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Zusatzbeitrag: Extrem-Ultraviolett-Astronomie mit der ROSAT-Großfeldkamera

Im Jahre 1990 führte der Satellit ROSAT die erste vollständige Durchmusterung des Himmels im Röntgen- und extremen Ultraviolettbereich mit abbildenden Teleskopen durch. Gegenwärtig dient er der genauen Beobachtung ausgewählter Objekte.

ROSAT – eine Abkürzung für Röntgensatellit – ist ein gemeinsames Projekt deutscher, britischer und amerikanischer Wissenschaftler. Der außergewöhnlich erfolgreiche Satellit verfügt über zwei Teleskope: eines für den Röntgen- und eines für den extremen Ultraviolettbereich. Beide sind parallel zueinander ausgerichtet und beobachten in benachbarten, zum Teil sogar überlappenden Wellenlängenbereichen, aber mit unterschiedlicher Auflösung. Gemeinsam erfassen sie Strahlung zwischen 0,6 und 60 Nanometern Wellenlänge.


Die Mission

Den Vorschlag, ein Röntgenteleskop auf einem Satelliten einzusetzen, unterbreitete das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching bei München 1975 dem Bundesministerium für Forschung und Technologie. Aufgabe dieses Instruments sollte sein, den Himmel mit einem großen Wolter-Teleskop nach Röntgenquellen zu durchmustern; als Detektoren sollten am MPE entwickelte Vieldraht-Proportionalzähler (position sensitive proportional counter) eingesetzt werden.

Der Großprojekte-Ausschuß empfahl diese Mission, forderte jedoch eine substantielle internationale Beteiligung. Bei einer Ausschreibung innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Raumfahrtagentur ESA wurde der Vorschlag der Universität Leicester (Großbritannien) angenommen, den zu beobachtenden Spektralbereich durch ein zweites Wolter-Teleskop nach längeren Wellenlängen hin auszudehnen; diese Großfeldkamera (wide field camera) sollte im extremen Ultraviolett beobachten und ein größeres Gesichtsfeld – allerdings bei geringerer Auflösung – umfassen als das Röntgenteleskop. Die amerikanische Luft- und Raumfahrtbehörde NASA erklärte sich bereit, sich mit einem hochauflösenden Bilddetektor für das Röntgenteleskop – einem Vielkanal-Photomultiplier (high resolution imager) – und einem kostenlosen Start des Satelliten mit dem Space Shuttle zu beteiligen.

Infolge der Verzögerungen im amerikanischen Raumfahrtprogramm nach dem Unglück mit der Raumfähre Challenger wurde ROSAT schließlich am 1. Juni 1990 mit einer Delta-II-Rakete gestartet, die ihn in eine kreisförmige, 575 Kilometer hohe Erdumlaufbahn brachte. Die Neigung der Bahn von 53 Grad zum Äquator wurde so gewählt, daß mehrmals am Tag Funkkontakt mit der Bodenstation in Weilheim besteht. Für den Betrieb des Satelliten ist das German Space Operations Centre der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen zuständig.

Die ROSAT-Mission verfolgt zwei Aufgaben: eine vollständige Himmelsdurchmusterung im Röntgen- und extremen Ultraviolettbereich (0,6 bis 8 beziehungsweise 6 bis 20 Nanometer) sowie die detaillierte Beobachtung ausgewählter Quellen. Für die kartographische Erfassung tasteten die Teleskope nach und nach den gesamten Himmel ab. Diese Durchmusterung begann im Juli 1990 und verlief nahezu störungsfrei bis zum 25. Januar 1991. Zu diesem Zeitpunkt – 95 Prozent des Himmels waren bereits erfaßt und die Kartierung wäre nach zwei weiteren Wochen abgeschlossen gewesen – versagte das Lageregelungssystem, das den Satelliten ausrichten und stabilisieren muß. Nach mehreren Stunden konnten zwar die Taumelbewegungen von ROSAT gestoppt werden; inzwischen waren aber die Teleskope auf die Sonne gerichtet gewesen, wodurch die Großfeldkamera einiges an Empfindlichkeit einbüßte. Anfang Februar 1991 konnte das wissenschaftliche Programm mit den Einzelbeobachtungen fortgesetzt werden, bei denen der Satellit längere Zeit eine bestimmte Quelle anvisiert; der Rest der Durchmusterung wurde bis August 1991 nachgeholt. Trotz einiger Probleme mit den Navigationskreiseln geht der Meßbetrieb bis heute erfolgreich weiter. Mehr als 4000 Einzelbeobachtungen für Gastwissenschaftler aus aller Welt wurden bisher durchgeführt.


