Die erste Klonierung eines erwachsenen Säugetiers
Schottische Wissenschaftler haben von einem sechs Jahre alten Schaf einen genetisch identischen Nachkommen erzeugt. Damit vermochten sie dem spezialisierten Genom einer gewöhnlichen Säugerzelle wieder die Entwicklungsfähigkeit von Embryonalzellen zu verleihen ein Durchbruch in der Reproduktionsbiologie, den viele Experten für nicht so schnell erreichbar, wenn nicht gar für unmöglich gehalten hatten.
Nur äußerst selten ist ein wissenschaftlicher Erfolg Anlaß für Schlagzeilen auf der ersten Seite von Tageszeitungen und Titelgeschichten in Nachrichtenmagazinen. Doch als am 22. Februar durchsickerte, daß es schottischen Wissenschaftlern gelungen war, eine genetische Kopie eines erwachsenen Schafes zu erzeugen, verbreiteten alle Medien die Neuigkeit samt Bildern des Dolly genannten Lamms in ausführlichen Berichten und beschworen fast ausnahmslos die in greifbare Nähe gerückte Möglichkeit, nun auch Menschen zu klonen – eine der Horrorvisionen von amoralischer moderner Wissenschaft, die nichts Machbares unterläßt.
Vom Frosch zum Schaf
So überraschend der Durchbruch kam – was Ian Wilmut vom Roslin-Institut in Roslin bei Edinburgh und seine Mitarbeiter am 27. Februar im britischen Fachjournal "Nature" auf Seite 810 meldeten, ist doch nur der vorläufige Höhepunkt einer jahrzehntelangen wissenschaftlichen Entwicklung in der Genetik und Reproduktionsbiologie. Die Grundidee hatte schon 1938 der deutsche Zoologe Hans Spemann (1869 bis 1941, Medizin-Nobelpreis 1935) geäußert: den Kern einer Ei- durch den einer Körperzelle (Somazelle) zu ersetzen. Doch erst Anfang der fünfziger Jahre konnten Robert W. Briggs und Thomas J. King am Institut für Krebsforschung in Philadelphia dank verfeinerter Pipettierungstechniken am Leopard-Frosch (Rana pipiens) entsprechende Versuche vornehmen. Dabei gelang es zwar, die Eizellen mit dem ausgetauschten Kern zur Entwicklung anzuregen, jedoch nicht, sie bis zu erwachsenen Tieren heranreifen zu lassen.
Das schaffte erst John B. Gurdon im Jahre 1963, damals an der Universität Oxford, beim Krallenfrosch (Xenopus laevis) – allerdings nur, wenn die Spenderkerne von sehr frühen Embryonalzellen stammten; waren sie dagegen Kaulquappen entnommen, erreichten auch die geklonten Tiere nur das Kaulquappenstadium (Scientific American, Dezember 1968, Seite 24, und Spektrum der Wissenschaft, Februar 1980, Seite 60).
Entscheidend für den erfolgreichen Übergang von Amphibien zu Säugetieren waren Fortschritte in der Reproduktionsmedizin – Stichwort: Reagenzglasbefruchtung – mit der Geburt des ersten Retortenbabies 1978 als Höhepunkt. Sie schufen die Voraussetzung dafür, geklonte Embryonen von Ersatzmuttertieren austragen zu lassen. Im Jahre 1981 kamen in den USA erstmals künstliche Zwillingskälber zur Welt, nachdem ein Embryo in einem sehr frühen Stadium zerteilt worden war. Dasselbe Verfahren wandten Robert Stillman und Jerry Hall an der George-Washington-Universität in der amerikanischen Bundeshauptstadt 1993 auf den Menschen an und entfachten damit einen Sturm öffentlicher Entrüstung; ihre durch Teilung erzeugten künstlichen Zwillingsembryonen wurden nicht ausgetragen.
Schon 1986 hatte es Sten M. Willadsen am Institut für Tierphysiologie in Cambridge (einem Vorläufer des 1993 gegründeten Roslin-Instituts) geschafft, durch Austausch von embryonalen Zellkernen Schafe zu klonen. Vor einem Jahr schließlich vermochten Wissenschaftler um Wilmut geklonte Schafe zu erzeugen, indem sie Embryonalzellen nicht direkt verwendeten, sondern sie zuvor in Kultur vielfach vermehrten. Dieser Umweg bringt aus Sicht der Genetiker zwei große Vorteile: Zum einen hat man genügend Ausgangsmaterial, um sehr viele Kopien eines Embryos zu produzieren, und zum anderen können die Zellen gentechnisch verändert werden, bevor Tiere daraus heranwachsen.
