durch religiöse Vorschriften festgelegt waren, folgte wahrscheinlich jeder Balsamierer der Tradition seiner Werkstatt oder behalf sich mit dem, was gerade zur Verfügung stand.
Die ältesten von uns untersuchten Materialproben stammen allerdings erst aus der Dritten Zwischenzeit. Zuvor, im Mittleren und Neuen Reich, wurden nach den Analysen von Richard Evershed und seinen Kollegen von der Universität Bristol außer Harzen vor allem diverse Gummi verwendet, die wasserlöslichen Anteile von Gummiharzen. Das stellten auch andere Experten fest. So war der Grundbestandteil des Balsams für die Mumie von Ramses II. (Regentschaft 1290–1224 vor Christus) Tragant, ein gallertartig quellbarer und hornartig erhärtender Extrakt aus dem Saft von Sträuchern der Schmetterlingsblütler-Gattung Astragalus. Doch schon unter seinem Sohn und Nachfolger Merenptah (1224–1214 vor Christus) wurde der hohe Beamte Idu II. mit Koniferenharz einbalsamiert – ihm unterstand freilich das Büro für Tannenholzhandel.
Unsere chemischen Analysen verschafften uns schließlich auch gewisse Einblicke in die Zubereitung der Balsamierungssubstanzen. So fanden wir Ethylester, die durch Reaktion von Ethylalkohol mit Fettsäuren gebildet wurden; bei der Präparation muss demnach Wein verwendet worden sein. Außerdem wurden die Zutaten wahrscheinlich nicht über 200 Grad Celsius, das heißt nur eben bis zum Schmelzen erwärmt; denn starkes thermisches Cracken – also Spaltung von Molekülen durch Hitze – war nicht festzustellen. Nur bei einer Mumie gab es Anzeichen für die Spaltung von Kohlenwasserstoffen bei hohen Temperaturen; in diesem Falle hatten wohl Grabräuber in der Grabkammer einen Brand gelegt.
Wie es die Balsamierer der Pharaonenzeit schafften, die natürliche Verwesung zu verhindern und die Körper von Verstorbenen so zu präparieren, dass sie Jahrtausende erhalten blieben, war lange Zeit ein großes Rätsel. Die historischen Berichte konnten nur wenig zur Aufklärung beitragen. Erst mit den raffinierten Analysemethoden, die uns heute zur Verfügung stehen, ist es jetzt gelungen, das Geheimnis der altägyptischen Priester zu lüften, die vor mehr als 3000 Jahren schon fertig brachten, was ihnen erst im 20. Jahrhundert Chemiker an den Leichnamen berühmter Persönlichkeiten wie Lenin, Mao oder Papst Johannes XXIII. nachmachten.
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