Direkt zum Inhalt

Molekularbiologie: Der Transistor der Zelle

Auch bei der Datenverarbeitung im Nervensystem spielt ein Schaltelement eine wichtige Rolle, das spannungabhängig Ströme steuert: der Kaliumkanal. Eine Röntgenstrukturanalyse zeigt jetzt, wie dieser biologische Transistor funktioniert.


Wohl jeder kennt das winzige Bauelement, das die Stromstärke in Abhängigkeit von einer Steuerspannung regulieren kann und zentraler Bestandteil aller heutigen Computer ist. Vor gut fünfzig Jahren an den Bell-Laboratorien erfunden, hat der Transistor eine schier unglaubliche Karriere gemacht.

Kaum jemand aber weiß, dass es in der Natur ein sogar noch kleineres Gegenstück gibt, das ein ähnliches Erfolgsmodell darstellt. Es existiert schon seit 2,5 Milliarden Jahren und hat sich in dieser Zeit kaum verändert. Gemeint ist der spannungsgesteuerte Kaliumkanal: ein Membranprotein, das bei fast allen Lebewesen vorkommt. Ohne es könnten Nerven und Gehirn nicht funktionieren. Genau wie der technische Transistor lässt dieser biologische Schalter je nach angelegter Spannung einen Strom geladener Teilchen (in diesem Falle Kalium-Ionen) passieren oder nicht.

Um die Existenz solcher Membranproteine wissen die Biologen schon seit langem. Doch erst jetzt ließ sich klären, wie sie im Einzelnen funktionieren. Bisher gab es dazu nur Vermutungen. So leiteten Theoretiker aus der bekannten Aminosäuresequenz des Kaliumkanals ab, welche Bereiche der Proteinkette wahrscheinlich auf der Außenseite der tunnelartigen Schleuse liegen, also mit der Membran Kontakt haben, und welche Abschnitte die Pore nach innen zum wässrigen Milieu hin auskleiden. Außerdem ließ sich denken, dass die auffallend stark geladenen Teile des Proteins in irgendeiner Weise an der Aufgabe beteiligt sein müssten, die an der Membran anliegende Spannung zu messen.

Diese Mutmaßungen sollten sich bestätigen. Dennoch: Als im Mai die Kristallstruktur des Proteins auf der Titelseite der Zeitschrift "Nature" erschien, sah sie völlig anders aus als von den meisten Forschern erwartet.

Warum dauerte es so lange, die genaue Gestalt dieses wichtigen biologischen Schalters zu ermitteln? Für die Röntgenkristallografie benötigt man einen perfekten Kristall, in dem alle Moleküle in identischer Form vorliegen und parallel zueinander angeordnet sind. Membranproteine erweisen sich in dieser Hinsicht als notorisch widerspenstig. Gewohnt, sich einzeln in eine Lipidschicht einzubetten, zeigen sie wenig Lust, sich mit ihresgleichen zu einem Kristall zusammenzulagern. Wenn dann noch elektrisch geladene, bewegliche Komponenten vorhanden sind, fällt die Anordnung in Reih und Glied umso schwerer.

Bändigung eines Zappelphilipps

An diesem Problem sind schon viele Versuche zur Strukturbestimmung des Kaliumkanals gescheitert. Deshalb gaben sich Roderick MacKinnon und seine Kollegen an der Rockefeller-Universität in New York besondere Mühe, das zappelige Membranprotein zu bändigen. So wählten sie für ihre Untersuchungen das Exemplar eines extreme Hitze liebenden (hyperthermophilen) Einzellers aus dem Reich der urtümlichen Archaea. Da die Proteine solcher Organismen die für ihre Funktion notwendige Beweglichkeit erst bei hohen Temperaturen erlangen müssen, sind sie im Bereich um 20 Grad Celsius sehr viel starrer als die entwicklungsgeschichtlich verwandten Moleküle normaler Organismen.

Dieser Kunstgriff allein reichte allerdings nicht. Der Kaliumkanal des hyperthermophilen Aeropyrum pernix war zwar starr genug, um Kristalle zu bilden. Doch darin herrschte immer noch nicht die nötige Ruhe und Ordnung für eine Röntgenstrukturanalyse. Deshalb verpassten die Forscher dem Ionenkanal zusätzlich "Handschellen". Dazu erzeugten sie einen monoklonalen Antikörper, der sich spezifisch an die geladene Region heftete, in der die größte Beweglichkeit vermutet wurde. Von ihm schnitten sie den unspezifischen "Stiel" ab und setzten den verbleibenden Teil, ein so genanntes Fab-Fragment, ihren Kristallisationsexperimenten zu. Tatsächlich gaben die damit gefesselten Zappler endlich Ruhe, sodass sich aus den Röntgenbeugungsdaten die hoch aufgelöste Struktur des Ionenkanals ableiten ließ (Nature, Bd. 423, S. 33).

Mit seiner vierzähligen Symmetrie, die an ein Glück verheißendes Kleeblatt erinnert, wirkt der Komplex auch ästhetisch ansprechend. Dass er zusätzlich die vier gebundenen Fab-Fragmente enthält, ist kein Schaden – im Gegenteil: Durch ihre Anordnung an den Rändern des Kleeblatts machen die Antikörper direkt die überraschende Besonderheit der Struktur deutlich.

Manche Forscher hatten sich ausgemalt, dass die beweglichen Ladungsträger eine Art Zapfen bilden, der sich in der die Membran durchdringenden Röhre um einige Nanometer verschieben kann. Tatsächlich sind die Spannungsfühler jedoch nicht im Inneren des Komplexes angeordnet, sondern stehen wie Windmühlenflügel weit vom Zentrum ab. Ihre Verbindung mit dem Hauptteil des Proteins ist zudem scharnierartig dünn und flexibel. Das legt den Schluss nahe, dass sie je nach Spannungslage zwischen der Innen- und der Außenseite der Zellmembran hin und her klappen und die Pore dadurch öffnen oder schließen können.

Die jetzt veröffentlichte Kristallstruktur zeigt den Kanal im geschlossenen Zustand. Dabei befinden sich die Spannungsfühler auf der Innenseite der Zellmembran. Sobald sich die Außenseite negativ auflädt, sollte die elektrostatische Anziehung die positiv geladenen Flügel zu ihr hin schwenken lassen, wodurch sich der Kaliumkanal öffnet.

Zwar liegt noch keine Röntgenstruktur des offenen Zustands vor, doch konnten MacKinnon und seine Mitarbeiter in einer zweiten Veröffentlichung in derselben Ausgabe von "Nature" (S. 42) die Umklappbewegung mit molekularbiologischen Methoden auch direkt nachweisen. Dazu führten sie mit gentechnischen Verfahren an verschiedenen Punkten des Flügels jeweils einen Cysteinrest ein, der die Ankopplung des Markierungsmoleküls Biotin ermöglichte. Über die starke Bindung zwischen diesem Marker und dem Molekül Avidin ermittelten sie, auf welcher Seite der Membran sich die markierte Stelle befand. Bei einigen der getesteten Cysteinpositionen konnten sie auf diesem Wege tatsächlich den Umschaltvorgang des zellulären Transistors beobachten – also das Schwenken des Flügels von der Innen- zur Außenseite der Membran. Damit hat ein jahrzehntealtes Rätsel endlich seine Lösung gefunden.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2003, Seite 14
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.