Umprogrammierung des Genoms
Bis zu diesem Zeitpunkt war allen erfolgreichen Klonierungen von Säugern gemeinsam, daß die Spenderkerne aus frühen Embryonen stammten. Dies hat einen einfachen Grund: Zwar verfügen sämtliche Zellen eines erwachsenen Organismus (mit wenigen Ausnahmen wie bestimmten Blutzellen) noch über die komplette Erbinformation; doch die meisten Gene sind abgeschaltet – nur jener kleine Teil wird benutzt, der für die Spezialaufgabe des jeweiligen Gewebes im Körper nötig ist. Solchen ausdifferenzierten Zellen wieder die Totipotenz ihrer embryonalen Vorläufer zu verleihen schien sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich.
Genau dies aber ist den schottischen Wissenschaftlern nur wenig später offenbar geglückt – schneller und leichter, als von den meisten ihrer Kollegen erwartet. Dabei legten die Versuche vor einem Jahr die Basis des jetzigen Erfolgs. Damals stellte sich heraus, daß die Embryonalzellen beim Kultivieren Änderungen zeigten, die auf eine Differenzierung hinwiesen: Sie flachten sich ab und begannen Stoffe zu produzieren, wie sie für Epithelzellen charakteristisch sind, die beispielsweise die Innenwand von Blutgefäßen auskleiden. Dennoch konnten aus ihnen nach Fusion mit entkernten Eizellen neue Tiere hervorgehen. Demnach vermag das Plasma der entkernten Eizelle das implantierte Genom offenbar so umzuprogrammieren, daß es wieder totipotent wird.
Dazu müssen allerdings die Entwicklungstadien von Spender- und Empfängerzelle genau aufeinander abgestimmt sein. Wilmut und seine Mitarbeiter verwendeten als Empfänger frisch ovulierte Eizellen, die sie aus dem Eileiter eines weiblichen Schafes ausspülten. Diese Oocyten befinden sich kurz vor der zweiten Reifeteilung (in der Metaphase II) und haben deshalb noch einen doppelten Chromosomensatz, sind also diploid. Darin gleichen sie befruchteten Eizellen (Zygoten), die man anfangs meist für Klonierungsversuche herangezogen hat, sowie normalen Körperzellen.
Frühere Untersuchungen hatten bereits gezeigt, daß die Erfolgsaussichten einer Klonierung am besten sind, wenn auch der Spenderkern einen doppelten Chromosomensatz enthält. Dies ist keineswegs selbstverständlich, weil sich die Zellen in Kultur fortwährend vermehren und dabei den üblichen Teilungszyklus durchlaufen, in dem sie größtenteisl einen vierfachen Chromosomensatz aufweisen; nur während der sogenannten G1-Phase sind sie diploid (Bild 1). Sie genau in dieser Phase zu erwischen ist jedoch schwierig.
Der entscheidende Trick der schottischen Wissenschaftler bestand nun darin, die Kulturzellen dazu zu bringen, aus dem Zyklus auszuscheren, die Teilung einzustellen und in ein als G0 bezeichnetes Ruhestadium überzugehen, in dem sie gleichfalls diploid sind. Die Forscher erreichten dies, indem sie den Nährstoffgehalt des Kulturmediums drastisch reduzierten. Als unerwarteter zusätzlicher Vorteil erwies sich, daß das Genom der ruhenden Zellen offenbar der erforderlichen Reprogrammierung leichter zugänglich ist.
