Mikroelektronik: Der Molekülcomputer
Ein Computer, dessen elementare Bauteile aus je einem einzigen Molekül bestehen, würde die modernsten Chips an Packungsdichte – und Leistungsfähigkeit – um den Faktor 100000 übertreffen. Es gibt bereits Moleküle, die sich wie elektrische Schalter, Leiter oder Speicherzellen verhalten. Nur die Montage von Millionen solcher Teile zu einem Rechner liegt noch in weiter Ferne.
Wie schnell und leistungsstark können Computer noch werden? Wird es eines Tages möglich sein, künstliche "Gehirne" mit der Intelligenz des Menschen – oder mehr – zu konstruieren? Die Antwort darauf hängt im Wesentlichen davon ab, wie klein und dicht gepackt wir deren elementare Bauteile, die Computer-Schaltkreise, herstellen können.
Mit der gegenwärtigen Technologie, das heißt Halbleiter-Bauelemente auf Siliziumbasis, wird man nach allgemeiner Ansicht nicht so weit kommen. Alternative Technologien sahen nicht besser aus – bis vor kurzem. Im vergangenen Jahr sind jedoch revolutionäre Fortschritte erzielt worden. Bis zu wahrhaft intelligenten Maschinen ist es zwar noch ein weiter Weg voller Hindernisse, die vielleicht sogar unüberwindlich sind; aber dass sich überhaupt so etwas wie ein Weg abzeichnet, ist bereits Anlass zu verhaltenem Jubel.
Es geht um Molekularelektronik; das ist die Kunst, einzelne Moleküle herzustellen, die sich so oder so ähnlich verhalten wie herkömmliche Transistoren, Dioden, Leitungsdrähte und andere wesentliche Teile heutiger integrierter Schaltkreise. Nach einer Periode großer Hoffnungen und magerer Ergebnisse gab es in neuerer Zeit bemerkenswerte Erfolge zu verzeichnen. Chemiker, Physiker und Ingenieure haben gezeigt, dass einzelne Moleküle elektrischen Strom leiten, als Schalter fungieren und Informationen speichern können.
Im Juli vergangenen Jahres vermeldeten Forscher von Hewlett-Packard und der Universität von Kalifornien in Los Angeles unter großem Medienecho die Herstellung eines elektronischen Schalters, der aus mehreren Millionen Molekülen der organischen Substanz Rotaxan besteht. Durch Verknüpfung mehrerer dieser Schalter realisierten die Forscher ein rudimentäres UND-Gatter, ein Bauteil, das eine einfache logische Operation ausführen kann. Nun sind eine Million Moleküle weitaus mehr als das eine Molekül, das im Prinzip dafür ausreichen müsste, und die Anzahl der Schaltvorgänge bis zum Versagen – ein einziger – war auch noch unbefriedigend. Ein Durchbruch war es trotzdem.
Nur Monate nach dieser Bekanntmachung veröffentlichten unsere Arbeitsgruppen an der Yale- beziehungsweise der Rice-Universität, dass Moleküle einer anderen Klasse als mehrfach verwendbare Schalter fungieren können. Einen weiteren Monat später beschrieben wir ein von uns entwickeltes Molekül, das seine Leitfähigkeit durch Einwirkung von außen – durch die Bindung zusätzlicher Elektronen – ändern kann und somit als Speicherelement einsetzbar ist.
Zur Herstellung unseres Schalters erzeugten wir Bereiche im Molekül, die Elektronen einfangen und damit am Weiterfließen hindern, wenn – und nur wenn – eine bestimmte Spannung am Molekül anliegt. Durch Variation der Spannung konnten wir das Molekül mehrfach nach Belieben zwischen leitendem und nichtleitendem Zustand wechseln lassen, wie es sich für einen elektrischen Schalter gehört. Das winzige Gerät bestand aus einer Schicht von etwa tausend Nitroaminobenzothiol-Molekülen zwischen zwei Metallkontakten.
