Editorial: Süße Pein
Manche Menschen treiben gerne Sport. Sie laufen Marathon, überqueren die Alpen auf dem Fahrrad oder verbringen mehrere Stunden pro Woche im Fitnesscenter. Ich gehöre nicht dazu. Das »Runner’s High« kenne ich nur aus Erzählungen – mir geht die Puste aus, lange bevor ein solches Hochgefühl einsetzen könnte. Und Muskelkater empfinde ich vor allem als unangenehm. Mein Vater ist da anders. Ihm bringt das Brennen in den Muskeln nach Anstrengung eine gewisse Genugtuung und Freude. Den Schmerz interpretiert er positiv: als ein sicheres Zeichen, dass er sich angestrengt und seinem Körper etwas Gutes getan hat.
In unserer Titelgeschichte von Frank Luerweg ab S. 12 geht es um diese Art von süßer Pein. Menschen erleben sie nicht nur durch sportliche Betätigung, sondern zum Beispiel auch beim Genuss scharfer Speisen. Das Brennen auf der Zunge wird durch einen hitzeempfindlichen Schmerzrezeptor vermittelt. Ein Gericht mit Chili kann so eine milde Wärme auslösen oder sich, bei entsprechender Schärfe, sogar wie heiße Kohlen im Mund anfühlen.
Dass wir so mancher Qual etwas Angenehmes abgewinnen können, verdanken wir der aufwändigen Verarbeitung von Schmerzreizen im Gehirn. Denn nicht nur die Intensität und Art solcher Signale bestimmt, wie wir sie wahrnehmen, sondern auch der Kontext, unsere Stimmung, Emotionen, Erfahrungen, Überzeugungen und mehr. Die Infografik auf S. 20 illustriert dieses komplexe Wechselspiel an Eindrücken.
Vielleicht gibt es daher selbst für mich als Sportmuffel noch offnung, das Ziehen in den Muskeln lieben zu lernen. Schließlich ist mir das mit Chilis bereits gelungen. Anfangs habe ich deren feurige Schärfe weitestgehend vermieden. Nachdem ich die mexikanische Küche für mich entdeckt habe, schmeckt mir auch die Salsa mit Habaneros immer besser. Ich freue mich schon darauf, wenn ich das nächste Mal meine Zunge auf diese Weise zum Glühen bringe!
Herzlich Ihre
Michaela Maya-Mrschtik
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