Wilmut und seine Mitarbeiter saugten aus den Metaphase-II-Oocyten mit einer Pipette die Chromosomen ab, die sich in diesem Stadium schön ordentlich zur Metaphase-Platte aufgereiht haben (Bild 1). Die so entkernten Oocyten verschmolzen sie durch einen elektrischen Puls mit den Spender-G0-Zellen. Dieser Stromstoß diente zugleich dazu, die bei der Fusion entstehende Zellhybride zu aktivieren, so daß sie sich anschließend teilte. Zunächst wurde sie sechs Tage lang in einem abgebundenen Eileiter kultiviert, wo sie zu einem Embryo im Maulbeer- oder Bläschenkeim-Stadium heranreifte, und dann weiblichen Ammentieren eingepflanzt. Kernspender und Leihmütter gehörten dabei unterschiedlichen Rassen an, so daß das schließlich geborene Lamm schon rein äußerlich erkennen ließ, daß es nicht mit dem Tier verwandt ist, das es ausgetragen hatte. Die genetische Identität mit dem Ausgangsschaf wurde durch Analysen der Erbsubstanz DNA zweifelsfrei nachgewiesen. (Genaugenommen ist nur das Genom im Zellkern identisch; die rund 1 Prozent Erbsubstanz in den Mitochondrien im Cytoplasma stammen dagegen teilweise von der Oocyte.)
Mit diesem Verfahren schufen die schottischen Wissenschaftler vor einem Jahr zunächst zwei Schafsklone aus kultivierten Embryonalzellen. Angesichts der Umstände des gelungenen Experiments lag es jedoch nahe zu vermuten, daß vielleicht auch Zellen eines ausgewachsenen Tieres als Genomspender geeignet wären. Wilmut und seine Mitarbeiter wählten dazu Milchdrüsenzellen aus dem Euter eines trächtigen Schafes im letzten Schwangerschaftsdrittel. Tatsächlich hatte der Versuch Erfolg, und mit der Geburt von Dolly im Juli letzten Jahres kam erstmals die exakte genetische Kopie eines erwachsenen Säugetiers zur Welt (Bild 2).
Sind auch andere Säuger klonierbar?
Daß ausgerechnet bei einem Schaf gelang, was bei den viel besser erforschten Mäusen bisher stets gescheitert ist, hatte vermutlich einen weiteren Grund. Bei dem Nagetier werden schon kurz vor der zweiten Teilung der befruchteten Eizelle Gene abgelesen, beim Schaf dagegen erst nach der dritten oder vierten Mitose. Dadurch bleibt mehr Zeit zum Reprogrammieren des Genoms, bevor die darin gespeicherte Information zum ersten Mal benötigt wird.
Deshalb ist es auch verfrüht, aus dem geglückten Klonen von Schafen zu schließen, daß nun bei den Säugern allgemein die genetische Verdopplung erwachsener Tiere möglich sei. Daran ändert auch nichts, daß eine Forschungsgruppe um Don Wolf am Primatenforschungszentrum in Beaverton (Oregon) Anfang März meldete, zwei Rhesusaffen aus Embryonalzellen geklont zu haben, die letzten August geboren wurden; dies entspricht lediglich dem, was bei Schafen schon 1986 erreicht worden war. Dennoch herrscht unter Experten die einhellige Meinung, daß es technisch in absehbarer Zeit möglich sein werde, auch andere Säugetiere – einschließlich des Menschen – identisch zu reproduzieren.
Insofern ist die jetzt aufgebrochene heftige Diskussion um die ethischen Probleme berechtigt, ebenso die Forderung nach gesetzlichen Regelungen. Während in Deutschland das Embryonenschutzgesetz bereits ein klares Verbot der Klonierung von Menschen enthält, sind solche Versuche in Ländern wie den USA und Kanada nicht ausdrücklich untersagt.
Nutzen und Gefahren
So rigide moralische Bedenken wie beim Menschen werden Wissenschaftler und wohl auch Gesetzgeber bei Tieren nicht gelten lassen. Allerdings ist durchaus fraglich, ob das Klonen von Säugern wirklich ökonomische Bedeutung erlangen wird. Zweifellos scheint es vom züchterischen Standpunkt auf den ersten Blick erstrebenswert, ein Tier mit besonders günstigen Eigenschaften beliebig vervielfältigen zu können. Doch darf man die Probleme nicht übersehen.
Zunächst einmal ist die Erfolgsrate des Klonens bisher noch viel zu gering und der Aufwand zu groß, als daß es in der Tierzucht wirtschaftlich einsetzbar wäre. Außerdem aber erkauft man den kurzfristigen Vorteil mit einem bedenklichen Verlust an genetischer Vielfalt, die den Bestand einer Nutztierpopulation auf Dauer gefährden kann. So riskiert man mit einer genetisch identischen Herde, daß sie durch einen einzigen Krankheitserreger komplett ausgelöscht wird.
