Das Vermächtnis der Nefertari
Das Grab der altägyptischen Königin Nefertari, der Frau des Pharaos Ramses II., war Ausdruck einer Liebe, die den Tod überdauern sollte. Die kunstvollen Malereien vor dem Verfall zu schützen, erforderte Geschick und Einfallsreichtum.
Nur wenig wissen Ägyptologen über Nefertari, die Lieblingsfrau von Ramses II., des Pharaos, der das Alte Reich von etwa 1290 bis 1224 vor Christus regiert hat. Sicher ist nur eines: daß er sie liebte. Anders ließe sich nicht erklären, daß die ihr und der Göttin Hathor geweihte Statue in Abu Simbel genauso groß ist wie die des Gottkö-nigs – eine Ehre, die keiner anderen ägyptischen Königin je zuteil wurde. Die Beinamen, die der Pharao ihr gab, bezeugen gleichfalls seine Gefühle: "Herrin der Liebenswürdigkeit", "süß an Liebe", "schön an Gesicht", "für die die Sonne scheint". Und nach ihrem Tode widmete ihr Ramses II. ein letztes, spektakuläres Geschenk: Obwohl sie nicht königlicher Abstammung war, ließ er Nefertari im Tal der Königinnen bestatten.
Die Wandmalereien in ihrem Grab gehören zu dem Schönsten der pharaonischen Grabkunst, einzigartig in ihren lebendigen Farben, ihrer Genauigkeit und ihrer Fülle. Sie zeigen den Weg der Bestatteten ins Jenseits und ihre Begegnung mit Göttern wie Osiris und Isis, dabei strikt dem Ablauf des Ägyptischen Totenbuches folgend. Das tägliche Leben an der Seite Ramses’ II. oder ihrer sechs oder sieben Kinder fand leider keinen Eingang in die Darstellungen.
Alle Macht Ramses’ II. konnte das Grabmal nicht vor Räubern und Verfall schützen. Als der italienische Archäologe Ernesto Schiaparelli es 1904 entdeckte, hatten Plünderer es längst aufgebrochen, den Sarkophag zertrümmert und alle Kostbarkeiten, ja sogar die Mumie gestohlen.
Etwa ein Fünftel der kunstvollen Malereien war vernichtet, andere wiesen Schäden auf, doch infolge natürlicher Prozesse: Salz war aus dem umgebenden Kalkstein eingedrungen und hatte sich unter und auf der bemalten Putzschicht kristallisiert. Während der nächsten Jahrzehnte setzten Besucher unbeabsichtigt die Zerstörung fort, vor allem durch Berühren der fragilen Oberflächen, aber auch durch die Feuchtigkeit von Atmung und Schweiß.
Archäologen und Kunsthistoriker äußerten wachsende Sorge, und in den späten zwanziger Jahren finanzierte das New Yorker Metropolitan Museum of Art eine ausführliche photographische Dokumentation der Wandgemälde (diese Aufnahmen ergänzten sowohl 135 Glasplatten-Negative, die Schiaparellis fleißiger Photograph 1904 und 1905 gemacht hatte, als auch spätere Bild-Dokumentationen). Schließlich waren die Malereien in solchem Ausmaße beschädigt, daß die ägyptische Regierung das Grab in den späten dreißiger Jahren für die Öffentlichkeit schloß.
Nefertaris Vermächtnis lagerte so in staubiger Stille, nur besucht von auserwählten Wissenschaftlern. Etwa 40 Jahre später begutachteten Experten der UNESCO, des International Center for the Study of Preservation and the Restoration of Cultural Property und der Universität Kairo den jeweiligen Erhaltungszustand verschiedener wichtiger Gräber, auch das der Nefertari. Die Lage war ernst, und Konservatoren des Getty Conservation Institute und der Ägyptischen Altertümerverwaltung mahnten, die verbleibenden Kunstwerke zu retten.
Im Auftrag dieser beiden Organisationen widmeten sich Experten ganz unterschiedlicher Fachrichtungen von 1986 bis 1992 dieser Aufgabe, darunter Kunsthistoriker, Konservatoren, Ägyptologen, Chemiker, Ökologen, Topographen und Techniker. Das Team ermittelte Mikroklima und Hydrologie des Grabes und entwickelte dementsprechende Maßnahmen, neuerliche Zerstörungen zu verhindern.
Acht Jahre nach dem Abschluß der Arbeiten erweist sich der erreichte Erhaltungszustand der Malereien als stabil – das Projekt war ein Erfolg. Die wundervollen Bilder, die klare Schönheit der Königin Nefertari – Besucher dürfen sie wieder bewundern. Und zwar im Original, nicht als Repliken aus dem 20. Jahrhundert.
