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Landschaftskunst: Faszinierende Kornkreise

Wissenschaftliche Forschung und urbane Legendenbildung
Beust, München 2001. 176 Seiten, € 19,90


Seit dem Anfang der achtziger Jahre tauchen sie immer wieder in Getreidefeldern auf: die ominösen Kornkreise. Waren es ursprünglich tatsächlich nur simple Kreise, so sind es mittlerweile hoch komplexe Formationen. Als Sommerlochthema haben sie die Ufos und das Ungeheuer von Loch Ness fast ersetzt, mit dem Unterschied, dass das Phänomen nicht flüchtig, sondern greifbar ist: Noch Wochen nach dem ersten Auftauchen kann man einen Kornkreis fotografieren, vermessen, Boden- und Pflanzenproben nehmen – das einzige "übernatürliche" Phänomen, bei dem ein naturwissenschaftlicher Zugang möglich scheint.

Eltjo Haselhoff, ein niederländischer Fachmann für Lasertechnologie, der unter anderem an den Los Alamos National Laboratories gearbeitet hat, will mit seinem Buch eine solche naturwissenschaftliche Analyse liefern – aber nicht ausschließlich. Haselhoff ist offen gegenüber unkonventionellen Methoden; so zieht er durchaus in Betracht, dass telepathische Botschaften von außerirdischen Wesen etwas über Kornkreise aussagen. Mit Schlussfolgerungen ist er rasch bei der Hand. So gilt als Beleg für das hohe Alter des Phänomens, dass ein Holzschnitt von 1678 möglicherweise einen Kornkreis zeigt, dass Robert Plot 1686 – im Buch falsch 1677 – von Pilzen erzeugte Hexenringe erwähnt und ein Farmer meinte, die Kornkreise seien schon seit Jahren auf seinem Land zu finden. Für eine wissenschaftliche Arbeit ungewöhnlich, fehlen bei besonders sensationellen Behauptungen häufig Belegstellen.

Für seine Auffassung, Kornkreise seien ein bislang ungeklärtes Phänomen, präsentiert er vor allem drei Kategorien von Belegen: erstens die großenteils von ihm selbst beobachteten Anomalien wie tote Fliegen, die an den Halmen kleben, verwelktes Gras oder mikroskopische Mengen an Siliziumdioxid in den Kreisformationen. Nur fragt man sich unwillkürlich, wie subjektiv Haselhoff beobachtet, wenn er schon den im Buch abgebildeten Holzschnitt von 1678 nicht korrekt beschreibt, sondern zu Gunsten seiner Thesen gewaltsam uminterpretiert.

Zum zweiten zitiert Haselhoff zahlreiche Laboranalysen von Getreide aus Kornkreisen, das chemisch verändert sei oder anormale Wachstumsknoten aufweise. Der Großteil dieser Analysen stammt von dem Forscherteam um William C. Levengood, dessen Expertisen in der Kornkreis-Szene heftig umstritten sind. Denn Levengoods "Pinelandia Biophysics Laboratories" sind kein anerkanntes Forschungsinstitut, sondern ein Teil seiner Privatwohnung. Levengood findet zudem häufig "Beweise" für das Übernatürliche. So entdeckte er kürzlich bei der Analyse von Wohnungsstaub unerklärliche "Glaspartikel", die Entführungen durch Außerirdische beweisen sollen. Und obwohl selbst Kornkreisgläubige wie der englische Autor Colin Andrews akzeptieren, dass 80 Prozent der Formationen von Menschen stammen, sollen Levengoods Analysen belegen, dass mindestens 90 Prozent der Kreise echt sind.

Warum entnehmen Levengood und Haselhoff ihre Kontrollproben "außerhalb des Kornkreises", also von aufrecht stehendem Getreide? Wäre es nicht sinnvoller, platt gedrücktes Getreide in einem Kornkreis mit platt gedrücktem Getreide von einem Windbruch zu vergleichen? Zeigt jedes niedergedrückte Getreide die im Labor festgestellten Anomalien? Fast jede Stelle, an der Haselhoff "wissenschaftliche Ergebnisse" präsentiert, lässt solche Fragen aufkommen.

Manche Kornkreise seien von so "überlegener" Komplexität, dass ihre Konstruktionsprinzipien häufig erst mühsam am Zeichentisch rekonstruiert werden müssten. Das ist richtig; aber bislang wurde kein Kornkreis entdeckt, dessen Konstruktionsprinzip jenseits menschlicher Fähigkeiten gewesen wäre. Zudem ist diese Komplexität nur auf den Plänen, nie aber wirklich im Feld zu finden.

Drittens wertet Haselhoff Augenzeugenberichte über die Entstehung von Kornkreisen als Beleg für deren übernatürlichen Ursprung. Leider ist das anekdotische Material nicht überprüfbar und kann oft auch anders erklärt werden. Ein Bericht von Nancy Talbott aus Levengoods Team über wirbelnde Lichter klingt wie eine Beobachtung eines Lichteffektgerätes. Ein mehrfach erwähntes Video gilt mittlerweile als gefälscht (Haselhoff kann sich nur dazu durchringen, es "umstritten" zu nennen), und Lichtkugeln bei der Entstehung von Kornkreisen werden auffälligerweise erst gemeldet, seit der Meteorologe Terrence Meaden entsprechende Hypothesen veröffentlicht hat.

Zweifellos haben zahlreiche Menschen, wie von Haselhoff aufgeführt, von ungewöhnlichen psychologischen Reaktionen in Kornkreisen berichtet – aber ziehen Kornkreise nicht gerade die Leute an, deren esoterische Grundeinstellung solche Erlebnisse fördert? Bei meinen Besuchen in englischen Kornkreisen ist bislang alles mit rechten Dingen zugegangen, aber ich habe auch keine besondere Disposition, die Wundertätigkeit von platt gedrücktem Getreide zu beweisen.

Wer immer auch der Urheber der Formationen ist: Es handelt sich oft um herausragende Beispiele von Landschaftskunst. Die zahlreichen ganzseitigen Aufnahmen in diesem Buch unterstreichen diese Feststellung, und so ist das Werk zumindest ein Augenschmaus, auch wenn es wenig Neues und vor allem nichts unumstößlich "Wissenschaftliches" bringt – von den "urbanen Legenden" des Titels, die im Text nicht einmal angesprochen werden, ganz zu schweigen. Die Bilder sind wahrhaft phänomenal, und das Büchlein, das kaum mehr Text aufweist als eine kleine Broschüre, liest sich schnell und flüssig. Ein brauchbares Register und einige, bei weitem nicht vollständige und sehr selektive Literaturangaben runden den Band ab.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2002, Seite 108
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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