Die EUV-Großfeldkamera

Die Entwicklungsarbeiten für die Großfeldkamera hätten die Kapazitäten eines einzelnen Instituts überfordert. Deswegen schlossen sich Anfang 1981 Forschungsgruppen der Universitäten Leicester und Birmingham, vom Mullard Space Science Laboratory des University College in London und vom dortigen Imperial College of Science, Technology and Medicine sowie vom Rutherford Appleton Laboratory des britischen Science and Engineering Research Council zu einem Konsortium zusammen.

Die Konstruktion der Großfeldkamera lehnte sich an die ähnlichen Teleskope an, die Ende der siebziger Jahre von der Universität Leicester gemeinsam mit dem Massachusetts Institute of Technology im amerikanischen Cambridge für ein Höhenforschungsraketenprogramm gebaut worden waren. Das Teleskop wird aus drei ineinandergeschachtelten Spiegeln gebildet, welche die einfallende Strahlung streifend reflektieren und in einer gemeinsamen Bildebene fokussieren. Die aus Aluminium gefertigten Spiegel sind mit Gold bedampft, um das Reflexionsvermögen zu erhöhen.

In der Bildebene trifft die EUV-Strahlung auf eine sogenannte Mikrokanal-Platte (microchannel plate). Derartige Detektoren werden in unserem Institut seit mehr als 25 Jahren gebaut; die in der Großfeldkamera eingesetzten sind jedoch besonders gestaltet: Ihre Oberflächen sind gekrümmt, um das gesamte Gesichtsfeld von fünf Grad Durchmesser scharf abbilden zu können; eine Beschichtung der Frontfläche aus einem speziellen Photokathodenmaterial (Cäsiumjodid) erhöht die Empfindlichkeit.

Filter aus dünnen Kunststoff- und Metallfolien definieren vier Spektralbereiche mit Zentralwellenlängen bei etwa 10, 14, 20 und 60 Nanometern. Mittels motorgetriebener Steuerung lassen sie sich abwechselnd vor dem Detektor plazieren. (Bis heute hat die Mechanik ohne Probleme nahezu 100000 Filterwechsel vorgenommen.) Die Durchmusterung erfolgte in den beiden kurzwelligen Spektralbereichen; für Einzelbeobachtungen lassen sich alle vier Filter einsetzen.

Die ROSAT-Großfeldkamera und der EUVE-Satellit ergänzen sich weitgehend in ihren Fähigkeiten. Die beiden ROSAT-Teleskope erlauben gleichzeitige Messungen bei verschiedenen Wellenlängen im weichen Röntgenbereich und im extremen Ultraviolett. Diejenigen von EUVE erfassen bei der Durchmusterung auch den Wellenlängenbereich von 20 bis 60 Nanometern, und dessen Spektrometer liefern mit bislang nicht erreichter Auflösung wertvolle Informationen über die physikalischen Zustände der helleren EUV-Quellen. Im 10-Nanometer-Band decken die Großfeldkamera und EUVE fast denselben Wellenlängenbereich ab, und auch die Grenzhelligkeit ist ähnlich.

Wenngleich die von uns vorgenommene Durchmusterung nicht einen so weiten Spektralbereich umfaßt wie die von EUVE, liegt ein großer Vorteil der Großfeldkamera in der hohen Empfindlichkeit des 14-Nanometer-Bandes: Dadurch haben wir – im Gegensatz zu unseren Kollegen aus Berkeley – die meisten der EUV-Quellen in zwei Spektralbereichen messen können. Damit gelang es uns, quasi deren Farben zu bestimmen. Daraus können wir wiederum ermitteln, welches Objekt sich hinter der Quelle verbirgt und wieviel ihrer EUV-Strahlung auf dem Weg zur Erde durch das interstellare Gas absorbiert wurde.


Erste Ergebnisse

Den ersten Katalog mit 383 EUV-Quellen aus der Himmelsdurchmusterung mit der Großfeldkamera veröffentlichten wir 1993. Allein 300 Quellen sind zwei Objektklassen zuzuordnen: heißen Weißen Zwergen (120) und Koronen aktiver Sterne im späten Entwicklungsstadium (180). Von den anderen konnten 17 als kataklysmische Veränderliche, sieben als aktive Galaxien, acht als heiße B-Sterne, zwei als Röntgen-Doppelsterne und zwei als Supernova-Überreste identifiziert werden.