Nachdem uns der Schalter gelungen war, fanden wir eine Variante des Moleküls, die Elektronen nicht nur kurz festhalten, sondern sie fixieren und somit als Speicherzelle arbeiten kann. Der von uns modifizierte elektroaktive Bereich des Moleküls hielt Elektronen für fast zehn Minuten gefangen – weit länger als die wenigen Millisekunden, zu denen die Elemente eines herkömmlichen Speicherchips (RAM) fähig sind.
Die Herstellung einzelner Bauelemente ist zwar ein bedeutender Schritt; aber für einen funktionsfähigen Rechner sind Millionen oder sogar Milliarden von molekularelektronischen Bauteilen verschiedenster Art auf einer Oberfläche zu befestigen und in einer vorgeschriebenen Form zu verschalten. Ob diese monumentale Herausforderung jemals bewältigt werden kann, ist heute noch nicht abzusehen.
Warum dann jetzt schon diese Aufregung in der Fachwelt und in der allgemeinen Medienlandschaft? Nun – es hat sich herumgesprochen, dass unsere Industriegesellschaft von der Mikroelektronik abhängt und dass diese in ihrer gegenwärtigen Form an ihre Grenzen geraten wird.
Bislang gilt für diese Form – die Halbleitertechnik – eine der berühmtesten technologischen Faustregeln, das Mooresche Gesetz. Es besagt, dass sich die Anzahl der in einem Mikrochip untergebrachten Transistoren – und damit dessen Rechenleistung – etwa alle 18 bis 24 Monate verdoppelt. Nachdem dieser bemerkenswerte Trend vierzig Jahre angehalten hat, passen auf ein wenige Quadratzentimeter großes Stück Silizium einige hundert Millionen Transistoren mit einer Breite von etwa 180 Nanometer!
Molekularelektronische Bauteile sind jedoch noch wesentlich kleiner. Vergrößerte man einen der genannten Transistoren auf die Größe dieser Seite, so wäre ein molekulares Bauelement, in gleichem Maße vergrößert, immer noch kleiner als der Punkt am Ende dieses Satzes. Selbst der für 2012 prognostizierte Siliziumtransistor von 120 Nanometer Größe wird immer noch 60000-mal so viel Fläche in Anspruch nehmen wie sein molekulares Gegenstück.
Darüber hinaus erwartet niemand, dass die konventionelle Elektronik dem Mooreschen Gesetz für alle Zukunft folgen wird. Packt man immer mehr Transistoren in einen Chip, so werden die Unterdrückung von Streusignalen, die Kühlung und die Fertigung selbst so schwierig, dass weitere Fortschritte unmöglich oder doch zumindest wesentlich verlangsamt werden. Noch sind die Probleme nicht grundsätzlicher Natur; aber sowie die Transistorgröße die 100-Nanometer-Schwelle unterschreitet, wird man einen weiteren exponentiellen Anstieg von Transistordichte und Prozessorleistung nur unter ebenfalls exponentiell – aber schneller – anwachsendem Aufwand für die Fertigung erzielen können, so die Schätzung der Experten. Um 2015 oder sogar noch vorher, wenn eine Chipfabrik 200 Milliarden US-Dollar kostet, wird bei weiterer Verkleinerung der Preis pro Transistor nicht mehr fallen, sondern steigen, und spätestens dann wird der lange, atemberaubende Fortschritt, den das Mooresche Gesetz beschreibt, sein Ende finden – lange bevor die Computer die kognitiven und intellektuellen Fähigkeiten des Menschen erreichen.
Die extreme Kleinheit der molekularen Bauelemente bietet noch mehr Vorteile als nur eine hohe Packungsdichte. Elektronen, die auf den kleinen Raum eines Moleküls beschränkt sind, haben andere, für unsere Zwecke nützliche, Eigenschaften als solche, die in einem Leiter frei beweglich sind.