Obwohl die alten Photodokumentationen es ermöglicht hätten, wurde aber keine Farbe neuerlich aufgetragen, wo sie das Original verloren hatte. Dafür gab es zwei Gründe: Zum einen beeinträchtigt ein solches Vorgehen die Integrität des Objekts, zum anderen entschieden alle Beteiligten, daß die Wandmalereien im Grab der Nefertari und ihr Zustand auch Zeugnis der seit der Antike vergangenen Jahrhunderte ablegen sollten.
Das Team machte sich zunächst ein Bild vom Erhaltungszustand der Malereien. Es untersuchte jeden Zentimeter Putz: Wo war er abgeplatzt, wie gut haftete er an der Wand und hielt zusammen, wo ragte der Fels hindurch? Der Farbe galt nicht weniger Sorgfalt: Wo blätterte sie ab, war sie abgerieben worden oder haftete nicht mehr, wo bedeckten sie Schmutz, Staub oder Insektennester? Gleichzeitig ermittelten die Konservatoren das Ausmaß der Salzkristallisation auf der Oberfläche der Malereien und zwischen Felsoberfläche und Putz. Des weiteren identifizierten sie frühere Eingriffe, also retuschierte Malereien, geflickte Löcher im Putz und Verkleidungen aus Gaze oder Klebeband.
Anschließend entnahmen Paolo Mora, früherer Chefkonservator am Instituto Centrale di Restauro in Rom, seine Frau Laura Mora und ihre Kollegen winzige Pigmentproben. Mit modernen Verfahren wie Röntgenbeugung, Röntgenfluoreszenzanalyse, Polarisationsmikroskopie, Gas- und Flüssigkeitschromatographie bestimmten Experten deren chemische Zusammensetzung. Anhand dieser Informationen entwickelten die Wissenschaftler die geeigneten Verfahren, um die Kunstwerke zu retten und zu stabilisieren. Vorübergehend brachten sie japanisches Maulbeerrindenpapier auf dem Putz auf, damit nicht noch mehr von der Wand fiel.
Die ägyptischen Künstler hatten offensichtlich die in ihrer Zeit üblichen Pigmente verwendet: Ägyptisch Grün; Ägyptisch Blau (oder Cuprorivait); Rot aus Eisenoxyd, mit Spuren von Mangan und Arsen; Ocker für Gelb; Calcit, Anhydrit und Huntit für Weiß und Holzkohle für Schwarz. Als Bindemittel, das die Farbstoffe zusammenhielt, diente meist Gummi Arabicum, ein Harz der Akazie. Einige Malereien hatten später auch einen schützenden Firnis aus Baumharz und Eiweiß erhalten, Zeugnis undokumentierter Konservierungsversuche. Der Putz bestand der Analyse zufolge aus Gips, Anhydrit und Nilschlamm mit beigemengtem zerbröckeltem Kalkstein. Weizenstroh war damals benutzt worden, um ihn zu verstärken und so ein Aufplatzen während der Trocknung zu verhindern.
Nach der Analyse begann die eigentliche Konservierungsarbeit. 469 Tage lang – über fünf Jahre verteilt – reinigte das Team Malereien, entfernte Salzkristalle von freiliegenden Felsflächen und auch unter Putz. Ein Akrylkleber, mit Sand und Gipsstaub gemischt, befestigte Putz wieder am Felsen. Erhaltene Bruchstücke wurden wieder angesetzt und zerfallenes Bindemittel durch ein Akryl-Copolymer ersetzt. Kalkmörtel füllte Löcher auf, die alten, schlecht ausgeführten Ausbesserungen wurden entfernt.
Diese Manipulationen sollten die originalen Farben keinesfalls verändern. Deshalb führte Michael Schilling vom Getty Conservation Institute zuvor 1500 Farbmessungen an 160 verschiedenen Stellen durch. Diese Daten dienten auch der kontinuierlichen Überwachung des aktuellen Zustands der Malereien.
