Es lebe der Tod!
Die Schimmel sind auf Hochglanz gestriegelt, ihre Trensen aus poliertem Eisen gleißen, Glasperlen im Zaumzeug blitzen in der Sonne. Schnaubend ziehen die Tiere prunkvolle Wagen, deren bronzene Zierbeschläge thrakischen Schilden gleichen. Aus kostbarer Bronze sind auch die Krüge, in denen goldener Wein schwappt.
Heute ist ein großer Feiertag, denn heute trägt man den Stammesfürsten zu Grabe. Lachend und tanzend begleitet ihn der Stamm auf einen Hügel. Dort oben, mit Blick auf endlos scheinende Weiden und Wälder, soll der Scheiterhaufen des Fürsten auflodern, wird er den Weg in eine bessere Welt antreten, samt den Gespannen, seinen Waffen, einem Schoßhund und – seiner Hauptfrau.
Fast zweitausend Jahre später, im Oktober 2002, steigt der griechische Archäologe Diamantis Triantaphyllos einen Hügel unweit von Orestiada hinauf, einer Stadt im "Dreiländereck", wo Griechenland an Bulgarien und die Türkei grenzt.
Antiker Marmor im Nirgendwo
Ein Bauer hatte ihm aufgeregt von antiken Marmorplatten am Rand eines Ackers berichtet. Triantaphyllos ist der Antikenverwalter dieser Region, solchen Hinweisen nachzugehen gehört zu seinem Geschäft. Und er hat gut zu tun, denn wo heute Europas toter Winkel liegt, war einstmals ein Ballungsraum der Kulturen. Zwischen dem Schwarzen Meer und der Ägäis traf der Osten auf den Westen, tauschten sich Orient und Abendland aus. Der Archäologe erwartet das Übliche: Reste einer Garnison der Perser, die um 512 v. Chr. einen Teil der Balkanhalbinsel eroberten; möglicherweise auch mal wieder ein Heldendenkmal der Makedonier, der Machtha-ber seit 342 v. Chr.; Fundamente einer römischen Villa oder einer byzantinischen Basilika wären ebenfalls denkbar.Als Triantaphyllos mit seinem Begleiter eintrifft, geht die Sonne gerade mit einem prächtigen Farbspektakel über den Wäldern des nahe liegenden Gebirges, der Rhodopen, unter. Dahinter liegt bereits Bulgarien. Er blickt nach Osten, wo sich die Minarette von Edirne in den Abendhimmel recken – auch die Türkei ist hier nur wenige Kilometer entfernt. Ungeduldig deutet der Bauer auf den Boden, weist auf die Marmorplatten.
Sie scheinen etwas abzudecken, doch was? Vorsichtig stochert der Antikenverwalter im Boden herum, bis er auf Widerstand stößt. Er wischt Erde beiseite – zum Vorschein kommen Knochen. Nun wird es interessant. Das ist offenbar doch nicht das Übliche. Bald liegt ein Pferdeschädel frei. Ein Grab für ein Tier? Dies könnte auf das legendäre Volk hinweisen, das der Provinz Thrakien im Nordosten Griechenlands den Namen gab. Jenes Volk, das hier mehr als dreitausend Jahre zu Hause war und doch kaum Spuren hinterließ ...
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