Freie Elektronen können jede beliebige Energie innerhalb eines Kontinuums einnehmen. Innerhalb eines Atoms oder Moleküls, allgemeiner innerhalb eines eng begrenzten Volumens, ist die Energie eines Elektrons dagegen quantisiert: Erlaubt ist nur eine gewisse Anzahl diskreter, durch die Quantenphysik vorgeschriebener Werte. Die Orbitale oder "Wolken", in denen die Bindungselektronen in Molekülen sich aufhalten und deren Form durch die Art und Geometrie der beteiligten Atome bestimmt wird, entsprechen jeweils einem solchen diskreten Energieniveau.
Selbst die kleinsten herkömmlichen Transistoren sind noch immer viel zu groß, als dass solche Quanteneffekte eine Rolle spielten. Vielmehr haben die Elektronen im Material im Gegensatz zu den quantisierten Niveaus ein relativ breites Energieband zur Verfügung. Dieser große Spielraum gestattet es energiereichen Elektronen, von einem Bauelement zum nächsten zu driften. In der Größenskala von wenigen hundert Nanometern drohen diese Kriechströme so überhand zu nehmen, dass Information verloren geht: Wenn von allen Seiten Elektronen in ein Bauelement einsickern, wechselt es möglicherweise fälschlich vom Zustand 0 (ausgeschaltet) in den Zustand 1 (eingeschaltet). Diese schädliche Freiheit haben molekülgebundene Elektronen nicht.
Quanteneffekte lassen sich auch für andere Zwecke dienstbar machen. In der Molekularelektronik ist ein "Draht" ein langes Molekül, in dem Elektronen leicht von einem Ende zum anderen wandern können (Bild oben). Da Elektronen sich lieber in niedrigen als in hohen Energieniveaus aufhalten, benötigen wir als Elektronenkanal ein unbesetztes Orbital möglichst niedriger Energie, das sich über das gesamte Molekül erstreckt. Ein solches Orbital ist das so genannte Pi-Orbital; da einander überlappende Orbitale von Valenzelektronen "zueinander konjugiert" genannt werden, heißt unser molekularer Leiter "pi-konjugiertes System".
Transistoren und andere aktive Bauelemente müssen jedoch den Elektronenstrom nicht nur fließen lassen, sondern auch auf ihn Einfluss nehmen. Es gilt also Moleküle zu finden, die einen solchen Einfluss gestatten, zum Beispiel ein Molekül, das zwei verschiedene Formen annehmen kann: In der einen Form überlappen sich zwei Orbitale und geben dadurch den Elektronen den Weg frei, in der anderen Form ist der Elektronenfluss gesperrt.
Ist ein solches Molekül erst gefunden, dann ist seine Herstellung eine Standardaufgabe der chemischen Synthese. Ein Exemplar ist so makellos wie das andere – eine Gleichmäßigkeit, die bei anderen Arten von Massenproduktion, wie dem Ätzen von Millionen von Transistoren eines integrierten Schaltkreises, nur sehr mühsam oder gar nicht erreichbar ist.
Die Herstellungsverfahren für molekulare Bauelemente sind im Wesentlichen die der pharmazeutischen Industrie. Wir beginnen mit einer Grundsubstanz und ändern diese allmählich durch Hinzufügen anderer Chemikalien, deren Moleküle sich an genau vorherbestimmte Stellen binden. Dieser Schritt wird möglicherweise mehrfach wiederholt. Wir analysieren das Ergebnis jedes Reaktionsschritts mit Infrarotspektroskopie, Kernspinresonanz- und Massenspektrometrie und anderen Verfahren. Dadurch gewinnen wir Aussagen über die Struktur des Moleküls, wie etwa sein Molekulargewicht oder den Bindungspunkt beziehungsweise -winkel zwischen einzelnen Molekülabschnitten. Alle Verfahren zusammen liefern uns ausreichend Information für den nächsten Syntheseschritt, bis das Molekül mit den gewünschten Eigenschaften fertig ist.
Eines unserer einfachsten molekularen Bauelemente besteht aus einer Kette von drei Benzolringen mit einander überlappenden Orbitalen (Kasten Seite 44). Wir gestalteten die Bindungen zwischen den Ringen so schwach, dass leichte Verbiegungen oder Verwindungen die Konjugation der Orbitale stärken oder schwächen. Für einen regelrechten Schalter fehlte uns jetzt nur noch ein Verfahren, diese Deformationen von außen zu steuern.