Die größte Sorge galt dem Salz, das bis zu 15 Millimeter dicke Schichten unter dem Putz gebildet hatte. In den meisten Gräbern hält das ägyptische Klima Mumien und Artefakte trocken und intakt. Aber im Gebiet, in dem Nefertaris Grab liegt, gab es eine Quelle, die im Laufe der Jahrhunderte aus dem thebanischen Kalkstein Salz herauslöste und in Umlauf brachte. Etwas Wasser gelangte sicher auch mit dem feuchten Putz herein. Zudem gehen in der Region etwa alle 50 Jahre schwere Regenfälle nieder. Viele Gräber, einschließlich derer im Tal der Könige, wurden seit der Antike wiederholt überflutet. Wahrscheinlich sickerte das Wasser allmählich durch Risse, löste dabei Salze aus dem Felsen, die unter der bemalten Oberfläche kristallisierten, als das Wasser von den Wänden verdunstete.
Um die Luftfeuchtigkeit und die Temperatur zu beobachten, registrierte das Team Klimadaten außerhalb und innerhalb des Grabes über mehrere Jahre und Jahreszeiten hinweg. Dabei erreichte die äußere Temperatur 40 Grad Celsius im Sommer, aber nur 10 Grad Celsius an Wintermorgen. Auch die Luftfeuchtigkeit außerhalb des Grabes variierte stark: von 80 Prozent im Winter bis zu 10 Prozent während des restlichen Jahres. Diese Schwankungen konnten das Grab aufgrund von Leckagen im Eingangsbereich beeinflussen – dennoch blieben die Temperaturen im Inneren mit etwa 29 Grad Celsius und die Luftfeuchtigkeit mit 50 Prozent stabil. Während des Winters entstand zudem eine natürliche Luftzirkulation: Kühlere Luft drang im Bodenbereich ein und zwang so die wärmere Luft über die Eingangstreppe nach draußen. Diese Zirkulation hielt Malereien und Putz trocken. Sobald jedoch ein Besucher das Grab betrat, stieg die Luftfeuchtigkeit drastisch. Dieser Befund alarmierte, denn die Touristensaison erreicht ihren Höhepunkt im Sommer, wenn sich die Feuchtigkeit im Grab ansammelte und die Luft nicht hinausströmte.
Auch der Kohlendioxyd-Gehalt wurde gemessen. Aufgrund der insgesamt geringen Luftzirkulation im Grab entweicht dieses von den Besuchern ausgeatmete und giftige Gas nur langsam. Aus gesundheitlichen Gründen sollte seine Konzentration 1000 ppm (Teile pro Million) nicht übersteigen, Touristengruppen brachten ihn aber von 340 auf 2500 ppm. Von seiner Giftigkeit abgesehen kann Kohlendioxyd zudem mit Feuchtigkeit reagieren und Kohlensäure bilden, die wiederum die Farben angreift.
Als Gegenmaßnahme installierte die Ägyptische Altertümerverwaltung ein System, um das Grab und seine Besucher zu schützen: Es umfaßt Lampen, die sehr wenig Hitze abgeben und ein Ventilationssystem, das Luft aus dem Grab zieht, damit ungefilterte, trockene Luft von außen nachströmen kann. Seit Ende des Jahres 1995 dürfen nun 150 Menschen pro Tag, in Gruppen von 10 bis 15 Personen, jeweils 15 Minuten lang das Grab besuchen (was der ägyptischen Regierung etwa 2,5 Millionen Mark pro Jahr an Eintrittsgeldern beschert). Bis jetzt ist der einzige nennenswerte Einfluß der Besucherströme eine Staubschicht, die sich auf die Malereien gelegt hat und sie etwas verdunkelt.
Trotz der genauen Beobachtung muß der potentielle Schaden durch die Touristen sorgfältig kontrolliert werden. Zwar sollte es Menschen möglich sein, die wundervollen Malereien zu sehen und den Zauber dieses Tores zur Vergangenheit zu erleben, doch auch kommenden Generationen muß dieses Recht eingeräumt werden. Es ist wohl nun einmal so: Der Mensch ist in der Lage, in wenigen Jahrzehnten zu zerstören, was Jahrtausende überdauerte. Deshalb mag es nicht für jeden erlaubt sein, den Zugang zu haben, den er erwartet. Letztendlich ist dies ja auch, was Ramses II. seiner Frau wünschte: ein friedvolles geschütztes Vermächtnis.
Literaturhinweise
Der Jenseitsweg der Nofretari: Bilder aus dem Grab einer ägyptischen Königin. Von Edmund Dondelinger. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1973.
Nefertari: Gemahlin Ramses’ II. Von Heike C. Schmidt und Joachim Willeitner. Mit Aufnahmen von Alberto Siliotti. Zaberns Bildbände zur Archäologie, Band 10, Mainz 1994.
House of Eternity, The Tomb of Nefertari. Von John K. McDonald. J. Paul Getty Museum, Los Angeles 1996.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2000, Seite 76
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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