Die praktische Bedeutung der Arbeiten von Wilmuts Gruppe, die von der Firma PPL Therapeutics in Roslin personell und finanziell unterstützt werden, dürfte denn auch primär anderswo liegen: in den Bestrebungen, aus transgenen Tieren medizinisch wertvolle Substanzen – beispielsweise als Bestandteile der Milch – zu gewinnen. Hier hat die Ausstattung von Embryonen mit dem Erbgut gentechnisch veränderter kultivierter Zellen klare Vorteile: Diese können vor der Fusion mit der Oocyte danach ausgelesen werden, ob das gewünschte Gen erfolgreich übertragen wurde. Bei einem anderen Verfahren – letzten Monat in dieser Zeitschrift beschrieben (März 1997, Seite 70) – erweisen sich Erfolg oder Mißerfolg dagegen erst, wenn das transgene Tier herangewachsen ist und erstmals Nachwuchs bekommen hat. Und von den besten gentechnisch veränderten Exemplaren ließen sich wiederum Duplikate erzeugen, die auch der Forderung der Zulassungsbehörden nach exakt identischen Herstellungsbedingungen eines Wirkstoffs genügen.
Die bedeutendsten Auswirkungen dürfte die erfolgreiche Klonierung aber wohl auf die Grundlagenforschung haben; denn sie eröffnet interessante neue Möglichkeiten zu klären, welche Faktoren die Zelldifferenzierung während der Embryonalentwicklung steuern und wie diese Differenzierung unter welchen Umständen wieder aufgehoben werden kann. Dies ist unter anderem wichtig für die Krebsforschung, weil Tumorgewebe sich gerade dadurch auszeichnet, daß es von seinem vorgegebenen genetischen Programm abweicht und teilweise Eigenschaften zurückerlangt, wie Embryonalzellen sie haben.
Eine davon ist unbeschränkte Teilbarkeit, während der Vervielfältigung normaler Zellen Grenzen gesetzt sind. Weil das Replikationsenzym die äußersten Enden der Chromosomen nicht zu kopieren vermag, befinden sich dort eintönige DNA-Abschnitte ohne Informationsgehalt, die sich bei jeder Teilung verkürzen. Diese Telomere sind jedoch nach einer begrenzten Zahl von Genom-Verdopplungen aufgebraucht; dann wird lebenswichtige Erbinformation angetastet, und die Zelle stirbt ab (Spektrum der Wissenschaft, April 1996, Seite 30).
Bei den Chromosomen von somatischen Zellen in einem ausgereiften Organismus sind die Telomere üblicherweise bereits deutlich verkürzt. Wird ein solches Genom in Embryonalzellen übertragen, sollte die Länge der Endstücke für die nötigen Teilungen bis zum geburtsreifen Fötus nicht mehr ausreichen. Die erfolgreiche Schafklonierung spricht jedoch dafür, daß unter dem Einfluß des Oocyten-Cytoplasmas offenbar nicht nur die Blockade von Genen aufgehoben, sondern auch die Ausgangslänge der Telomere wiederhergestellt wurde.
Schließlich versprechen Klonierungsexperimente weitere Aufschlüsse über das Phänomen der genomischen Prägung. Darunter versteht man die Tatsache, daß für manche Erbeigenschaften väterliche und mütterliche Gene unterschiedliches Gewicht haben, was gleichfalls auf der dauerhaften Inaktivierung bestimmter Gene beruht (Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1990, Seite 82). Die Bedeutung der Prägung zeigten unter anderem Versuche mit frisch befruchteten Eizellen, in denen sich väterliches und mütterliches Genom noch nicht in einem gemeinsamen Kern vereinigt hatten. Wurde der männliche Vorkern durch einen weiblichen ersetzt oder umgekehrt, starben die sich entwickelnden Embryonen noch vor der Geburt ab. Auch diese Prägung sollte beim Klonen mittels somatischer Zellen Probleme bereiten, und es wäre interessant zu wissen, wieso sie es bei Dolly nicht tat.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1997, Seite 18
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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