An gegenüberliegenden Punkten des mittleren Ringes, quer zur Hauptachse des Moleküls, brachten wir eine NO2- und eine NH2-Gruppe an, was eine stark asymmetrische Elektronenwolke ergibt. Diese wiederum ist der Hebel, an dem ein äußeres elektrisches Feld angreifen kann. Damit haben wir ein aktives Bauelement: Sowie wir Spannung an das Molekül anlegen, verwindet es sich und sperrt den Stromfluss. Ohne Spannung springt es in seine ursprüngliche Form zurück und lässt den Strom fließen.
In Folgeexperimenten stellte sich heraus, dass die Schaltgeschwindigkeit unseres winzigen Bauelementes die aller herkömmlicher Halbleiterelemente weit in den Schatten stellt.
Bis wir eines dieser Elemente überhaupt testen konnten, war jahrelange Forschungsarbeit mit modernsten Technologien zu leisten. Es ist eben alles andere als einfach, in unvorstellbar kleine Dimensionen hinabzusteigen, mit einem einzelnen Molekül in Kontakt zu treten und Informationen über sein Verhalten in unsere makroskopische Welt zurückzumelden.
Ohne das Rastertunnelmikroskop (RTM), das in den achtziger Jahren am IBM-Forschungslabor in Rüschlikon bei Zürich erfunden wurde, wäre das so gut wie unmöglich gewesen. Das RTM öffnet ein Fenster in die atomare Welt; es bildet einzelne Atome und Moleküle ab und macht sie manipulierbar. Eine atomfeine Nadel tastet die Oberfläche einer Struktur ab, wobei die winzigen Tunnelströme zwischen ihr und der Nadelspitze gemessen werden. Indem man die Nadel systematisch in einem Raster über die Oberfläche führt, bekommt man ein Bild von ihren Höhen und Tiefen.
Mit dem RTM kann man auch quasi von Hand jedes Molekül einzeln an die richtige Stelle setzen. Das ist zwar von entscheidender Bedeutung für die Konstruktion und das Testen einzelner Bauelemente, aber wenig praktikabel, wenn Millionen von ihnen an vorgeschriebenen Stellen festzumachen sind, mit ausreichendem Abstand voneinander, um störende Wechselwirkungen auszuschließen. In dieser Situation hilft die so genannte Selbstmontage (self-assembly): Moleküle oder Molekülgruppen fügen sich spontan und ohne Zutun von außen zu regelmäßigen Mustern und sogar relativ komplexen Systemen zusammen (Bild Seite 45). Auf diesem Gebiet sind in der letzten Zeit Fortschritte erzielt worden.
Einmal ausgelöst, läuft die Selbstmontage von alleine bis zum Endzustand ab (vergleiche "Selbstorganisation als Konstruktionsprinzip" von George M. Whitesides, Spektrum der Wissenschaft Spezial 4/1995, Schlüsseltechnologien, S. 94). Im Rahmen unserer Forschung befestigen wir eine große Anzahl von Molekülen auf einer – in der Regel metallischen – Oberfläche. Am Ende stehen die länglichen Moleküle von der Fläche ab wie Fichten in einer perfekt angepflanzten Baumschule.
Es gibt verschiedene Varianten des Selbstmontageprozesses. Unser Projekt erfordert oftmals die Befestigung von Molekülen auf einer Goldoberfläche. Gewöhnlich fügen wir an das zu befestigende Molekül eine Atomgruppe mit hoher Affinität zu Goldatomen an (eine "klebrige Endgruppe"), und zwar eine so genannte Thiol-Gruppe, die ein Schwefelatom enthält.
Um die Selbstmontage in Gang zu setzen, brauchen wir nur eine vergoldete Fläche in einen Becher zu tauchen, in dem sich unsere beiderseits mit Thiol-Gruppen versehenen Bauelemente in Lösung befinden. Sie heften sich sodann spontan und in unglaublich großer Anzahl an die Goldfläche an.