Viele dieser Quellen waren vorher entweder überhaupt nicht aus Untersuchungen im sichtbaren Licht bekannt, oder man wußte noch nichts über ihre besonderen Eigenschaften. So sind Weiße Zwerge und kataklysmische Veränderliche im Optischen recht lichtschwach, und etwa die Hälfte dieser in der Durchmusterung entdeckten Objekte ließ sich erst im nachhinein durch Beobachtung mit Großteleskopen identifizieren. Die Großfeldkamera erfaßte mit den aktiven Galaxien auch erstmals EUV-Quellen außerhalb des Milchstraßensystems, und sie lieferte die ersten Übersichtsaufnahmen von Supernova-Überresten in diesem Spektralbereich.

Die starke EUV-Helligkeit der acht neuentdeckten kataklysmischen Veränderlichen weist darauf hin, daß ein Teil der freigesetzten Energie in diesen Systemen aus anderen Mechanismen stammt als bei den bisher bekannten. Die hohe Anzahl von Sternen mit aktiver Korona liefert aufschlußreiches Material für statistische Untersuchungen; so lassen sich etwa Aussagen über den Zusammenhang zwischen Aktivität, Alter und Umdrehungsgeschwindigkeit der Sterne gewinnen.

Weil die extrem ultraviolette Strahlung stark von der interstellaren Materie absorbiert wird (und zwar um so stärker, je länger die Wellenlänge ist), lassen sich aus den Durchmusterungsdaten in diesem Spektralbereich Indizien für die räumliche Verteilung dieser Materie in der Umgebung der Sonne gewinnen (Bild).

Früheren Theorien zufolge sollten die Atmosphären von heißen Weißen Zwergen, von denen deren EUV- und Röntgenstrahlung ausgeht, überwiegend aus Wasserstoff und möglicherweise aus Helium bestehen. Beobachtungen mit dem europäischen Röntgensatelliten EXOSAT, die eine Arbeitsgruppe um Stephane Vennes einige Jahre vor dem ROSAT-Start auswertete, wiesen jedoch darauf hin, daß die Helligkeit einiger dieser Objekte im extrem Ultravioletten und im Röntgenbereich geringer ist als von diesen Atmosphärenmodellen vorhergesagt. Man vermutete, schwerere Elemente wie Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Eisen könnten durch den Strahlungsdruck in der Atmosphäre gehalten werden, so daß mit zusätzlicher Absorption zu rechnen wäre.

Erst die Durchmusterung im EUV- und Röntgenbereich durch ROSAT ergab, für welchen Anteil und für welchen Typ von Weißen Zwergen diese Vorstellung zutrifft. Die ROSAT-Teleskope vermögen nur ein Zehntel der Anzahl an Weißen Zwergen zu erkennen, die man nach Durchmusterungen im sichtbaren Licht eigentlich erwarten sollte. Martin Barstow von der Universität Leicester und seine Kollegen aus anderen Instituten in Großbritannien, Deutschland und den USA fanden, daß Weiße Zwerge mit einer Oberflächentemperatur von weniger als etwa 40000 Grad tatsächlich reine Wasserstoffatmosphären zu haben scheinen; bei heißeren hingegen müßte ein Teil der Strahlung durch schwere Elemente absorbiert werden, die der dann höhere Strahlungsdruck in die Atmosphäre treibt. Die von EUVE aufgenommenen Spektren hoher Auflösung stützen diese Vorstellung.

Ein weiterer Erfolg von ROSAT ist die Entdeckung von Weißen Zwergen in Doppelsystemen, bei denen das Licht der helleren Komponente oftmals das des Zwergsterns überstrahlt. Im EUV- und Röntgenbereich ist das Helligkeitsverhältnis nämlich häufig umgekehrt. Aufgrund der ROSAT-Messungen nimmt man heute an, daß bis zu 20 Prozent aller Weißen Zwerge Bestandteil von Doppelsternsystemen sind – dieser Befund hat weitreichende Auswirkungen auf Entwicklungsmodelle von Sternen.

Im vergangenen Jahr hat man die Daten der EUV-Himmelsdurchmusterung mit der Großfeldkamera erneut ausgewertet. Das Ergebnis ist ein erweiterter Katalog mit nunmehr 500 EUV-Quellen; für 80 Prozent von ihnen liegen Messungen in zwei Spektralbändern vor. Die Einzelbeobachtungen mit ROSAT werden mindestens bis Ende 1995 andauern.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1994, Seite 45
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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