So hilfreich das Prinzip der Selbstmontage ist, sie allein wird nicht zur Produktion praktikabler molekularer Computer genügen – zumindest nicht in absehbarer Zukunft. Herkömmliche Produktionsprozesse wie vor allem die Photolithographie werden hinzukommen müssen. Bei dieser bewährten Methode zur Herstellung von Halbleiterchips wird Licht – oder andere elektromagnetische Strahlen – durch eine Schablone auf eine Siliziumoberfläche projiziert und erzeugt dort eine Struktur aus metallischen und halbleitenden Komponenten. Wir erzeugen mit Hilfe der Photolithographie Schichten von metallischen elektrischen Verbindungen und Löcher in isolierenden Beschichtungen. Die Löcher dienen als elektrische Kontakte und als Anheftpunkte für selbstmontierende Moleküle. Das Endprodukt besteht daher aus Gebieten selbstmontierter Moleküle in einem Labyrinth metallischer Leiterbahnen.
Die erste erfolgreiche Demonstration der Selbstmontage für molekulare Elektronik, durch Paul S. Weiss und seine Mitarbeiter an der Universität des Staates Pennsylvania, liegt erst vier Jahre zurück. Einer von uns (Tour), damals an der Universität von South Carolina, hatte die Bauelemente synthetisiert. Weiss und seine Kollegen mischten eine kleine Menge elektrisch leitender Moleküle mit einer größeren Menge isolierender Moleküle – beide in Lösung – und erzeugten damit eine Schicht aus Isolatormolekülen mit spärlich eingestreuten leitenden Molekülen. Indem sie die Spitze eines RTMs direkt über ein leitendes Molekül setzten, konnten sie dessen Leitfähigkeit immerhin qualitativ messen. Erwartungsgemäß war sie wesentlich höher als die der umliegenden Moleküle. Ähnliche Ergebnisse erhielt man an der Purdue-Universität, wo man die Spitzen der leitenden Moleküle mit winzigen Goldpartikeln markierte.
Zur gleichen Zeit führte einer von uns (Reed) an der Yale-Universität die ersten quantitativen elektrischen Messungen an einem einzelnen selbstmontierten Molekül aus. Reeds Gruppe maß, welche Stromstärken ein einzelnes Molekül tragen kann. Das Kernstück des Experiments war ein modifiziertes RTM mit zwei Spitzen, die einander so präzise ausgerichtet gegenüberstanden, dass genau ein Molekül dazwischen passte (Bild oben). Es handelte sich um einen einfachen Benzolring mit klebrigen Thiolgruppen an beiden Enden, die sich an die Spitzen des RTMs hefteten. Es stellte sich heraus, dass der elektrische Widerstand des Moleküls in der Größenordnung zehn Megohm (107 Ohm) liegt.
Unter einer Spannung von 5 Volt fließt durch das Molekül ein Strom von ungefähr 0,2 Mikroampere; das sind etwa 1012 (eine Billion) Elektronen pro Sekunde. Diese Zahl wird noch beeindruckender, wenn man bedenkt, dass die Elektronen das Molekül nur im Gänsemarsch (eines nach dem anderen) durchqueren können. Die Stromstärke war viel größer, als einfache Berechnungen der Energiedissipation im Molekül zunächst vermuten ließen. Offensichtlich wandern die Elektronen durch das Molekül, ohne durch Kollisionen oder andere Wechselwirkungen nennenswerte Wärme zu erzeugen.
Diesen anfänglichen Beobachtungen von leitenden Molekülen folgten alsbald Vorführungen einfacher Bauelemente. 1997, nur ein Jahr nach den ersten Stromstärkemessungen in Molekülen, bauten zwei unabhängige Forschungsteams Dioden. Dieses einfachste aller aktiven Bauelemente kann man sich als Einbahnstraße für Elektronen vorstellen. An der Universität von Alabama synthetisierte Robert M. Metzger mit seiner Arbeitsgruppe ein Molekül, bei dem sich die Anordnung der Energieniveaus mit der Polarität der angelegten Spannung ändert. Liegt Spannung in einer Richtung an, so verhalten sich die Energien wie die Sprossen einer an die Wand gelehnten Leiter, und es bedarf großer Anstrengung, sie hinaufzuklettern. Kehrt man die Polarität jedoch um, so liegt die Leiter gewissermaßen flach auf dem Boden und bildet kaum ein Hindernis.
Chong-Wu Zhou und seine Mitarbeiter an der Yale-Universität verfolgten eine etwas andere Strategie. Bei ihrer Molekulardiode manifestierten sich die Unterschiede in der Anordnung der Energieniveaus außerhalb des Moleküls, an den Kontaktpunkten zum Metall. Diese Idee hat sich ebenfalls bewährt und ebnete den Weg für brauchbarere und interessantere molekulare Bauelemente und Schaltkreise.
Zhou und seine Kollegen griffen eine zuerst von Kristin Ralls und Robert A. Buhrman an der Cornell-Universität hergestellte Struktur auf und modifizierten sie. Das Element enthält eine "Nanopore", ein extrem kleines Loch von nur 30 Nanometern Durchmesser; darin stecken ungefähr 1000 selbstmontierte molekulare Bauelemente in einer einlagigen Schicht (monolayer). Auf die oberen Enden dieser Moleküle wird ein Metallkontakt aufgedampft.
Nach diesen Vorübungen mit Dioden wagte sich die Yale-Gruppe bald an ein schwierigeres Bauelement: den Schalter. Ansteuerbare Schalter sind eine Grundvoraussetzung für jeden Universalcomputer; noch wünschenswerter und zur Herstellung komplexer Logikschaltkreise unentbehrlich sind jedoch Schalter, die den Strom nicht nur an- und ausschalten, sondern auch verstärken. Der klassische Siliziumtransistor kann beides zugleich, was zu seinem durchschlagenden Erfolg im 20. Jahrhundert beigetragen hat.
Ein molekulares Gegenstück hierzu gibt es derzeit noch nicht. Forscher haben jedoch erste Schritte in diese Richtung unternommen; ein solcher Schritt ist der oben vorgestellte molekulare Torsionsschalter. Jia Chen, ein Doktorand in Reeds Gruppe an der Yale-Universität, konnte eindrucksvolle elektrische Eigenschaften vermessen. So beträgt zum Beispiel das Verhältnis der Stromstärken von Ein- und Aus-Zustand mehr als 1000, während das entsprechende Halbleiterbauelement, die Tunneldiode, nur auf einen Wert von 100 kommt.
Die Gruppe von Hewlett-Packard und der Universität von Kalifornien kam zu ähnlichen Ergebnissen. Die Rotaxan-Moleküle sind hantelförmig; wenn man eine hohe Spannung an eine Schicht aus solchen Molekülen anlegt, ändern sich ihre Konfiguration und die Anordnung ihrer Orbitale, sodass kein Strom mehr durch sie fließen kann. Mit einer Serie solcher Kontakte realisierte man ein einfaches Logikgatter.
Am zuversichtlichsten stimmt, dass sich molekulare Bauelemente bereits als Speicherzellen bewährt haben. Neben aktiven, transistorähnlichen Bauelementen ist ein Speicher der andere wesentliche Bestandteil eines jeden Universalcomputers. Denken Sie zurück an unseren Torsionsschalter. Von seinem elektrisch aktiven Abschnitt, dem mittleren Benzolring mit der NO2- und der NH2-Gruppe, ließen wir nur die "elektronengierige" Nitro-(NO2-)Gruppe übrig. In diesem Molekül hängt die Gestalt der Orbitale – ausgedehnt oder räumlich eng begrenzt – vom Ladungszustand der NO2-Gruppe ab, was sich wiederum auf den Fluss von Elektronen durch das Molekül auswirkt. Aufladen der Nitrogruppe unterbricht den Stromfluss – das binäre Äquivalent einer Null; im ungeladenen Zustand hingegen passiert der Strom so gut wie ungehindert, was einer binären Eins entspricht. Erstaunlicherweise bleiben diese Zustände bis zu zehn Minuten lang bestehen, im Gegensatz zu gewöhnlichen dynamischen RAMs, die alle paar Millisekunden durch einen externen Schaltkreis "aufgefrischt" werden müssen, damit sie die in ihnen gespeicherten Bits nicht "vergessen". Zugleich demonstriert die Konstruktion des Speicherelementes durch einfache Modifikation des Torsionsschalters, wie leicht und vielfältig molekulare Bauelemente umkonstruiert werden können.
Wenn die Vorteile der molekularen Elektronik so umwerfend sind: Warum geben wir nicht einfach die Forschung in der Halbleitertechnik auf und stürzen uns vollen Herzens auf das neue Feld? Weil leider auf dem Weg zum voll funktionsfähigen Molekularcomputer immer noch mehrere große Hindernisse liegen, darunter auch einige grundsätzliche.
Dabei ist wohl die größte Herausforderung das molekulare Gegenstück zum Transistor. Ein Transistor hat drei Anschlüsse, von denen einer den Stromfluss zwischen den anderen beiden steuert. Unser Torsionsschalter hat nur zwei Anschlüsse – die Enden des Moleküls; der Stromfluss zwischen ihnen wird durch ein elektrisches Feld gesteuert. Das gilt zwar auch für einen Feldeffekttransistor, die Sorte Transistor, die in integrierten Schaltkreisen Einsatz findet; aber das elektrische Feld wird durch Anlegen von Spannung an die dritte Elektrode erzeugt.
Gesucht wird also sozusagen ein Molekül mit drei Enden, sodass man auf der Stufe der elementaren Bauteile molekulare und konventionelle Elektronik nicht mischen müsste. Aus solchen Bausteinen wären Schaltkreise ungeahnter Leistungsfähigkeit und Komplexität zusammenzubauen.
Vorerst wird man sich mit Kombinationen aus molekularer und konventioneller Elektronik behelfen, wo immer die Vorteile der Selbstmontage dies nahe legen. Die Übergänge zwischen beiden Arten der Elektronik sind allerdings ein Problem für sich. Heutige Computerchips haben bereits zwei Größenskalen. Die makroskopischen Abmessungen des Chips, den wir sehen und in der Hand halten können, sind etwa tausendmal so breit wie die breitesten Verbindungsleitungen, die feiner als ein menschliches Haar sind. Die kleinsten internen Strukturen einzelner Transistoren sind um noch einen Faktor 1000 kleiner. Für die molekularen Bauteile käme ein dritter Faktor 1000 an Verkleinerung hinzu.
Ein weiteres Problem ist die Wärmeerzeugung eines molekularen Chips, vor allem dann, wenn den Ingenieuren nichts anderes einfällt, als die molekularen Transistoren auf gleiche oder ähnliche Weise zu verschalten wie heute die konventionellen. Ein moderner Mikroprozessor mit zehn Millionen Transistoren und einer Taktfrequenz von 500 Megahertz strahlt etwa 100 Watt an Wärmeenergie ab – deutlich mehr pro Quadratzentimeter als ein modernes Glaskeramik-Kochfeld. Wesentlich weniger darf es nicht sein; denn wenn man die Schaltungen so auslegt, dass ein sehr geringer Energieaufwand für einen Schaltvorgang ausreicht, dann könnte diese Energiemenge auch durch thermische Fluktuationen zu Stande kommen, wodurch Fehlschaltungen ausgelöst würden.
Es gibt also eine gewisse Mindestenergie pro Schaltvorgang, die nicht unterschritten werden sollte. Für einen molekularen Schalter bei Raumtemperatur und heute üblichen Schaltzeiten ergibt sich eine Leistungsaufnahme von ungefähr 50 Picowatt (50¥10–12 Watt) pro Molekül und daraus, dass man auf eine Flächeneinheit ungefähr 100000-mal so viele molekulare Transistoren packen kann wie herkömmliche. Auf den ersten Blick scheint dies sehr viel zu sein, aber wenn wir uns um die Wärmeentwicklung keine Sorgen machen müssten, wären noch weit höhere Packungsdichten zu erreichen.
Für diese Berechnungen sind wir davon ausgegangen, dass jedes Bauteil (insbesondere jeder Speicherplatz) adressierbar ist, das heißt, jedes Bauteil hat eine Nummer und ist über diese "Adresse" unabhängig von seinen Nachbarn individuell ansprechbar. Leider wissen wir heute noch nicht, wie die zugehörige detaillierte Verschaltung auf molekularer Ebene herzustellen ist. Die heutigen photolithographischen Techniken sind viel zu grob; es wäre aussichtslos, sie einfach weiterzuentwickeln.
Ist die Adressierbarkeit eines jeden Elements auf molekularer Ebene aber wirklich notwendig oder auch nur sinnvoll? Wie werden umfangreiche Schaltkreise in dieser Technologie einmal aussehen? Sind Kohlenstoff-Nanoröhren mit Längen von unter einem Mikrometer und Durchmessern von ein bis zwei Nanometern die Leiterbahnen zukünftiger molekularer Schaltkreise?
Innerhalb der nächsten Jahrzehnte werden wir unsere Vorstellung von der Funktionsweise eines Computers radikal revidieren müssen, wenn wir das Fortschrittstempo des Mooreschen Gesetzes beibehalten wollen. Die Möglichkeiten und Grenzen der neuen Technologie zwingen uns dazu. Was dabei am Ende herauskommen wird, können wir uns noch kaum vorstellen.
Der Weg wird zweifellos dornenreich sein; aber es winkt reicher Lohn. Neue, ungeahnte Möglichkeiten werden sich auftun, wir werden wunderbare Dinge erleben – vielleicht sogar das Erwachen einer neuen Intelligenz.
Literaturhinweise
Molecular Electronics: Science and Technology. Von A. Aviram und M. Ratner (Hg.) in: Annals of the New York Academy of Sciences, Bd. 852, 1998.
A Deficit-Tolerant Computer Architecture: Opportunities for Nanotechnology. Von J. R. Heath, P. J. Kuekes, G. S. Snider und R. S. Williams in: Science, Bd. 280, S. 1716–1721, 12. Juni 1998.
Conductance of a Molecular Junction. Von M. A. Reed, C. Zhou, C. J. Muller, T. P. Burgin und J. M. Tour in: Science, Bd. 278, S. 252–254, 10. Oktober 1997.
Steckbrief
Das Problem
Der unersättliche Drang nach immer leistungsfähigeren Computern und damit immer kleineren Bauelementen wird die Konstrukteure zwingen, zu neuen Formen der Elektronik überzugehen.
Eine Lösung
Dabei werden speziell entwickelte Moleküle die Rolle der Transistoren heutiger Schaltkreise übernehmen. Diese Transformation wird sich nach Meinung mancher Forscher innerhalb der nächsten zehn Jahre vollziehen.
Schon erreicht
Zur Mindestausstattung eines Computers gehören Schaltelemente (wie Transistoren), Speicher und elektrische Verbindungen zur Verschaltung einer beliebig großen Anzahl von Bauelementen. Wissenschaftler können bereits Schalter und Speicherelemente herstellen, die aus jeweils einem einzigen Molekül bestehen. Allerdings müssen sie bislang auf konventionelle elektronische Weise angesteuert werden.
Noch zu erledigen
Was fehlt, ist der Transistor mit dem "dritten Draht": ein Molekül, das durch den direkten Einfluss eines anderen Moleküls schaltbar ist. Weitaus schwieriger ist aber noch, eine riesige Anzahl dieser Bauelemente untereinander zu verdrahten, sodass von jedem zu jedem eine Verbindung geschaltet werden kann. Eine Lösung ist noch nicht in Sicht; stattdessen denkt man intensiv darüber nach, wie man durch völlig neue Architekturen die Universalverdrahtung entbehrlich machen kann.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2000, Seite 38
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben